Die Gemeinde Heilig Kreuz zu Weingarten
im Spiegel der Kirchenbücher des 18. Jahrhunderts
Von Friederike Kuhl


Die Begräbnisse
a) Das Sterberegister
b) Jährliche Begräbniszahlen und saisonale Schwankungen
c) Begräbnisse von Kindern
d) Kindersterblichkeit
e) Beispiele aus Weingartener Familien
f) Häufung von Sterbefällen in den Familien
g) Lebenserwartung
h) Todesursachen
i) Unglücksfälle und Begräbnisse Nichteinheimischer
j) Zusätzliche Angaben zu Verstorbenen
k) Bestattungen in der Pfarrkirche und von Pfarrern


g) Lebenserwartung


Aussagen über die allgemeine Lebenserwartung zu machen, ist bei der beschriebenen Quellenlage schwer möglich. Während das Alter der verstorbenen Kinder, die ja fast alle in der Gemeinde getauft waren, größtenteils feststellbar ist, kann nur von sehr wenigen Erwachsenen das Sterbealter aus der Familienkartei errechnet werden, weil die Taufdaten und Altersangaben der von auswärts stammenden im Sterberegister fast völlig fehlen, bis auf das letzte Jahrzehnt von 1791-1800. Man hätte für die Errechnung der allgemeinen Lebenserwartung also vorwiegend die Altersangaben der Kinder zur Verfügung und könnte damit kein der Wirklichkeit entsprechendes Ergebnis erzielen. Daher wurde, wie auch von anderer Seite schon, die Gruppe der Verheirateten untersucht, der Personen also, die das heiratsfähige Alter bereits erreicht hatten. Mit Hilfe der Familienkarten konnte an 158 verheirateten Personen die durchschnittliche Lebenserwartung dieser Gruppe festgestellt werden. Die endlichen Durchschnittswerte für den untersuchten Zeitraum von 80 Jahren im 18. Jahrhundert von 63,4 für Männer und 62,5 Jahren bei den Frauen, liegen, wie aus der Tabelle 4 ersichtlich, 3 Jahre unter denen, die Rettinger für dieselbe Zeit im Raum Olm errechnet hat. Er bemerkt zu seinem Ergebnis: "Man kann erkennen, daß nach überstandenem Säuglings und Kindesalter die Überlebenschancen rapide anstiegen, und nach Erreichen des heiratsfähigen Alters 65 Lebenjahre durchaus die Regel waren." 18 In der Gemeinde Heilig Kreuz haben im 18. Jahrhundert von den 158 in die Untersuchung einbezogenen Personen 73 das Alter von 65 Jahren erreicht, das sind 46,2 %, also knapp die Hälfte.


Tabelle 4: Lebenserwartung verheirateter Personen im 18. Jhdt.


Nach den Berechnungen des Statistischen Bundesamtes 19 beträgt die künftige Lebenserwartung für 1986/88 geborene Jungen voraussichtlich 72,2 Jahre und für Mädchen 78,7 Jahre. Diese für die Gesamtbevölkerung errechneten Erwartungswerte darf man jedoch nicht direkt in Beziehung setzen zu den hier ermittelten Erfahrungswerten für die Gruppe der Verheirateten, für die die Jahre der hohen Säuglings und Kindersterblichkeit bereits überstanden waren. Der Vergleich mit dem durchschnittlichen Sterbealter aller Personen 1791-1800 von 37,85 Jahren, wie weiter unten dargestellt wird, wäre eher als realistisch und zulässig anzusehen.

Mit dem Beginn der Amtszeit des Pfarrers Johannes Joseph Müller im Jahre 1791 ist beim Begräbnis fast ausnahmslos das Alter des Verstorbenen angegeben. Mit Hilfe der Familienkartei konnten Ungenauigkeiten teilweise korrigiert und die durchschnittliche Lebenserwartung anhand aller in dem Jahrzehnt von 1791-1800 verstorbenen Personen ermittelt werden.

Es handelt sich in diesem Jahrzehnt um 98 Personen, von denen beim Begräbnis eine Altersangabe existiert. Danach betrug die durchschnittliche Lebenserwartung 37,85 Jahre. 40 der Verstorbenen waren weniger als 20 Jahre alt, das sind 40,8 % .Das Sterbealter der 58 Personen, die über 20 Jahre alt geworden waren, also das heiratsfähige Alter erreicht hatten, betrug im Durchschnitt 61,58 Jahre und liegt somit unter der für Verheiratete errechneten Lebenserwartung; das Heiratsalter liegt mit durchschnittlich etwa 25 Jahren deutlich über den hier angesetzten 20 Jahren, so daß die Personen, die mit 20-25 Jahren gestorben sind, hier noch mit dazugerechnet wurden.

Diese Untersuchung ist ein Versuch, auf die Frage nach der allgemeinen Lebenserwartung wenigstens annähernd eine Antwort zu finden. Obwohl das Ergebnis, vor allem auch wegen der schmalen Untersuchungsgrundlage, keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit stellen kann, soll es doch als historischer Erfahrungswert in der Pfarre Heilig Kreuz hier erscheinen.

Als Überlegung wird noch hinzugefügt: Wie oben dargestellt, war die Kindersterblichkeit in Wirklichkeit wohl höher, als aus dem Sterberegister hervorgeht, auch wenn der Pfarrer Müller seit 1791 offensichtlich recht zuverlässig Buch führte. Man könnte also meinen, wenn in Wirklichkeit mehr Kinder gestorben sind, als in die Berechnung hier aufgenommen werden konnten, so war die Lebenserwartung also geringer, als die ermittelten 37,85 Jahre. Dem kann aber entgegengestellt werden, daß von 11 in dem untersuchten Jahrzehnt verstorbenen Erwachsenen keine Altersangabe möglich ist, und ihr z. T. vielleicht hohes Alter ist auch nicht in die Berechnung mit eingegangen. Die Lücken in beiden Personengruppen gleichen sich also gewissermaßen aus, was das Ergebnis glaubwürdiger macht.


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Entnommen: „1100 Jahre Wingarden“ - Kreuzweingarten 893-1993 - Mai 1993


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