Die Gemeinde Heilig Kreuz zu Weingarten
im Spiegel der Kirchenbücher des 18. Jahrhunderts
Von Friederike Kuhl


Die Lebensdaten der Gemeinde im 18. Jahrhundert - eine Vitalstatistik
a) Anlaß und Ziel der Arbeit
b) Die Kirchenbücher
c) Zeitraum und Methode der Untersuchung
d) Mortalitätsmaxima 1730 und 1734
e) Die Pocken, der Österreichische Erbfolgekrieg, Flecktyphus und Überschwemmung, die Mortalitätsmaxima 1739-1749
f) Der Siebenjährige Krieg und Naturkatastrophen
g) Das letzte Jahrzehnt im 18. Jahrhundert, die Franzosenzeit
h) Zusammenfassung der Ergebnisse


g) Das letzte Jahrzehnt im 18. Jahrhundert, die Franzosenzeit


Im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts zeigt die Begräbniskurve nach einem dreijährigen hohen Stand 1790 bis 1793 in den Jahren 1795 und 1797 zwei hohe Maxima von 300% und 200 %. Das führt zu dem Ergebnis, daß für dieses Jahrzehnt der Durchschnittswert der Begräbnisse den der Taufen deutlich überschneidet. In den einzelnen Jahren hatten wir das wiederholt beobachtet, aber es war immer wieder zum Ausgleich gekommen, so daß im Zehnjahresdurchschnitt die Zahl der Taufen über der der Begräbnisse geblieben war. Dieser auffallende Befund im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts in der Gemeinde Heilig Kreuz findet eine Entsprechung in Untersuchungen, die E. Rettinger 22 an einigen Gemeinden südwestlich von Mainz gemacht hat, die also auch in linksrheinischem Gebiet liegen. Auch dort übersteigt in dem Jahrzehnt von 1790 bis 1800 die Zahl der Begräbnisse die der Taufen, und das war dort im 18. Jahrhundert ebensowenig vorgekommen, wie in der Gemeinde Heilig Kreuz. Es wäre von Interesse, die Kurven aus Arloff-Kirspenich zum Vergleich heranzuziehen, aber die Kirchenregister dieser Jahre sind zur Zeit wegen Restaurierung für den Gebrauch gesperrt.

Welches waren die Ursachen für den auffallenden Befund in der Vitalstatistik unserer Gemeinde?

Das letzte Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts war in ganz Europa überschattet von den Auswirkungen der französischen Revolutionskriege. Seit Beginn des Ersten Koalitionskrieges 1792 war das linksrheinische Gebiet ständig von durchziehenden oder im Winterquartier liegenden Truppen verschiedener Nationalität besetzt. Die Forderungen an Geld, Verpflegung, Vieh und Hilfeleistungen rissen nicht ab, sie überstiegen jedes erdenkliche Maß, immer "unter Androhung militärischer Exekution". 23 Die Chroniken von Euskirchen und Münstereifel sind voll davon, und es kann als sicher gelten, daß die Gemeinde Heilig Kreuz genauso darunter zu leiden hatte wie die beiden Nachbarstädte. Die Franzosen hatten die alten feudalistischen Organisationsformen nach der endgültigen Besetzung des linken Rheinufers 1794 sofort aufgelöst, auf der unteren Verwaltungsebene wurden Bürgermeisterämter, sog. "mairies", geschaffen. Münstereifel mit Iversheim, Arloff und mit anderen Dörfern war eine mairie; Euskirchen, zu dem u. a. auch Billig gehörte, eine weitere; Weingarten und Rheder gehörten zur mairie Wachendorf. Es kann davon ausgegangen werden, daß an Wachendorf genauso rücksichtslose Forderungen gestellt wurden wie an Euskirchen und Münstereifel. Weingarten und Rheder hatten mit Sicherheit jeweils ihre Beiträge zu diesen Forderungen zu liefern. In der Münstereifeler Chronik heißt es 1794: "Der Zustand der Stadt ist so, daß dieselbe von allen Commercien, Passagen und Nahrung entblößt ist und der meiste Teil der Bürgerschaft aus armen, ohne Arbeit schmachtenden Handwerksleuten besteht.“ 24 Im Juli 1795 entstand durch Überschwemmung großer Schaden 25, und 1797 ist zum 26. Juni vermerkt: "Seit 4-5 Wochen hat es von morgens bis abends und die ganzen Nächte hindurch geregnet, so daß man kein Gras hat mähen noch Heu hat fertigen können. So ist Münstereifel auch nicht in der Lage, für 30-40 Pferde vom 1. Chasseurregiment täglich 60-70 schwere Bürden Gras zu beschaffen und die nötige Fourage zu besorgen. Durch die stets anhaltende Einquartierung wird die Elendsnot, worin wir uns befinden, von Stunde zu Stunde erbarmungswürdiger. Auch ist die aufgezehrte Stadt nunmehr von einer leidigen Viehseuche inficiert und hat seit kurzem 80 Stück Rindvieh verloren.“ 26 Die Berichte über die Folgen der verheerenden Überschwemmung und die Viehseuche ziehen sich durch die folgenden Monate weiter hin, abwechselnd mit der Aufzählung von Forderungen an Verpflegung für die Truppen und Ausrüstungsgegenständen, u. a. für den Bau der französischen Flotte.

Den Angaben über die "Elendsnot", in der sich die Bevölkerung befand, braucht nichts weiter hinzugefügt zu werden, um die hohen Begräbniszahlen von 1795 und 1797 zu erklären. Wie bereits 1760 bis 1763 wurde auch in diesen Jahren die durch die kriegerische Zwangssituation hervorgerufene Not noch vergrößert durch natürliche Katastrophen, wie Überschwemmung und Viehseuche. Das Zusammentreffen mehrerer Krisenfaktoren führte also dazu, daß im Ergebnis des ganzen Jahrzehnts die Zahl der Begräbnisse die der Taufen deutlich überstieg.

Es bleibt zu klären, welchen Verlauf die hohe Mortalität in den genannten Jahren nahm und welche Bevölkerungsgruppen davon vor allem betroffen waren.

Von 1791 bis 1800, also im letzten Jahrzehnt des 18. Jhs., sind 109 Begräbnisse aufgezeichnet. Davon waren 53 Verstorbene männlichen und 52 weiblichen Geschlechts. Bei 4 nach der Nottaufe verstorbenen Neugeborenen fehlt die Angabe des Geschlechts. In 10 Fällen war das Alter der Verstorbenen nicht feststellbar.


Graphik 2:

Die Graphik 2 zeigt die Anteile von drei Altersgruppen an der Sterblichkeit

1.) Kinder von 0-10 Jahren
2.) Jugendliche und Erwachsene von 10-50 Jahren
3.) alte Leute von über 50 Jahren

Bei derartigen Untersuchungen wird oft nur zwischen zwei Altersgruppen unterschieden: Kinder bis 10 Jahre und Personen über 10 Jahre 27, z. B., um die Lebenserwartung oder die Kindersterblichkeit zu berechnen. Doch um die Sterblichkeit während der Not und Krisenjahre genauer differenzieren zu können, ist es aufschlußreicher, bei den Erwachsenen die aktive Lebenszeit bis 50 Jahre vom Alter zu trennen. Der Versuch, weitere Unterteilungen vorzunehmen, erwies sich als nicht ergiebig und sinnvoll. Das Ergebnis würde dadurch nur aufgesplittert, da die Kindersterblichkeit bei 10 Jahren nachweislich in der Hauptsache endet und erst nach Beendigung der aktiven Lebensphase, beim Alter von 50 Jahren, wieder eine erhöhte Sterblichkeit einsetzt.

Das prozentuale Verhältnis der drei Altersgruppen zueinander wird hier für drei verschiedene Zeitabschnitte dargestellt:

a) im ganzen Jahrzehnt 1791-1800
b) in den Krisenjahren 1795-1797, wobei das Jahr 1796 mit hinzugenommen wurde, in dessen erstem Drittel sich die Mortalität von 1795 fortsetzte
c) der Versuch, die Jahre des Jahrzehnts ohne die drei genannten Krisenjahre zu Grunde zu legen.

Es zeigt sich, daß der Anteil der über 50jährigen mit 44 %-45% in allen drei Berechnungen gleich bleibt. In den Krisenjahren starben zwar viele alte Menschen, aber ihr Anteil an der Sterblichkeit war nicht höher als in normalen Jahren; die Sterblichkeit war eben im ganzen sehr hoch. Bei den Kindern und Erwachsenen ist dagegen eine deutliche Verschiebung der Verhältnisse zu erkennen. In den Krisenjahren ist der Anteil der Kinder mit 47% höher als im ganzen Jahrzehnt (Graph. 2 a) und 2 b)), wo er 39 % beträgt. Er sinkt auf 33 %, wenn die Krisenjahre ausgenommen werden. Die Altersgruppe der 10-50jährigen hingegen ist von der hohen Sterblichkeit der Krisenjahre (2 b) anteilmäßig mit 4% weniger betroffen als im ganzen Jahrzehnt zusammengenommen, wo sie 16 % beträgt; dementsprechend steigt der Anteil dieser Gruppe, wenn die Jahre des Jahrzehnts ohne die Krisenjahre zu Grunde gelegt wären.

Als Ergebnis der Untersuchung stellt sich also heraus, daß von der erhöhten Mortalität in den Jahren 1795-97 die Gruppe der Kinder von 0-10 Jahren mit höherem Anteil betroffen war als gewöhnlich, während der Anteil der Erwachsenen geringer und der der alten Leute konstant blieb.

Aus diesem Tatbestand resultiert der auffallende Befund bei den Bevölkerungspyramiden, die mit Hilfe der Bevölkerungslisten von 1801 erstellt wurden. Dort fällt in diesem Zusammenhang die Schrumpfung der Schichten der 6-15jährigen auf. 28


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Entnommen: „1100 Jahre Wingarden“ - Kreuzweingarten 893-1993 - Mai 1993


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