Die Gemeinde Heilig Kreuz zu Weingarten
im Spiegel der Kirchenbücher des 18. Jahrhunderts
Von Friederike Kuhl


Die Taufen
a) Methodische Erörterungen zur Familienrekonstitution und die Quellenlage
b) Taufen, Geburten, Familienplanung
c) Patenschaft und Namensgebung
d) Nottaufen
e) Zwillinge
f) Illegitime


f) Illegitime


Wie überall hat es auch in der Gemeinde Heilig Kreuz Kinder von nicht verheirateten Müttern gegeben. Dies "malheurchen", wie es im Rheinland wohl genannt wird, kam in der Gemeinde in fast allen Familien einmal vor. Von 1148 Kindern, die von 1701 bis 1800 geboren wurden, waren 28 nicht ehelicher Geburt, d. h. auf 41 Geburten kam eine nichteheliche. Das entspricht 2,4 %. Roedel bezeichnet 1,38-2,55% als normal. 11 Zum Vergleich: In Nordrhein Westfalen war 1988 jedes elfte Kind nicht ehelicher Geburt, 1969 jedes fünfte, in Köln 1825 jedes neunte.

In manchen Kirchenbüchern wurden die Angaben im Taufregister bei nichtehelichen Kindern auf den Kopf gestellt geschrieben; 12 die soziale Ausgrenzung war bis ins Kirchenbuch hinein festgeschrieben. In den Kirchenbüchern der Pfarre Heilig Kreuz findet man so etwas nicht; neben dem Namen des Täuflings steht im Taufregister "spurius ( -a)", was soviel heißt, wie "Bastard" oder "unehelich", oder es steht da „illegitimus", d. h. "ungesetzlich"; etwa von 1815 an heißt es dann "filius, -a naturalis", "natürliche(r) Sohn -Tochter". Es folgt im Register der Name der Mutter, oft mit dem Zusatz "soluta", "ledig" und eine Eintragung, die den Vater betrifft: "Vater unbekannt" oder "ein fremder Soldat", "ein Mann aus Bonn", oder es heißt: "von der Mutter wurde benannt" - und dann der Name desjenigen, und manchmal heißt es weiter: "der es aber abstreitet". In einigen Fällen heißt es auch: "durch die nachfolgende Eheschließung legitimiert." In einem dieser Fälle, der aus der sonst üblichen Verfahrensweise herausragt, fand die Eheschließung neun Tage nach der Geburt des Kindes "cum licentia in aedibus sponsae puerperae" - "mit eingeholter Erlaubnis im Haus der verlobten Wöchnerin" statt. Trauzeugen waren Peter Hennig, der Vater des Bräutigams, der auch schon die Patenschaft übernommen hatte, und ein Mitglied der weitverzweigten und häufig als Schöffen bekannten Familie Scholl, Johannes Scholl. Die Eltern der Kindesmutter Agnes Richartz waren bereits gestorben. Eine Cousine hatte die Stelle der Patin eingenommen, das Kind wurde durch die Eheschließung legitimiert.

Eine Untersuchung der Paten der "Illegitimi" kann vielleicht einigen Aufschluß geben über die Einordnung solcher Fälle in das Dorfleben damals. Als Paten dieser Kinder treten vor allem drei Gruppen von Personen hervor: Die erste und größte wird gebildet von den Eltern und Geschwistern der Kindesmutter. Als zweite Gruppe treten die Angehörigen von Familien der Schöffen und Pächter in Erscheinung aus den Familien Emonds, Eschweiler, Fritz, Schaffer, Scheidt, Schiffmann, Schorn, Zingsheim. Als dritte Gruppe unter den Paten fallen Personen auf, die persönlich mit dem Problem einer nichtehelichen Geburt in Verbindung stehen, also

Frauen, die selbst ein nichteheliches Kind hatten, Männer und Frauen, die nicht ehelich geboren waren und deren nächste Angehörige. Anna Gertrud Emonds, die Tochter eines Schöffen, stand dreimal Pate bei einem illegitimen Kind, darunter auch bei einem der illegitimen Zwillinge ihrer verwitweten Schwester Anna Catharina, die ihrerseits auch zweimal bei Taufen nichtehelicher Kinder Patin war. Anna Gertrud zählte übrigens zu allen der drei genannten Personenkreise: sie war nahe Verwandte, Angehörige einer angesehenen Familie, -ihr Vater war Schöffe, -und sie war bereits durch andere Patenschaften in diesen Problemkreis einbezogen und außerdem durch ihre Schwester mitbetroffen.

Mit Hilfe der Aufzeichnungen im Kirchenbuch wurde versucht, Mitteilungen über das Leben der 24 ledigen Mütter und ihrer Kinder zu erhalten.

Soweit das Alter der Mutter feststellbar war, konnte ein Durchschnittsalter von 29,5 Jahren bei der Geburt des Kindes errechnet werden, nur in einem Fall war die Mutter unter 20 Jahre alt, während fast die Hälfte über 30 war. Zwei der ledigen Mütter starben jung, 13 heirateten später, das sind 54,2 % .Acht davon heirateten einen Mann aus der Gemeinde, fünf heirateten einen Mann von auswärts. Von zehn dieser Frauen war ein Heiratsalter zu ermitteln; es betrug durchschnittlich 35,0 Jahre. Sieben von ihnen heirateten einen Witwer bzw. waren selbst schon verwitwet, das sind 54 % .Der Anteil der Wiederverheiratungen betrug sonst im allgemeinen 33,6 %. (s. Kap. III, Tab. 7) In sechs Fällen wurde eine gegenseitige Erst Ehe geschlossen, aber nur in drei dieser Fälle konnte das Heiratsalter festgestellt werden, es betrug 29,8 Jahre im Durchschnitt. Für gegenseitige Erst-Ehen lediger Mütter wurde also bei der geringen Untersuchungsbasis von nur drei Fällen ein durchschnittliches Heiratsalter von 29,8 Jahren ermittelt, während im allgemeinen das durchschnittliche Heiratsalter bei Frauen in gegenseitiger Erst-Ehe 26,3 Jahre betrug, also 3,5 Jahre niedriger lag. (Kap. III, Tab. 6) Unter den Männern, die ledige Mütter heirateten, waren auch Schöffen und Angehörige aus Familien, die Schöffen stellten. Den Frauen wurden Patenschaften übertragen, und bei der Eintragung des Begräbnisses heißt es, wie bei anderen Frauen auch, mitunter: "honesta vidua - die ehrbare Witwe". Bei der Begräbniseintragung der Christina Bong steht: "Begraben wurde die tugendsame Chr. B., -virtuosa". Beim Begräbnis der Anna Franziska Linden, die vier Jahre nach der Geburt ihrer nichtehelichen Tochter Anna starb, wird in der Eintragung ausdrücklich darauf hingewiesen, daß sie die legitime Tochter ihrer Eltern Gerard Linden von der Hardtburg und seiner Ehefrau Magdalena Stupp war. Bei der Taufe der nichtehelichen Tochter Anna hatten, als einzige Ausnahme dieser Art, zwei Männer Pate gestanden, der Schöffe Theodor Fritz und Wilhelm Schorn. Anna heiratete 1771 den Wilhelm Leßenich aus Weingarten, ein Hinweis auf ihre nichteheliche Geburt ist bei der Heiratseintragung nicht vorhanden.

Wie in diesem Fall kann der weitere Lebensweg einiger Kinder weiter verfolgt werden. Sie heirateten innerhalb der Gemeinde und treten auch als Paten im Kirchenbuch in Erscheinung. Anna Gertrud WeIters, die Tochter der Barbara, heiratete 1774 den Schöffen Johannes EIsig, um noch ein Beispiel zu nennen, und wird dabei im Heiratsregister "honesta virgo", "ehrbare Jungfrau" genannt, die Tatsache ihrer nichtehelichen Geburt spielte offenbar keine Rolle mehr.

Daß bei etwa einem Drittel dieses Personenkreises nach der Taufe keine weiteren Nachrichten von Mutter und Kind aus dem Kirchenbuch zu entnehmen sind, ist nicht außergewöhnlich, weil das alle anderen Personenkreise ebenso betrifft. Es ist wohl auf die starke Wanderungsbewegung in der Region zurückzuführen und auf die bereits dargestellte Lückenhaftigkeit der Register.

Anhand der Mitteilungen im Kirchenbuch läßt sich eine grundsätzliche Diskriminierung des untersuchten Personenkreises der unverheirateten Mütter und ihrer Kinder und eine Aussonderung nicht feststellen. Daß es aber sehr wohl Schwierigkeiten in diesem Problemkreis gegeben haben muß, zeigt das Schicksal der Gertrud Orth.

Hier die Übersetzung der lateinischen Eintragung im Sterberegister, die von Pfarrer Tilmann Wieler stammt, der um die betreffende Zeit Pfarrverwalter der Pfarre Heilig Kreuz gewesen ist. Unter dem Datum des 1. August 1768 wird folgendes berichtet: "Oh weh, welch ein Schmerz! Mein Pfarrkind Gertrud Orths, noch ledigen Standes, ist wegen der Tötung ihres aus Unzucht empfangenen Neugeborenen unter dem Walten der Gerechtigkeit und mit meinem Beistand am Orthholz hingerichtet worden, Meine Begleiter waren zwei Missionsgeistliche aus Münstereifel: Pater Sturm und Pater Dorweiler SJ" "SJ" heißt "Societas Jesu ", das ist die Bezeichnung für die Jesuiten; diese hatten in Münstereifel ein Kloster. Das Orthholz war die Hinrichtungsstätte, sie lag auf dem Gelände des heutigen Stadtwaldes von Euskirchen. Daß der Name des unglücklichen Mädchens mit dem Flurnamen gleich lautet, ist Zufall und hat nichts zu sagen. "Orthholz" bedeutet "Urtheilholz", später hieß die Flur "im Galgenfeld" 13.

Die Missionspatres der Jesuiten haben ebenfalls über ihren Gang zur Richtstätte Bericht erstattet; in einem Missionsbericht vom Jahre 1768 heißt es (aus dem Lateinischen übersetzt): "Während der Erntezeit verlegten wir unsere Bemühungen entweder auf den Michelsberg oder in die benachbarten Gemeinden. Wir bereiteten auch eine des Kindesmordes angeklagte Person zur Hinrichtung vor, und wir machten sie so bereit, daß sie nicht nur nicht an Flucht dachte, obwohl die Wächter in tiefem Schlaf lagen, sondern auch so wohlgemut zum Richtplatz eilte, daß man den Eindruck hatte, sie würde nicht den Tod erleiden, sondern das Leben wiedererlangen. Die Zuschauer wunderten sich darüber um so mehr, weil sich fälschlich das Gerücht von ihrer Unverschämtheit verbreitet hatte.“ 14 Die Jesuiten mußten in ihren Berichten an ihre obere Provinzialbehörde natürlich Missionserfolge melden, aber man kann doch hoffen, daß der Gemeindepfarrer Tilmann Wieler in seiner schmerzlichen Betroffenheit - Oh weh, welch ein Schmerz! - und die Missionspatres mit ihrer großen Erfahrung der armen Gertrud zu einem versöhnlichen und würdigen Ende verholfen haben. Eine echte Gretchentragödie hat sich jedenfalls damals in der Gemeinde Heilig Kreuz zugetragen. Das Kirchenbuch gibt über Gertrud Orths weiter nichts bekannt; wann sie geboren wurde und wer ihre Eltern waren, ist nicht zu ermitteln. Mitglieder der Familie Orth waren aber seit 1720 in der Gemeinde ansässig.

Das glücklichere Beispiel der Agnes Stupp dagegen steht für über die Hälfte der unverheirateten Mütter und gibt daher eher die Realität bei diesem Fragenkomplex wieder. Agnes Stupp gebar, ohne verheiratet zu sein, im Februar 1705 eine auf den Namen Anna Gertrud getaufte Tochter. Im August desselben Jahres wurde zwischen ihr und Dionysius Metz die Ehe geschlossen, die Tochter Anna Gertrud wurde durch die Heirat ausdrücklich legitimiert, d. h., sie wurde für ehelich anerkannt, und es ist wahrscheinlich, daß Dionysius Metz der Vater war.

Diese Heirat vom 30. August 1705 nimmt eine Sonderstellung ein, da Heiraten in unserem Kirchenbuch ja erst ab 1715 überliefert sind. Die Eintragung befindet sich mitten zwischen Taufeintragungen auf der Seite 62 des alten länglichen Kirchenbuches, von dem schon die Rede war. 15 Das Ehepaar hatte dann nachweislich erst nach dem großen zeitlichen Abstand von 10 Jahren zwei weitere Kinder im Jahre 1715 und 1717, doch weist die Überlieferung für diese Zeit offensichtlich Lücken auf, wie die überlangen Geburtenabstände in diesen Jahren auch bei anderen Ehepaaren beweisen. Agnes Stupp starb 1752, Dionysius Metz 1754. Taufdaten und Altersangaben fehlen zwar, aber nach 47 Ehejahren sind beide gewiß etwa 70 Jahre und somit also gemeinsam recht alt geworden.


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Entnommen: „1100 Jahre Wingarden“ - Kreuzweingarten 893-1993 - Mai 1993


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