Das Sendgericht von Weingarten im 18. Jahrhundert |
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Sittliche oder religiöse Vergehen wurden bestraft - Spitzelsystem |
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Von Hans Regh |
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Unter dem Sendgericht (Synodalgericht) war ein geistliches Sittengericht zu verstehen, d. h . eine Versammlung der Gemeinde unter dem Vorsitz eines Klerikers, in der sittliche oder religiöse Vergehen einzelner Gemeindemitglieder angezeigt und mit Strafen belegt wurden. UrsprÜnglich stand die Sendgerichtsbarkeit nur dem Bischof zu; sie ging im Laufe der Zeit auf Archidiakone, Landdechanten und Pfarrer über. 1 Sendgerichte nahmen ihren Ursprung aus den Diözesan-Visitationen, die schon in den ersten Jahrhunderten der Kirche vom Bischof, anfangs in eigener Person, später unter Beihilfe eigener Visitatoren besonders für die Landgemeinden abgehalten wurden. 2 Nach den Diözesanstatuten des 16. Jahrhunderts wurde der Send einmal im Jahr abgehalten, und zwar immer im Wechsel vom Pfarrer, Landdechant und Archidiakon. Er war ein integrierter Bestandteil des kirchlichen Lebens; die regelmäßige Abhaltung wurde in Erlassen und Verordnungen angemahnt. Der Send war in der Bevölkerung unbeliebt. In der Praxis nämlich war die Sendgerichtsbarkeit nicht nur auf einen Gerichtstag beschränkt, sondern bediente sich eines Spitzelsystems, welches das ganze Jahr über für Überwachung sorgte. Die Bespitzelung geschah durch Sendschöffen. Es waren Männer aus der Gemeinde, die als zuverlässig angesehen wurden. Dieses Amt wurde ihnen als Ehre übertragen - ob sie nun wollten oder nicht! Die Sendschöffen waren eidlich verpflichtet, alle Vergehen und Unregelmäßigkeiten aufzuspüren und zu vermerken. In jeder Gemeinde wurden sieben oder mehr Männer als sogenannte Synodalzeugen oder Sendschöffen ausgewählt. Eine kurfürstliche Verordnung von 1686 zur Wiedereinrichtung des Sendschöffenamtes beklagt, daß an vielen Orten niemand den Sendschöffendienst übernehmen will, »weilen selbjge von ihren Mitt-Nachbarn hierüber geschmähet, verspottet und davon abgeschreckt werden«. Die Sendschöffen waren die kirchliche Ordnungspolizei. Sie beobachteten sowohl den Pfarrer als auch die Gemeinde; sie wahrten die Ordnung im Gottesdienst oder bei Prozessionen. Sie brachten Vergehen der einzelnen Gemeindemitglieder, wie knechtliche Arbeiten an Sonn- und Feiertagen, Störungen des Gottesdienstes bzw. unziemliches Betragen in der Kirche, Unehrerbietigkeit gegen Vater und Mutter, Fluchen, lästerliche und blasphemische Reden, Glücksspiele, Übertretung der Fast- und Abstinenzgebote, Wirtshausbesuche während des Gottesdienstes, Vornahme von Taufen oder Eheschließungen an anderen Orten, Ehebruch, Hurerei, uneheliche Geburten, Kindesmord, aber auch Friedhofsschändung (z. B. durch Begraben eines Protestanten), Versäumen der Osterkommunion usw. zur Anzeige. Die Liste der möglichen Vergehen, für die Sendgerichte zuständig waren, ließe sich beliebig verlängern . Die mangelnde Beliebtheit des Sendgerichts sorgte dafür, daß der Send nie zu einer kontinuierlichen Einrichtung wurde. Zwar war er aus dem kirchlichen Leben nicht wegzudenken , doch war jede Gemeinde bemüht, die Institution wieder einschlafen zu lassen. 3 |
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Die Pfarrkirche Heilig Kreuz in
Kreuzweingarten |
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Pfarrer Corsten aus Köln-Raderberg schreibt in seinem Beitrag über den Landdechanten Everhard Boßhammer, geboren 1594 in Weingarten, (Geschichtliche Landeskunde Nr. 2/1929), daß dieser sich mit allem Nachdruck für den Bestand von Sendgerichten eingesetzt habe. »Aber wo es ihm trotz vielfacher Widerstände gelungen war, wurden die Sendschöffen von den weltlichen Herren und Beamten dermaßen bedroht und belästigt, im Volke als Denunzianten und Friedensstörer so verächtlich gemacht, daß diese überall ihr Amt niederlegten und kein anderer es mehr übernehmen will.« Im Kirchenarchiv in Siegburg sind umfangreiche Akten des zuständigen Sendgerichts aus der Zeit des 16. und 17. Jahrhunderts in einer seltenen Vollständigkeit vorhanden; sie geben über die originelle und kulturgeschichtlich interessante Verfassung desselben und über die damaligen sittlichen Zustände am Niederrhein vielseitige und bemerkenswerte Aufschlüsse. 4 Im Pfarrarchiv in Kreuzweingarten befinden sich noch Protokolle von Sitzungen des Sendgerichts aus den Jahren 1727, 1731, 1756 und 1772. Nachstehend einige Beispiele: a) Freytag den 4ten ap. 1727
ihm senttgereicht |
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Decretum Weilen Pauls Eisig wegen
gesichts Unvermögenheit nit Kann unterschreiben, alß
hab Ich auf sein ersuchs solches unterschrieben b) Anno 1765 Eodem ist renorirt worden die Verordnung um denen dahmahls jüngsten männeren Wilhelm Siegmeyer und Peter Esch Vorgehalten worden, daß die jüngst Verheyrathete männer schuldig seyn sollen den Himmel zu tragen sooft als eine procehsion cum verabli gehalten wird . 1766: 5. aprilis ist im gehaltenem Sendgericht Peter Esch wegen Vorgeschriebenem post citirt worden aber nit comparirt, weilen er aber am H: ostertag in der Kirchen gegenwärtig gewesen und bey gehaltenem umbgang den Himmel stehen laßen als ist ihm Zur straf angesetzt worden inner 3 Tägs Zeit zu zahlen 1/2 Pfund wachs c) Kund und Zuwißen seyn hiemit daß heut dato untengemelt zwischen He: Pastorn und Wittiben Anna Maria Schäfers ge: Schorns in gegenwart und Beyseyn gerichts und sendscheffen Benentlich Joe Agidio |
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Schorn Petro Schiungermann joannen Niehs folgender Vergleich getroffen und gethätiget worden seyn wegen dem pag: praec: gehaltenem protokoll 1mo abgern. Anna Maria Schäfers erklärt und offerirt die andicdirte sendstraf ad 4 Pfund wachs in natura wen in pretio zu Bezahlen zwischen hier und Maria geburtstag sampt den aufgegangenen unkästen, weilen sie sich opponirt gehabt. ist zahlt 2da Bittet selbige umb Verzeyhung deren angethanen injurien und unbilden mit Versprechen künftighin dergleichen zu meiden und zu beBeren, damit aber auch dem H: Pastorn einige satisfaction und genügen geschehe und Sie Beklagte Bekenne gefehlt zu haben als ist. 3tio Vergleichen und Versprochen worden, daß sie Beklagte Anna Maria Zwischen hier und Maria geburtstag zu des H: Pastoris Händen in civilern ernendarn pro injuria illata (für die begangene Beleidigung) wolen erlegen 10 rt, die welche H: Pastor der pfahr Kirchen und Zur Kirch angeschafft worden, welche 11 rt gekostet. |
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also geschehen Weingarten 21. Julii 1765 Zu weBen Bekräftigung obgen. als zeugen sich unterschrieben haben. ist zahlt Jean geiles schorn
scheffen Als »Sendherr« fungierte 1727 und 1731 Tilmann Hoffschlag, Pastor in Weingarten von 1 71 4 bis 1754. Er wurde abgelöst von Johann Tilmann Wieler , Pastor in Weingarten von 1754 bis 1774. Als Sendscheffen haben einzelne Protokolle unterschrieben: Christian Leinen Everhard Strunck Peter Schlüngermann Johann Geiles Schorn |
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Johannes Niehs Der vorerwähnte Hausplatz an der Antweiler Straße ist ausweislich der »Urkarte« nach 1829 bebaut worden. 6 Nach 1772 befinden sich im Pfarrarchiv Kreuzweingarten keine weiteren Unterlagen über abgehaltene Send. Zu lesen ist jedoch im »Kirchenbuch« von 1794 aus der Hand des Pastors Müller: ». ..weil die Sendscheffen doch viel Mühe, und dafür keine Vergeltung haben, hat man ihnen bei der Rechnung ein Glaß Wein zugesetzt. ..30 albus.« |
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Aus anderen Dekanaten ist bekannt, daß solche Gerichte schon wesentlich früher nicht mehr gehalten wurden. Der Charakter dieser Institution verlagerte sich mehr und mehr .-An seine Stelle traten jährliche Pfarrversammlungen, bei denen allgemeine Pfarrangelegenheiten besprochen, die Rechnungsablagen der Kirchen- und Brudermeister getätigt und die jährlich wiederkehrenden Wahlen zu den Ämtern der Kirchenmeister, Brudermeister und vor allem der Sendschöffen vorgenommen wurden. Aus dem Spitzel früherer Zeiten war der Sendschöffe damit zu einem Gemeindevertreter geworden, dessen Funktion, wollte man nach einem heutigen Vergleich suchen, noch am ehesten an den Pfarrgemeinderat denken läßt. |
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Anmerkungen: 1 Becker, Paul Thomas,
Konfessionalisierung in Kurköln, Bonn 1989 |
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Entnommen: Kreis Euskirchen - Jahrbuch 1993 |
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