Kreuzweingarten, 4. Dezember 1988

Festschrift zur Glockenweihe

Herausg. Kath. Kirchengemeinde Heilig Kreuz zu Kreuzweingarten











Gutachtliche Stellungnahme




Musikdirektor J. Schaeben vom 2. September 1958.















Die katholische Pfarrkirche St. Inventio curcis in Kreuzweingarten besitzt ein aus drei wertvollen Denkmalglocken bestehendes Geläut, das dringend umfassender Instandsetzungsarbeiten bedarf.

Der Unterzeichnete untersuchte das Geläut am 23. Juni 1958 mit folgendem Ergebnis (Die Klangstrukturen wurden mittels Appunn'scher Stimmgabeln analysiert: Plus und Minus = 16tel des temp.Halbtones über bzw. unter Normalstimmung a' = 425 Hz):


Glocke

I

II

III

Gießer
Gußjahr
Durchmesser
Schlagringstärke
Gewicht etwa
Konstruktion

Claud. Lamiral
1649
995
67(64/55)
550
sehr leichte

Anonym
1477
980
72(70/60)
500
mittelschwere

Heinr.v.Gerresheim?
1398
812 mm
52(52/48/47) mm
300 kg
leichte Rippe

kl. Unternone

cisº -8



Unteroktave


gisº - 8


kl. Unterseptime



hisº 0

gr. Untersekunde


fis' -7 schweb.

gis' -3

Schlagton

fis' -6

gis' -5

ais' +2

k. Obersekunde

g' -2



Mollterz

a' -7

h' -16

cis' +6

Verm. Quinte

c'' -14

d'' -12


Reine Quinte



eis'' +8

Oberoktave

fis' -10 schweb

gis '' -12

ais' +2

None

gis' -1



Molldezime



cis' ' +5

Durdezime

ais' -11

his' -12


Undezime

h'' 0

cisis' ' -4


Duodezime

cis' ' -5

dis'' ' -8

eis'' ' +2

kl. Tredezime


e'' ' -7


kl. Quattuordezime



gis' ' +2

gr. Quettuordezime

eis'' ' +4

fisis '' ' -13


Deoppeloktave

fsi' ' +6

gis' ' 0

ais' ' +11

2' - Quarte
......Quinte
......kl. Sexte
......gr. Sexte

h'' ' 0
.
d'' '' -4
dis'' '' -4

cis' ' 0
dis'' '' -10

dis'' '' +2 f
.
fis' '' +4

Sekundschlagton

gis' - 13 p



Quartschlagton
Nachklingdauer
Nachhallverlauf
Anschlagfrequenz

h' 0 f
155-10-35
stoßend
58

eis'' 0 f
65-25-28
schweben
60

dis'' +5 mf
55-37-18 Sek.
ruhig
67 pro Min.






Wenn auch die zahlreich nachgewiesenen Mixturtöne beim Läuten nicht auffallend in Erscheinung treten, so ist doch das Zusammenspiel der drei Glocken infolge der außergewöhnlich querliegenden Prinzipaltöne und er verbogenen Stimmungslinie der Schlagtöne merkwürdig unübersichtlich und von Dissonanzen geschüttelt. Besonders eigenartig ist die unklare Sprache der Hauptschlagtöne, die vom Ohr zweifellos anders aufgefaßt werden als von der Stimmgaben und keine Deckung bei den Oberoktaven finden. Glocke III wird als Durters zu I und als Großsekunde zu II verstanden, trotz der starken Intervallüberdehnung.

Glocke I wurde, um sie vor der Ablieferung zu bewahren, 1942 nach Köln-Poll gebracht, ist dort beim Turmbrand herunter gestürzt und beschädigt worden: ein ca 40 cm lang sichtbarer Riß zieht sich um die Haubenplatte, ein kleiner Durchschlag befindet sich in der Höhe der Flanke. Der Haubenriß wurde bei der Rückkehr nach Kreuzweingarten im Jahre 1947 angebohrt und durch eingetriebene Bolzen verspannt. Wie weit dieser Schaden Einfluß auf die Struktur des Klanges hat, insbesondere auf die Störfrequenz der None bzw. des Sekundschlagtones, kann nicht gesagt werden. Es ist durchaus möglich, daß der Klangaufbau nach einer Reparatur der Glocke durch Schweißung in wesentlichen Komponenten ein anderes Gesicht erhält.

Jeder der drei Glocken weist einige besonders interessante ornamentale Details auf: Glocke I Siegel oder Hausmarke des Arloffer Schultheißen und kurkölnischen Amtsverwalters Peter Brewers (eine Variante derselben heute noch als Hausmarke an einem Torbogen vom Jahr 1684 in Arloff) und das Monogramm der Stifter (H.M = Hubert Molior, M R = Maria ? - verstorbene Gattin des H.Molitor, B W = ? ? - B vielleicht für „Blönn“, mundartlich für Apollonia (?), zweite Gattin des H.Molitor?). Die unbezeichnete, von N. Reinartz in Ann.h.V.N. 127 auf Grund des Inschrifttextes Meister Johann van Alfter zugeschriebene Glocke II trägt im Schriftband eine bisher noch nicht gedeutete und anderwärts nicht gefundene Pune. (NB. Der Reinartzschen Hypothese kann der Unterzeichnete nicht beipflichten weil die wesentlichsten Kennzeichen Alfter'scher Gl. nicht vorhanden sind.) Glocke III trägt die Gießermarke des Meisters Heinrich (von Gerresheim?) - wie Palmersheim und Ringsheim -, ein sehr zierliches gotisches Ornamentkreuzchen (2,7 mal 2,7 cm) und ein Relief des St. Georgskampfes (wie in Friesheim, Derichsweiler, Freialdenhoven u.a.).

Technisches:
Glocke I ist, wie oben bereits bemerkt, zersprungen. Der Riß kann durch autogene Schweißung wieder geschlossen werden; die Reparatur wird allerdings etwas schwierig und ziemlich kostspielig werden (Spezialwerkstätten: Friedr. Witte in Leverkusen-Schlebusch, Humperdinckstr. 8 und Hans Lachenmeyer, Nördlingen / Bay.). Im Zuge der Reparatur sollte aber nicht nur der Riß geschweißt, sondern zugleich auch der Schlagring an den ausgeschlissenen Segmenten durch Auftrag wieder eingeebnet werden!

Die neueren Klöppel der Glocken I und II sind zu schwer, Glocke III wird mit einem alten Keulenklöppel, dessen Flucht nachträglich beschwert wurde, geschlagen. Da eine Erneuerung und Neulagerung der Holzjoche dringend erforderlich ist, und eine Umstellung des Geläutes auf Maschinenantrieb auf die Dauer nicht zu umgehen ist, müßten die Klöppel durch leichtere ersetzt werden, wenn die Glocken vor einem zerspringen bewahrt werden sollen. Die neuen Klöppel sollten folgende Höchstmaße nicht überschreiten:

Ballendurchm.

112 mm
110
90

Fluchtdurchm.

56/63 mm
53/58
45/50

Fluchtlänge

215 mm
206
170



Damit der in Kreuzweingarten übliche Brauch des Beierns weitergepflegt werden kann, werden die Klöppel zweckmäßig mit Ringen am Fluchtende und die Läutemaschinen mit Bremsen ausgestattet.

Eine erneute Drehung der bereits gewendeten Glocken ist noch nicht erforderlich.

Der die Glocken tragende alte, einstöckig mit drei Feldern aufgebaute Holzstuhl steht, auf Eichenbalken ruhend, im Turmhelm und ist, wenn er auch im ganzen noch verhältnismäßig ruhig steht, doch reparaturbedürftig. Der Turmhelm ist mit zwei ganz kleinen Schallfenstern geöffnet, die Schallausbreitung ist sehr gehemmt. Die eigentliche Glockenkammer (oberstes Mauergeschoß) mit seinem lichten Grundriß von ca. 3,90 mal 4,0 m dagegen ist vierseitig mit je einem größeren Schallfenster geöffnet. Von denen das östliche sich freilich in Schallschatten des Langhausdaches befindet. Wahrscheinlich ist früher einmal das Geläut aus der Turmkammer in den Helm versetzt worden, weil man sich eine bessere Schallausbreitung versprach; der Erfolg dürfte dann aber mehr als zweifelhaft gewesen sein. Nach Lage der Dinge und unseren Erfahrungen müßte das Geläut besser hörbar sein, wenn es in der Turmkammer untergebracht wäre, jedoch so hoch, daß die Glockenmündungen in Höhe der Fensterbänke zu hängen kämen. Zur Auflagerung des Glockenstuhles müßten dann Träger neueingezogen werden. Mit der Umstellung des Geläutes in die Turmkammer könnte außerdem soviel Platz gewonnen werden, daß eine kleinere vierte und fünfte Glocke zur Bereicherung der Läutemelodie und der Variationsfähigkeit hinzugefügt werden könnten.

Die Läuteheben sind bei allen Glocken so schwer, bei II und II auch zu lose, sodaß der schweren Klöppel kein gleichmäßiger Anschlagrhythmus zu erzielen ist. Trotz der Führung über Räder sind die Zugseile allzu schnellem Verschleiß unterworfen.

Empfehlungen:
1) Glocke I sollte durch autogenes Schweißen wiederhergestellt werden wie oben angegeben.

2) bei allen Glocken sind die Armaturen (einschließlich Klöppel s.o.) zu erneuern. Soweit die Joche erneuerungsbedürftig sind, sollten sie wiederum in Eichenholz konstruiert werden.

3) Das Geläut könnt in das oberste Turmgeschoß gestellt werden, falls der Baustatiker keine Bedenken gegen die Tragfähigkeit des Mauerwerks hat. Ob hierbei der alte Stuhl nach seiner Renovierung beibehalten werden soll oder durch eine Neukonstruktion - die wiederum in Eichenholz erfolgen sollte - ersetzt wird, hängt davon ab, ob die Gemeinde zusätzlich je eine in leichter Bronzerippe zu gießende cis'-1/16 (ca 200 kg) und dis''-1/16 (ca 140 kg) hinzufügen will. Die Gesamtmelodie fis'gis'-ais'-cis'-dis'' wäre damit auf das Motiv „Veni creator spiritus“ gestellt; die Zahl de brauchbaren Teilkombinationen würde auf rund das Dreifache vermehrt.

4) Bei Umstellung auf Maschinenbetrieb ist vorzusorgen, daß die Glocken nicht zu hoch geläutet werden; die Maschinen sind so einzuregulieren, daß die sehr geschwächten Glocken nicht übermäßig beansprucht werden.

5) Bei Umstellung des Geläutes an das Turmgeschoß wird die Glockenkammer zweckmäßig nach unten hin durch einen dichten Bretterboden geschlossen; nach oben hin wäre sie bis über die Fenster des Turmhelmes offen zu halten, damit auch durch diese der Schall noch abgestrahlt werden kann.

Gez. Schaeben
Amtl. Glockensachverständiger der Erzdiözese Köln.

An das
Hochwürdigste
Erzbischöfliche Generalvikariat

Köln

Abschriftlich
1) dem kath. Pfarramt Kreuzweingarten zur gefl. Kenntnisnahme übersandt.
2) dem Herrn Landeskonservator Rheinland, Bonn unter Hinweis auf den gefährdeten Zustand d. Wertvollen Denkmäler











Festschrift zur Glockenweihe vom 4. Dezember 1988
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