Peter H. Irrgang

Pfarrkirche Heilig Kreuz zu Kreuzweingarten

Kirchenführer und Meditation











Ich komme nicht mehr den Berg hinauf











So kommen wir denn endlich zur letzten Betrachtung. Sie handelt über den Friedhof. Ich habe mir dieses Thema bis zum Schluß aufgehoben, auch wenn ich den Text schon lange mit mir herumtrage, zwar nicht ausformuliert, doch immerhin so, daß ich ihn ohne nennenswerte Unterbrechung herunterschreiben kann.

Unser Friedhof ist sicherlich einer der schönsten in der ganzen Umgebung. Er hat auch seine Eigenheiten, die ihn so liebenswert machen. Zunächst liegt er an der Kirche. Das dürfte bereits Seltenheitswert besitzen. Sodann ist er Durchgangsstrecke für viele, die zum Münsterberg laufen, bzw. von dort kommen. Wenn ein Gang über den Friedhof ein normaler täglicher Gang ist, dann hat man eine ganz andere Beziehung zu dieser Stätte der Ruhe, als wenn man nur zweimal im Jahr zum Friedhof geht. Schließlich ist es ein sehr alter Friedhof mit sehr alten Grabsteinen. Sodann haben wir als einzige der 21 Euskirchener Gemeinden einen eigenen Totengräber und folglich auch keine "Gummistiefelkompanie", wenn jemand beerdigt wird. Hier tragen den Sarg immer noch die Nachbarn, falls nicht eine andere Trägergruppe gefordert ist (Schützen, Feuerwehr, Söhne des/der Verstorbenen etc.).

Was aber hat eine solche Aufzählung von Besonderheiten unseres Friedhofs mit einer Aufsatzsammlung über die Kirche zu tun? Es sind nicht nur die alten Grabsteine, die Pfarrer Reinartz sehr schön im noch erhältlichen Heimatbuch beschrieben hat. Allerdings ist der "Grabstein vom 12. Jahrhundert" fast gänzlich verwittert. Er stammt auch nicht aus dem 12. Jahrhundert. Auch die weiteren 19 Grabsteine sind in keinem guten Zustand. Leider. Vielleicht wird später einmal ein beherzter Bürger die Steine retten. Nur die beiden ältesten Steine von 1598 sind in gutem Zustand. Sie sind aus schwarzem Basalt. Ansonsten bröckelt überall etwas von den Grabkreuzen aus Sandstein ab.











Besonders gerne gehe ich auch zum Friedhofskreuz. Auch dieses Kreuz ist mehrfach beschrieben. Soviel sei wenigstens wiederholt: Es wurde im Jahre 1782 aufgestellt von den Eigentümern des Kapitelshofes. Die Namen sind gut zu lesen. Im Februar 1987 wurde das Friedhofskreuz einer fachmännischen Restaurierung unterworfen. Dabei hat man den Corpus des Kreuzes rekonstruiert nach alten Vorlagen. Die Gottesmutter mit dem von einem Schwert durchstoßenen Herzen war leidlich erhalten, so daß man nichts daran verändert hat.

Geht man den Weg noch etwas weiter, dann trifft man auf das Kriegerdenkmal. Es wurde Anfang der zwanziger Jahre gebaut, angefertigt von Prof. Grasegger und Walter Korde. Die Bildvorlage für das schöne Mosaik stammt von Plotzke aus Walberberg, zu dem der unvergessene Bernhard Becker eine freundschaftliche Verbindung hatte. Das Mosaik stellt den auferstandenen Christus dar. Rechts und links angedeutete Szenen aus dem Krieg und von der ländlichen Heimat, wo die Krieger sehnsüchtig erwartet werden. Die Gefallenen des Ersten Weltkrieges fanden auf einer Kalksinterplatte (Römerkanal) Platz. Die Gefallenen des Zweiten Weltkrieges stehen an der Frontseite dieses Monumentes geschrieben. Das Mosaik und die Halbreliefarbeiten sind sehr wertvoll. Hier versammeln wir uns bei der Friedhofsprozession an Großkirmes und an Allerheiligen, bei der Palmprozession, am Osterfeuer, bei der Kräuterweihe und bei der Gefallenenehrung an Kleinkirmes. Ein schöner Platz für die aufgezählten Gelegenheiten.











Noch immer bleibt die vorhin gestellte Frage unbeantwortet. Vielleicht sollten wir die Grabsteine etwas mehr betrachten. Eine Fülle sehr verschiedener Grabstätten: Holz- und Eisenkreuze, Holz- und Steindenkmäler in kunterbuntem Wechsel überraschen den Friedhofsbesucher. Hier hat man sehr viel für die Verstorbenen übrig. Hier lebt man mit den Toten... Wen wundert es, daß ich gerne über den Friedhof gehe? Am liebsten in der Nacht. Wenn ich wieder einmal bis in die tiefe Nacht hinein gearbeitet habe, dann gehe ich gerne zum Friedhof, um dort die nötige Ruhe zu finden, derweil ich den Rosenkranz für die Verstorbenen bete. Zu dieser Zeit brauche ich keine Sorge zu haben, daß ich einem nächtlichen Heimkehrer auf dem Abkürzungsweg über den Friedhof begegne. Zu dieser Zeit bin ich immer allein gewesen. Es betet sich sehr gut um diese Zeit auf dem Friedhof. Im Mondlicht, aber auch in stockdunkler Nacht, erkenne ich die Grabkreuze gut. Viele der dort Ruhenden habe ich selber beerdigt. So bleibe ich hin und wieder an einem Grab stehen und lasse die Rosenkranzperlen betend durch die Finger gleiten. Wieviele Geschichten könnte ich von den Verstorbenen erzählen!

Der Leser könnte meinen, daß jetzt ein melancholischer Einschlag in dieses letzte Kapitel hineinkommt. Dem ist hoffentlich nicht so. Schließlich waren nicht alle Beerdigungen tragische oder sehr erschütternde Fälle. Sicher gab es hier Dramen, wie sie kaum in dieser Idylle zu vermuten wären. Es gab tragische Fälle, die ein Priester zu meistern kaum in der Lage ist. Aber es gab auch ganz andere Fälle, Menschen, die von ihrem Leiden durch einen gnädigen Tod erlöst wurden, andere, die ein hohes Alter erreicht haben und sanft ins neue Leben eingegangen waren. Einmal war sogar eine ganz drollige Geschichte passiert mit einer Katze, die bei der Beerdigung, als wir gerade den Sarg herabgelassen hatten, über das offene Grab springen wollte und dabei auf dem Sarg landete. Die Verstorbene konnte alle Tiere gut leiden, nur eben keine Katzen. Die Geschichte ging natürlich noch weiter. Sie wird an anderer Stelle erzählt werden müssen.

Was mich bei den Gräbern so lange verweilen läßt, ist nicht eine Art nostalgischer Erinnerung. Ich bin vor allem sehr dankbar, daß ich die meisten bei ihrem Tod begleiten durfte. Hier bleiben die Leute meistens zu Hause, wenn es zum Sterben geht. Diese Besonderheit habe ich oben noch nicht aufgezählt. Sie ist mir aber von ganz großer Bedeutung. Gerne besuche ich die kranken und behinderten Leute. Ich bringe ihnen mit viel Freude die Krankenkommunion. Dabei fällt mitunter dann ein Satz etwa dieser Art: "Herr Pastor, ich komme nicht mehr den Berg hinauf" Gemeint ist damit, daß sie nicht mehr zur Kirche kommen, die sie so sehr lieben. Nun muß der Pastor mit der Kommunion kommen. Oft habe ich den Leuten darin eine Cassette mit der letzten Sonntagsmesse bringen lassen, damit sie mit der Gemeinde verbunden bleiben.

Der Satz aber, daß sie nicht mehr den Kirchberg heraufkommen, wird oft ergänzt mit dem Zusatz: "Beim nächstenmal werde ich getragen." Gemeint ist der Sarg, der auf den Berg und dann zum Grab gebracht wird. Es kann sich kaum jemand vorstellen, wieviel Trost ich als Priester empfangen habe bei der Begleitung Sterbender. Nicht selten beten wir mit den Verwandten und auch Nachbarn den Rosenkranz am Bett der mit dem Tod Ringenden. Ich spreche mit den Dahinscheidenden über das Ewige Leben, über die Barmherzigkeit Gottes. Dann bereite ich sie vor auf die Wegzehrung: Beichte, Krankensalbung und Kommunion. Nicht nur ich, sondern auch die Verwandten spüren viel Freude und immer wieder auch körperliche Erleichterung bei dem oder der Kranken. Es ist so wichtig, daß die Verwandten dem Priester Vertrauen schenken, damit er sich ganz dem priesterlichen Dienst am Sterbenden widmen und ihm helfen kann, die letzten entscheidenden Schritte seines Lebens zu gehen.

Ich habe noch nie erlebt, daß sich ein Sterbender den Sakramenten gegenüber versperrt hätte. Probleme gab es höchstens, allerdings sehr selten, mit Verwandten, die meinten, die Krankensalbung könne warten bis zum Eintritt des Todes. Ein klärendes Gespräch hat auch hier immer geholfen. Die Leute denken manchmal, sie müßten dem Sterbenden verschweigen, daß nun die letzten Stunden gekommen sind. Daher müsse man jede Aufregung vermeiden. Dabei ist es so wichtig für die Sterbenden, sich ganz geborgen zu wissen im Kreis der Familie und der Freunde, wozu unbedingt unser aller bester Freund dazugehört, Jesus Christus.

Diesbezüglich kann ich meine Pfarrei nichts als loben. Der Priester wird in dieser Pfarrei noch rechtzeitig gerufen, wenn die Situation ernster wird. Man ruft noch nachts den Pfarrer aus dem Bett, wenn der Tod "endlich" nach vielen Tagen eingetroffen ist und man erwarten darf, daß der Priester über den Toten Gebete spricht und erste Trostworte für die Familie findet. Manchmal liegt in der puren Erschöpfung der Familie nach vielen durchwachten Nächten die Grundlage inneren Friedens vor, der wie ein Geschenk, ein kleines Dankeschön des oder der Verstorbenen aussieht.

Ich darf die Vermutung ausdrücken, daß man hier einen eigenartig positiven und liebevollen Zugang zum Leben und Sterben hat. Wer über den Friedhof geht und die Gräber sieht und die Atmosphäre spürt, wird meine Beobachtung bestätigen können. Wen wundert dann noch meine Aussage, daß ich in den vergangenen zehn Jahren noch keine Beerdigung mit weniger als zehn Personen Begleitung hatte. Ganz selten weniger als zwanzig. Für gewöhnlich sind es immer sehr viele Menschen, die zum Friedhof zu einer Beerdigung und zur anschließenden hl. Messe -den Exequien- gehen. Auch sieht man die Leute nach den Gottesdiensten gern an den Gräbern ihrer verstorbenen Verwandten stehen. Beerdigungen sind hier noch "dörfliche Veranstaltungen".

Die Einstellung zum Friedhof ist beispielhaft. Am liebsten singt man bei den oben aufgeführten Prozessionen und anderen religiösen Veranstaltungen für die Verstorbenen das österliche Lied: "Jesus, dir jauchzt alles zu." Es weist auf eine erfreulich gute Einstellung zum Leben hin. Vielleicht werden deshalb die Hochzeiten und Taufen hier so herzlich gefeiert.

So haben wir denn allen Grund zum Jubeln. Und wenn an den Festtagen alle Glocken läuten, singen sie den Glockenklang des Liedes: "Freu dich, erlöste Christenheit, freu dich und singe." Der Berg wird mit Recht "heiliger Berg" genannt. Ein Stück der Ewigkeit kann man hier atmen.











... Anhang: Die Tempelritter











Religion und Kirche in der Kirchengemeinde Kreuzweingarten-Rheder ©
Texte und Veröffentlichungen Kreuzweingartens ©

Zurück zur Indexseite
© Copyright woengede