Das Ende
Von Pfarrer Nikola Reinartz † 4.8.54


3. Rückbringung der Kirchensachen und der Diözesanbibliothek 14. und 21. März 1945, Plünderungen und Not.

Johnen vom Broicherhof schickte mir einen zum Beschneiden der Bäume, drei halfen zum Zurückbringen der Kirchensachen, die ich in einer Abteilung des Kellers im Pfarrheim hatte einmauern lassen, wegen der Ungewißheit, ob es hier Kampfgebiet würde. Sie sprachen allerdings den Wunsch aus, auch weiter eigenen Gottesdienst zu haben, was ich allerdings zunächst ablehnte, da ich nicht eine Trennung oder Absonderung wollte. Es kam aber nur ein Teil und schien darum richtiger ihren Wunsch zu erfüllen, um Einfluß zu behalten, mal sie jetzt ihre Lieder singen könnten, was ihnen früher verboten war.

Mittwoch, 14. März. In den vergangenen Tagen war es mir nicht möglich gewesen, regelmäßig Tagebuch zu führen, wegen der sich drängenden täglichen Anforderungen. Auch war es nicht möglich, wegen der vollständigen Abgeschlossenheit stets ein rechtes Bild der Lage zu gewinnen. Heute ist nun nach 8 Tagen die Ausgangszeit erweitert, man darf von 8 - 5 ½ Uhr die Straße passieren. Auch der verbotene Verkehr von Ort zu Ort wird nicht kontrolliert, obwohl außer Gilles, Gebertz und Kessel als Polizisten eingesetzt sind. Ich habe Gilles ein Bild für den Vertreter des Militär-Gouvernment in Flamersheim übergeben, dessen, daß ich mich freuen würde, ihn zu empfangen. Vikar Weyer, der letzten Freitag nach Fl. gegangen war, um Pässe zu erhalten, war abgewiesen worden. Spilles fährt nach Arloff, wo die Dachziegel und andere Vorräte der Fabrik anscheinend auf Abbruch von den Amis gegen Schnaps und Zigaretten abgegeben werden.

Ich komme von Haus Broich. Die Bücher haben vom Regen nicht gelitten, sind aber für jeden Zugriff offen. Einige Kästen sind auch geleert und liegen die Bücher auf der Erde zertreten. Es sollen Amerikaner aber auch Polen dort gewesen sein. Ich will versuchen nach Rücksprache mit Jonen durch die Polen, falls dieselben noch bleiben, dieselben im Kirchturm in Sicherheit zu bringen.

Heute wird erzählt, an der Wasserscheide werde gekämpft, dort versuche eine deutsche Division durchzubrechen. Lebhafte Fliegertätigkeit bei sonnigem, etwas dunstigen Wetter. In Euskirchen waren Wohnungen geräumt für die Amerikaner, auch Schwarze sind dort eingezogen.

Mittwoch, 21. März. In der letzten Woche ist uns ein schweres, außerordentlich segensvolles Werk gelungen. Die in der zerstörten Villa dem völligen Untergang preisgegebene Diözesanbibliothek ist im Keller des Pfarrheims und im Kirchturm in Sicherheit gebracht worden. Gutspächter Johnen hatte Traktor und Wagen und drei ausländische Arbeiter zur Verfügung gestellt, so daß bereits Freitag ein Lastwagen ins Pfarrheim gebracht werden konnte. Da aber über das Verhalten der zahlreichen Polen gegenüber ihren Arbeitgebern manche Klagen laut wurden, und diese sich überhaupt etwas als Sieger fühlten - in meinem Falle war einer der Arbeiter zum Hilfspolizisten gegangen und hatte verlangt, derselbe solle Leute stellen - so rief ich denn am Sonntag die Pfarrgemeinde zur Mithilfe auf und vertraute die Durchführung dem Vorstande der M.C. an. „Die Bergung der Bücherschätze sei wertvoller als wenn die Kollekte des Tages für bedürftige Kirchen 100.000 Mark einbrächte.“ Der Ertrag war allerdings auch ein nie dagewesener, 1370 Mark, aber vor allem war es erfreulich zu sehen, daß etwa zwei Dutzend Helfer aus der ganzen Pfarre Dienstag zur Stelle waren.

Einige Schwierigkeiten machte nur der Verwalter des Landratsamtes, der sich mit seiner Familie im Pfarrheim eingerichtet hatte, lenkte jedoch, als ich mit zwei Vertretern des Kichenvorstandes erschien, ein. Einer derselben war der als Bürgermeister von den Amerikanern bestätigte schon 20 Jahre im Amte gewesene Vorsteher Gilles von Rheder, der nur zwangsweise von 42 an zur Partei gehört hatte, während Dederichs schon 33 nach der Machtergreifung sich angeschlossen hatte, und auch abgelehnt wurde als Stellvertreter.

Inzwischen haben sich auch die Polen wieder an die Arbeit gegeben. Am Sonntag in der eigens für sie anberaumten Hl. Messe erinnerte ich sie daran, daß sie es doch auch den Arbeitgebern verdankten, daß sie im Januar nicht über den Rhein geschleppt worden seien und sich darum jetzt der Freiheit erfreuten. Sie könnten jetzt gehen oder bleiben, wenn sie aber blieben, müßten sie auch arbeiten; „Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen und Müßigung sei aller Laster Anfang. Sie sollten auch nicht Unrecht mit Unrecht vergelten. Unrecht Gut gedeiht nicht und wer nicht den Willen hat, entwendetes Gut zurück zu erstatten, dürfe nicht zur Hl. Kommunion gehen.“

Übrigens wird nicht nur von den Fremdarbeitern geräubert und Haus Broich leer getragen. Auch das Holz der Panzersperren wird von denen die noch so glücklich sind, eine Fuhre zu besitzen, ohne weiteres abgefahren. In den Raum der beschlagnahmten Gegenstände soll auch eingebrochen worden sein, als die Leute gestern ihr Radiogerät zurückerhielten, waren die photografischen Apparate verschwunden. Lagerbestände eines geflüchteten Schuhhändlers wurden in diesen Tagen verkauft und kamen sogar Leute von Firmenich hierher zu kaufen. Einerseits die Furcht vor Plünderungen bei neuen Einquartierungen, andererseits das in die Keller eingedrungene Wasser bringt jetzt bis dahin verborgen gehaltene Vorräte auf den Markt. Die anhaltende trockene Witterung der letzten Tage hat übrigens das Abfließen des Wassers sehr begünstigt; nicht weniger auch die Fliegertätigkeit der Amis.

Gestern soll Koblenz genommen worden sein. Die Ausgehzeit ist bedeutend erweitert und dauert von 6 Uhr bis 6 ½. Eine große Schwierigkeit ist noch der Mangel an Licht und elektrischem Strom; so ist man auch ohne jede Verbindung und Nachricht und weiß auch keiner wieviel Uhr es ist. Auf der Straße stehen jetzt Schwarze Posten, sind aber nicht sehr schroff und schicken die Leute, welche gegen ein Verbot handeln, zurück. Wir haben jetzt Erlaubnis 3 km auswärts zu gehen, so daß der Gottesdienst in der Pfarrkirche jetzt von den Filialen besucht werden kann. Nur die Hauptstraße soll nur mit Gummirädern befahren werden.

Heute haben die Schwestern aus dem von Euskirchen nach der Krispenicher Burg vorlegten Marienhospital bei Anton Dederichs mit der Hostienbäckerei begonnen, da derselbe eingen elektrischen Strom hat, während der vom Berggeist noch aussteht. So dürfen wir denn hoffen, wieder ausreichend versorgt zu werden, da wir schon mit der Dritteillung der Hostien uns hatten behelfen müssen und für die Hl. Messe nur mehr kleine bekamen. Der Mangel an Hostien infolge der Zerstörung so vieler Klöster hatte schon hie und da dazu geführt, daß nur mehr Sonntags die Hl. Kommunion ausgeteilt wurde.

Das Ende des Naziregimes - Ein unveröffentlichter Bericht von Pfarrer Nikola Reinartz
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