Ausgewählte Artikel aus:
650 Jahre Stadt Euskirchen
1302 - 1952
Festschrift zum Stadtjubiläum



Reiner Keller
Der Billiger Wald, das Zentrum der „Euskirchener Beben“


Der Billiger Wald ist umgeben von acker- und wiesenreichen Landschaften. Er ist ein vorgeschobener Teil der nördlichen Schiefereifel und besteht, wie die Waldeifel, aus unterdevonischem Gestein. Als tektonischer Horst erhebt er sich aus den tertiären und diluvialen Nachbargebieten. Allseitig wird der Billiger Wald begrenzt durch Verwerfungslinien, an den sich die einzelnen Erdschollen gegeneinander verschieben. Ein Mantel aus devonischem Schutt hüllt den Horst ein und verdeckt an der Oberfläche die scharfen, hohen Bruchränder. Vor allem in der Eiszeit rutschte viel Schiefermaterial in die Antweiler Senke und gegen das Euskirchener Eifelvorland hin; die Oberfläche dieser Landschaften besteht gegen den Billiger Wald hin seither aus Eifelschutt und ist daher dem Roggen- und Haferanbau zuträglicher als dem Weizenanbau. Die Heraushebung der Billiger Keilscholle muß noch sehr jung sein, wie der Lauf des Veybaches lehrt. Der Veybach kommt aus den mitteldevonischen Kalken der Sötenicher Mulde, tieft sich dann in den unterdevonischen Schiefern und Grauwacken des Mechernicher Berglandes ein und erreicht die Antweiler Senke, die durch den Billiger Horst vom Niederrheinischen Tiefland getrennt wird. Der Veybach fließt nun nicht einfach durch die Antweiler Senke nach Osten zur Erft, er umfließt auch nicht den aus härterem Gestein bestehenden Billiger Horst, obwohl dazu nur eine geringfügige Ausbiegung nach Westen notwendig gewesen wäre, sondern er durchbricht den Billiger Wald in einem antecedenten Durchbruchstal, wie es der Rhein in bedeutend größeren Ausmaßen zwischen Bingen und Bonn geschaffen hat.

Wenn der Billiger Wald sich dem Veybach schon seit ältesten Zeiten entgegengestellt hätte, dann wäre sicherlich ein See entstanden und der Veybach hätte sich einen anderen Ausweg gesucht. Die Talanlage zeigt aber, daß der Veybach älter als der Billiger Horst ist. In gleichem Maße wie sich in geologisch junger Zeit der Billiger Wald ganz langsam heraushob, senkte sich der Veybach in diese Schwelle hinein. Heute benutzt auch die Eisenbahn Köln - Euskirchen - Trier - Saarbrücken dieses enge, waldreiche Durchbruchstal. Die Erft schuf im Ostteil des Billiger Horstes ein ähnliches Durchbruchstal. Die Durchbruchstäler öffneten der Stadt Euskirchen die Nordeifel, wie Straßen und Bahnen , die ihnen folgen, zeigen.

Ursprünglich lag die Antweiler Senke auf gleichem Niveau wie der Billiger Wald, d.h. die Senke war ausgefüllt mit tertiären Ablagerungen, und auch der Billiger Wald dürfte größtenteils mit Tertiär bedeckt gewesen sind. Die Antweiler Senke und der heutige Billiger Wald bildeten als Ganzes eine flachgeneigte Ebene, über deren Tertiärdecke die Erft nach Norden floß. Als sich das Rheinische Schiefergebirge weiter hob, schnitt die Erft bald das Unterdevon des Billiger Horstes an, und es entstand das epigenetische Durchbruchstal der Erft bei Weingarten (Vgl. R. Stickel, 1922). Der Aufschüttungsboden im Eifelvorland wurde immer tiefer gelegt, das Gebirge wurde mehr und mehr gehoben, das Gefälle und die Erosionskraft der Erft bzw der eiszeitlichen Schuttströme, die dem Erfttal folgten, wurden wirksamer. Diese Vorgänge räumten die weichen tertiären Schichten der Antweiler Senke nach und nach aus. Der Billiger Wald ist als weit vorgeschobene Landschaft der Waldeifel auffallend im Landschaftsbild; als isolierter Horst, der jung gehoben und von antecedenten kleinen Flüssen gequert wird, ist er mit variskisch gefaltenen unterdevonischen Schiefern und Grauwackengestein ein Fremdkörper im Vorland der ungefalteten Nordeifler Trias.

An den Verwerfungslinien, die den Horst abgrenzen, gehen heute noch die Bewegungen der Schollen weiter. Plötzliche Verschiebungen an den Grenzen der Erdscholle in der Tiefe führen zu Erdbeben. Erdbeben kommen im Rheinland häufiger vor. Die Gebiete der stärksten Erschütterung liegen an den Verwerfungslinien, die sich noch im Tertiär als sehr aktiv erwiesen (Vgl. die ausführlichere Darstellung von M. Schwarzbach, 1951): an den Rändern des Rurgrabens und des Erftgrabens (z.B. 1949) oder auch in der Fortsetzung dieser Horste und Gräben am unteren Niederrhein, am Viersener Horst, am Horst von Erkelenz-Brüggen u.ä. Nach Schwarzbach hat man im Zeitraum von 1070 - 1951 Kenntnis von insgesamt 268 rheinischen Erdbeben, davon 83 in den letzten 200 Jahren. Viele dieser Beben werden nur von sehr empfindlichen Personen wahrgenommen, jedoch sind Beben der Stärken V - VII nicht selten. Die Erdbebenskala (nach Schwarzbach) kennzeichnet diese Stärken wie folgt:

V. Ziemlich stark. In den Wohnungen allgemein gespürt. Man hat das Empfinden, als falle im Hause ein schwerer Gegenstand um, oder man schwankt mitsamt Stuhl, Bett usw. wie im Schiff bei bewegter See. Hängelampen und dergleichen geraten in pendelnde Bewegung, Uhren bleiben stehen, Bilder an der Wand verschieben sich, leichtere Gegenstände (Nippsachen u.ä.) fallen um, Türen schlagen auf und zu. Vereinzelt flüchten Einwohner ins Freie.

VI. Stark. Von jedermann mit Schrecken verspürt, so daß sich viele ins Freie flüchten. Bilder und dgl. fallen von den Wänden und Regalen. Geschirr wird zerbrochen, Glöckchen schlagen an. Feine Risse im Verputz.

VII. Sehr stark. Selbst schwere Gegenstände können umfallen. Glocken schlagen an. Gebäudeschäden treten auf: leichte Risse in Mauern, Abbröckeln größerer Partien von Putz und Stuck, von Ziegeln und Dachpfannen; einzelne Schornsteine brechen bis zum Dach ab; von hohen Gebäuden fallen Verzierungen herunter.

In den letzten 100 Jahren wurde die Stärke VII erreicht:
am 29.07.1846 (Zentrum bei St. Goar)
am 22.10.1873 (1. Herzogenrather Erdbeben, Stärke VIII!)
am 24.06.1877 (2. Herzogenrather Erdbeben, Stärke VII-VIII)
am 18.08.1878 (Zentrum im Erftgraben bei Oberembt - Elsdorf - Berrendorf - Etzweiler, Stärke VIII; eises der stärksten Beben Westdeutschlands)

An das letztgenannte Beben schloß sich eine 9-monatige bebenreiche Zeit an. Bis 1910 wurden kaum Erdbeben im Rheinland bemerkt, und dann folgten Beben, die nur geringe Stärken erreichten (allenfalls V-VI), so z.B. 1910 (Herd: Hohes Venn), 1926 (Siegburg - Zülpich), 14.1.1928 (Hohes Venn), 13.12.1928 (Erftniederung), 1935 Süchteln - Viersen), 11.7.1949 (Vorgebirge) und 4.11.1949 (Neuwieder Becken). „Übertroffen wurden diese kleineren Beben am 8.März 1950 5.27 Uhr, durch eine weitreichende Erschütterung, deren Herd mit Stärke VI - VII bei Euskirchen lag (1. Euskirchener Erdbeben). Der gleiche Herd wurde fast 1 Jahr später, am 14. März 1951, 10.47 Uhr, aufs neue, aber diesmal erheblich stärker erschüttert. (2. Euskirchener Beben)“ (M. Schwarzbach, 1951). Die Seismogramme und auch die aufgetretenen Schäden weisen bei den beiden Beben auf den Billiger Horst als Zentrum hin. Die Orte Obergartzem und Billig, die unmittelbar an den Verwerfungslinien liegen, wurden am meisten erschüttert. Der geologisch junge Billiger Horst bewegt sich also auch heute noch. Zwar können wir das mit unserem Auge nicht wahrnehmen, aber an der Verwerfung des Rurrandes sollen sich nach dem Beben vom 8.3.1950 Nivellementsunterschiede von 5 mm ergeben haben. (Paus, 1950.) In etwa 5 - 6 km Tiefe, wo die Ursachen der Beben zu suchen sind, traten vermutlich größere Bewegungen auf.

Das 2. Euskirchener Erdbeben erreichte im Gebiet Euskirchen - Mechernich die Stärke VIII. Es war eines der stärksten bisher beobachteten Beben in Deutschland. Schwarzbach charakterisiert die Stufe VIII der 12-teiligen Erdbebenskala, die im wesentlichen von den italienischen Seismologen Mercalli und Cancani aufgestellt wurde, wie folgt:

VIII. Zerstörend. Ganze Bäume schwanken. Schwere Möbel werden von der Stelle gerückt. Statuen usw. nahe dem Boden, auf Friedhöfen usw. drehen sich auf den Postamenten oder fallen um. Klaffende Spalten im Mauerwerk; die meisten Schornsteine fallen ein; Kirchtürme und Fabrikschornsteine können beschädigt werden. Leichte Risse im Boden.

In Obergartzem stürzte ein Teil des Kirchengewölbes ein, am Schulhaus stürzte ein Schornstein herab, auf den Friedhöfen in Kreuzweingarten, Euenheim, Wißkirchen fielen zahlreiche Grabsteine um. In Euskirchen fielen Mauerruinen ein, es gab Mauerrisse; in Mechernich bekam der 126 m hohe Schornstein der Mechernicher Hütte oben ein großes Loch. Einige Personen wurden verletzt. In Köln, Bonn, Aachen und Düsseldorf wurde das Beben noch mit Stärke V wahrgenommen. Das Schüttergebiet reichte bis Braunschweig. Göttingen und Stuttgart, also bis in 300 km Entfernung.



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Edition H.K. September 2002




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