Ausgewählte Artikel aus:
650 Jahre Stadt Euskirchen
1302 - 1952
Festschrift zum Stadtjubiläum



Reiner Keller
Die Sötenicher Kalkmulde, eine alte Kulturlandschaft der Eifel


In unmittelbarer Nähe des Bleierzbergbaues stand vor 100 Jahren die Eisenindustrie in Blüte. Am Rande der Sötenicher Kalkmulde, die eine typische Landschaft der Kalkeifel ist, finden sich bei Weyer, Eiserfey, harzheim und Vussem Brauneisensteinvorkommen, die noch vor 100 Jahren eine bedeutende Eisenindustrie zur Folge hatten. Die großen Waldbestände der Umgebung lieferten die Holzkohle, die seltenen, aber wasserreichen Bäche im Kalkgebiet boten die Wasserkraft für die Hammerwerke. Nach M. Schneider bestanden 1837 in Eiserfey und Vussem 5 Eisenhütten und Hammerwerke, die 12.600 Zentner Eisen herstellten. Einzelne Hütten des Veybachtales werden schon im 16. Jahrhundert urkundlich erwähnt.

Die ungünstige Verkehrslage der Eifler Eisenhütten und die Konkurrenz der modernen Betriebe bei Düren und an der Ruhr führten um die Mitte des vorigen Jahrhunderts zur Stillegung aller Eifler Hüttenwerke, die einmal für die Sötenicher Kalkmulde und auch für die anderen Gebiete der Kalkeifel große Bedeutung hatten. Nur die Jünkerather Gewerkschaft (am Rande der Dollendorfer und Blankenheimer Kalkmulde gelegen) konnte sich durch die Lage an der Eisenbahnlinie Köln-Euskirchen-Trier bis auf den heutigen Tag halten. Die an die Hüttenwerke anschließende verarbeitende Eisenindustrie erlangte im letzten Jahrhundert nirgendwo mehr größere Bedeutung. Dennoch sind die Landschaften der Kalkeifel auch heute noch wie zu allen Zeiten die wirtschaftlich bedeutendsten Gebiete der Eifel. Die Ortsnamen mit Endungen auf –ich, ig und –heim deuten auf römische und frühgermanische Besiedlung hin. Auf den kalkreichen mergeligen Böden gedeihen Weizen, Roggen, Hafer, Kartoffeln und Grünland besser als auf dem lehmigen Verwitterungsboden der Schiefereifel. Ein Querprofil durch eine Eifelkalkmulde und die Randlandschaften zeigt die auffallend scharfe Grenze zwischen Waldland und offenem Land. Auf den Schiefer- und Grauwackenböden sind Laubwald (häufig durchgewachsener Niederwald), künstliche Nadelwaldbestände, Ginsterheiden (Sarothamnus scorpariums) und anderes Ödland vorherrschend.. Zur Kalkmulde hin zieht sich ein Grünlandstreifen am Wald entlang. Hier sind die Böden schon kalkreich, durchweg aber noch sehr feucht. Auf kalkigeren Böden trifft man Trockenrasen, die durch Weide genutzt werden. Der größte Teil der Kalkmulde ist dem Ackerland vorbehalten. Grünland findet sich nur ganz selten an den wenigen Gewässern. Die Kernschichten, die häufig dolomitisiert sind und im Zentrum der mitteldevonischen Kalkmulde liegen, werden nur gelegentlich als Ackerland genutzt; sie liegen häufig brach, mit Trockenvegetation bewachsen. Die natürliche Vegetation der wasserdurchlässigen, trockenen Kalk- und Dolomit-Böden ist der reich ausgebildete Kalk-Rotbuchenwald mit silberrindigen Baumstämmen. Diese Vegetation ist aber durch Äcker, Weiden und Wiesen ersetzt. Auf den Trockenwiesen finden sich reichlich Blaugras (Sesleria coerulea), aufrechte Trespe (Bromus erectus), gefiederte Zwenke (Brachypodium pinnatum), Wundklee (Anthyllis vulnearia) und Hufeisenklee (Hippocredits comosa), Wiesenknopf (Sanguisorba), Sonnenröschen (Helianthemum), Schweinsohr und die kalkliebende Schlüsselblume (Primula officinalis). Die wärmeliebende Vegetation des Eichen-Elsbeerenwaldes findet man auf den nach Süden geneigten Hängen.

So hebt sich pflanzen- und agrargeographisch die Kalkeifel recht gut ab von den Eichen-Hainbuchen und Eichen-Birkenwäldern der „Waldeifel“.

Die Entwässerung der Kalkmulden vollzieht sich vorwiegend unterirdisch. Bäche, die auf dem unterdevonischen Schiefer entspringen, versickern im mitteldevonischen Kalk; im Kalk entstehen durch die Lösungskraft des Wassers „Karsthöhlen“, die gelegentlich einbrechen können und an der Oberfläche Erdfälle, sogenannte Dolinen schaffen. Da die mitteldevonischen Kalke dank der Lösungskraft des Wassers und der Klüftigkeit der Gesteine sehr viel Wasser versickern lassen, sammelt sich dieses über den undurchlässigen Schiefern im Muldeninnern als Grundwasser an. Die Verkarstung der Mulde ist in ihrem Kern, wo sich das Wasser sammelt und wo die reinsten Kalke anstehen, am stärksten. In der Sötenicher Kalkmulde treten besonders an der „Kallmuther-Störungslinie“ Karsterscheinungen auf, da hier das Grundwasser austritt. Hier hat sich auch die Kakus- oder Kartsteinhöhle von Eiserfey gebildet. Bäche findet man innerhalb der Mulde kaum, dagegen viele kleine Trockentälchen. Die Trockentäler westlich von Iversheim und südlich von Wachendorf-Kalkar sind zeugen einer früheren Oberflächenhydrographie, die entweder auf ein anderes Klima oder auf einen früheren, höherliegenden Grundwasserspiegel deuten. In der Eiszeit verhinderte die Bodengefrornis ein Eindringen und Versickern des Wassers und zwang dieses zum oberflächlichen Abfließen und zur Talbildung. Heute liegt der Karstwasserspiegel in der Sötenicher Mulde sehr tief. Urft, Ahr, Erft, Veybach und viele andere Flüsse zapfen heute durch rückschreitende Erosion in starken und beständigen Quellen das unterirdische Wasserreservoir der Kalkmulden an und senken durch stete, fortschreitende Erosion den Grundwasserspiegel der Mulde.

Schon die Römer nutzten die besonderen hydrologischen Verhältnisse der Sötenicher Kalkmulde bei dem Bau der 77 km langen Fernwasserleitung über Eiserfey, Vussem, Breitenbenden, Antweiler, Weingarten, Rheder, Rheinbach nach Köln und Bonn aus. Die Quellfassungen dieser Fernleitung, die vor 19-hundert Jahren gebaut wurde, lagen im Gebiet der Sötenicher Kalkmulde, im Urfttal bei Sötenich und im Veybachtal (Hausener Bach?).

Westlich des Billiger Waldes reicht die Sötenicher Kalkmulde in einer Breite von 1 bis 2 km an die Niederrheinische Bucht heran. Auf den Wiesen bei Kirchheim-Schweinheim, machen zahlreiche kalkliebende Pflanzen darauf aufmerksam. Diese Lücke, die die alte offene Siedlungslandschaft der Kalkeifel zwischen den Billiger Wald und die nördliche Waldeifel bricht, wurde auch von der Römerstraße von Blankenheim über Zingsheim, Pesch, Münstereifel, Kirchheim, Flamersheim nach Bonn benutzt.


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Edition H.K. September 2002




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