Wie dörflich ist Kreuzweingarten heute?

Ein Beitrag zur Sozialstruktur des Ortes
Von Josef Lützeler und Gabriele Rünger


1. Ziele und Aufgaben der Erhebungen


Die Sozialstruktur Kreuzweingartens, d. h. die Zusammensetzung seiner Bevölkerung, ihres Alters und ihrer Wohnverhältnisse hat sich in diesem Jahrhundert grundlegend verändert. Aus einem Dorf mit bäuerlichem Gepräge wurde ein " Vorort" Euskirchens mit einem völlig anderen Gesicht.

Wie sich die Sozialstruktur des Ortes veränderte und wodurch, soll in den folgenden Kapiteln dargelegt werden. Dabei stützen wir uns auf drei Untersuchungen, die Aufschluß über die Ortsstruktur geben.

Zwei Aufzeichnungen stammen von Josef Lützeler aus den Jahren 1913 und 1939, die ersten aus persönlichen Erinnerungen, die zweiten aus Erinnerungen und Befragung mehrerer älterer Einwohner von Kreuzweingarten. Er hielt fest, welche Familien in diesen Jahren in Kreuzweingarten lebten, wieviele Kinder sie hatten, welchen Berufen die Ernährer der Familien nachgingen, wieviele Nutztiere diese Familien hielten und wieviel Ackerland und Grünland bewirtschaftet wurden.

Um diese Daten zu aktualisieren, führte unser Arbeitkreis im Jahre 1989 eine anonyme Umfrage im Ort durch, in der alle Familien nach Alter, Beruf, Kinderzahl, Ort des Arbeitsplatzes und Wohnverhältnissen befragt wurden.

Wir hatten das Glück, daß nur wenige sich weigerten, unsere Fragen zu beantworten. Von neun Familien konnten wir keine ausreichenden Daten erfahren. Dies ergab bei einem gesamten Stichprobenumfang (= Anzahl der befragten Haushalte) von 276 eine Ungenauigkeit von 3,2 %, die so gering ist, daß dadurch die Ergebnisse kaum beeinträchtigt sind.

Was kann man von solchen statistischen Umfragen erwarten? Im Jahre 1987 wurde in der Bundesrepublik eine Volkszählung vorgenommen, deren Ergebnisse z. T. jetzt vorliegen. Sie basieren auf erheblich größeren Gebietseinheiten, z. B. Kreisen und Städten, doch nicht auf so kleinen Einheiten, wie wir dies wollten. Unsere Umfrage . ermöglicht, da sie so speziell durchgeführt wurde, detaillierte Ergebnisse, die denjenigen, die hier wohnen, nicht unbekannt sind, aber doch in dieser Deutlichkeit und vor allem mit Zahlen belegt, überraschend sein werden.

In den 60er Jahren wurde das Dorf Einzugsgebiet der Kreisstadt Euskirchen und als Wohngebiet entdeckt. Der Ort dehnte sich in die Hanglagen und auf ein Hochplateau aus. Dafür typisch ist die Bebauung des Münsterberges: Bis 1960 standen dort 6 Häuser, die alle nach 1945 gebaut wurden. Von 1960 bis 1970 kamen 77 neue Häuser hinzu, danach flaute dieser Boom wieder ab. Von 1980 bis heute wurden noch 3 Häuser gebaut. 1 Diese Entwicklung liegt natürlich daran, daß bald alle Baulücken geschlossen waren, sowie an der zurückgehenden Baukonjunktur in der gesamten Bundesrepublik.

Einen fast identischen Verlauf nahm die Bebauung der Straßen Am Römerkanal und der Hubertusstraße.

Das Dorf vergrößerte sich seit 1960 also rapide um ein Vierfaches. Es ist wahrscheinlich, daß sich damit auch die soziostrukturelle Zusammensetzung der Bevölkerung veränderte.

Die Ergebnisse aller drei Befragungen zeigen die demographische Veränderung des Dorfes, die Veränderung des früheren Bauerndorfes in einen Ort mit vorstädtischem Charakter.


Blick vom Hochkreuz auf den Römerkanal, um 1958



Tabelle 1: Die Haushaltsstärke in Kreuzweingarten



2. Die demographische Struktur des Dorfes zu Beginn des 20. Jahrhunderts


Im Jahre 1913 standen in Kreuzweingarten 49 Häuser, 1939 waren es 60. Alle Häuser befanden sich in den Senken des Ortes, in der heutigen Weingarten-, Antweiler- oder zu Beginn der Hubertusstraße. 1989 zählten wir 253 Häuser. Auf den Karten Nr. 1 und Nr. 2 sieht man deutlich, wie der Ort wuchs.

Ungefähr 250 Einwohner zählte Kreuzweingarten im Jahre 1913; 1939 waren es 270 Einwohner, und 1989 lebten 727 Personen im Ort.

Während sich die Anzahl der Häuser von 49 im Jahr 1913 vervierfachte, wuchs die Bevölkerung nur um ein Dreifaches an. Heute leben in einem Haus in Kreuzweingarten statistisch 2,8 Personen, pro Haushalt beträgt das statistische Mittel 2,6 Personen.

Früher war das anders: Es gab Häuser in denen 2,3 oder 4 Menschen lebten, doch in manchen Häusern wohnten Familien mit 8 bis 10 Kindern. 1913 war dies no,ch normal. 1939 ging die Zahl der Kinder schon deutlich zurück. Die damaligen Wohnverhältnisse sind unserer heutigen Generation nur noch schwer vorstellbar. Die Abbildung S. 172 zeigt ein für diese Zeit typisches Haus mit einer Wohnfläche von ungefähr 50 bis 60 qm. Im Untergeschoß befanden sich Wohnraum und Küche, im Obergeschoß zwei Schlafräume. In diesem Haus lebte zeitweise eine 12-köpfige Familie .


Antweiler Straße 20, abgebrochen um 1952 (Repro Rhein. Bildarchiv)


F. Kuhl stellte in ihrer Untersuchung zur Bevölkerung Weingartens im Jahre 1801 fest, daß die sogenannte "Großfamilie", dies sind Familien, in denen mehrere Generationen zusammenleben, Kinder, Eltern und GroßeItern, in Weingarten eine Ausnahme darstellte. In den beiden Bevölkerungsauflistungen von J. Lützeler aus den Jahren 1913 und 1939 war dies anders:

Im Jahre 1913 waren es 10 Familien, in denen mindestens ein Elternteil, unverheiratete Geschwister oder verwitwete Familienangehörige gemeinsam mit der Familie zusammenlebten. In zwei Fällen wohnten auch die Haushaltshilfen im Haus mit ihren Arbeitgebern zusammen. Nicht berücksichtigt wurden die Landarbeiter, die ja auch in der Familie mitverpflegt wurden und dort wohnten.

1939 wohnten in 21 von 60 Häusern Familienangehörige oder Haushaltsgehilfinnen mit im Haushalt. In 5 Fällen lebten GroßeItern, Eltern und Kinder unter einem Dach und in einem Haushalt. War ein Elternteil verwitwet, so war es die Regel, daß Vater oder Mutter mit einem ihrer Kinder zusammenlebte. Auch mit unverheirateten erwachsenen Geschwistern oder unverheirateten Tanten oder Onkeln lebte man gemeinsam. Im Haus 9 mußten sogar zwei Tanten und ein Onkel mitversorgt werden.

In der heutigen Zeit kommt es in Kreuzweingarten selten vor, daß mehrere Generationen in einem Haushalt gemeinsam leben oder unverheiratete oder verwitwete Verwandte mitversorgt werden. Leben Eltern und Kinder in einem Haus, so wird Wert gelegt auf getrenntes Wohnen. Auch wenn ein Elternteil verwitwet war, kam es 1989 nur in 12 Fällen vor, daß sie mit einem ihrer Kinder und deren Familie zusammenwohnten. Dagegen lebten 34 verwitwete Befragte alleine in ihrem Haus oder ihrer Wohnung. Von diesen waren 27 Personen über 65 Jahre alt.

1913 wurden in 42 von 49 Haushaltungen ein mehr oder weniger großer Teil der Grundnahrungsmittel selbst erzeugt. Alle 42 vorgenannten Haushalte hatten einen Garten und erzeugten vor allem Gemüse und Obst für den Eigenbedarf. 17 Familien bewirtschafteten außerdem kleine Flächen Ackerland und Grünland und erzeugten darauf neben Getreide hauptsächlich Kartoffeln sowie Futter für 1 bis 2 Kühe und Schweine. Wenn sie keine Zugtiere hatten, ließen sie diese Arbeiten von Landwirten mit deren Gespannen machen.

15 Familien im Dorf lebten von der Landwirtschaft. Nach heutigen Begriffen würde man sie als Nebenerwerbs- oder Zuerwerbslandwirte bezeichnen, denn mit Ausnahme von 2 Betrieben waren alle anderen auf einen Zuerwerb angewiesen.

Drei Haushaltsvorstände betrieben eine Gastwirtschaft, einer betrieb ein Holzfuhrwerk, 2 oder 3 Betriebe machten auch Lohnfahrten (meist Sand und Kies für den Straßenbau ), einer war Gemeindediener, zwei hatten eine Kolonialwarenhandlung, und die übrigen arbeiteten, vor allem im Winter, als Waldarbeiter.

Man mußte ca. 12-15 ha Land bewirtschaften, um von der Landwirtschaft leben zu können. Dies war jedoch nur bei 2 Bauern im Dorf der Fall.

Fast alle Haushalte hielten Nutztiere. Dies waren durchschnittlich 10-12 Hühner, 1-2 Schweine. In 31 Haushalten standen Kühe, es waren im Durchschnitt 3-4 Stück in einem landwirtschaftlichen Betrieb, sonst meist eine; 13 landwirtschaftliche Betriebe hielten für die Gespannarbeiten Ochsen, und 2 Bauern besaßen je 2 Pferde.

Diese Verhältnisse waren in den damaligen landwirtschaftlich strukturierten Ortschaften normal. Eine Besonderheit für Kreuzweingarten besteht jedoch darin, daß sowohl 1913 wie auch noch 1939 nur 2 Bauern ausschließlich von der Landwirtschaft leben konnten. In den umliegenden Dörfern waren dies mehr. Eine Erklärung mag in der geographischen Lage Kreuzweingartens liegen: Einmal waren Weide- und Ackerland bei durchschnittlich schlechter Bodenqualität knapp, zum anderen mußten, da das Dorf von Anhöhen umgeben ist, viele Umwege gefahren und gelaufen werden. 3

Auch 1989 zählten wir nur 2 Bauern im Ort, von denen nur einer vom Ackerbau lebt.

In den Jahren 1913 bis 1939 war die Bevölkerung Kreuzweingartens fast ausschließlich katholisch. 1913 lebte eine, 1939 drei evangelische Familien im Dorf. Auch heute sind die Einwohner Kreuzweingartens noch vorwiegend katholisch, 77 % der hier lebenden Familien sind katholisch, 23 % evangelisch oder andersgläubig.



3. Die Berufsstruktur Kreuzweingartens


Heute wie damals ist der Anteil der selbständigen Berufe sehr hoch.

Zwischen 1919 und 1939 hatten folgende Handwerker einen eigenen Betrieb in Kreuzweingarten:

Dachdecker 1
Schmiede/Schlosser 2
Schreiner 1
Schuhmacher 1 (zeitweise 2)
Stellmacher 2
Schneider 1
Zimmermann (mit Sägewerk) 1
Müller 3 (zeitweise 2)

Auffallend vielfältig waren also die handwerklichen Berufe vertreten.

Darüber hinaus gab es noch:

Beamte 2
Angestellte 2
Verwalter 1
Hausierer 1
Fabrikarbeiter 14

1989 gaben bei unserer Umfrage 32 Berufstätige an, selbständig zu sein. 4 Davon waren 8 Selbständige Handwerker, 10 Selbständige waren Akademiker (Ärzte, Rechtsanwälte, Wirtschafts- und Steuerprüfer, Architekten und Ingenieure).

15 Selbständige betrieben ihren Beruf in Kreuzweingarten, 17 gaben an, daß ihr Arbeitsplatz nicht im Ort sei. Zusätzlich kreuzten 11 Berufstätige in unseren Fragebögen die Sparte "Freiberufler" an. 5

Auffallend hoch ist somit die Anzahl der Selbständigen an der Gesamtzahl der Berufstätigen in Kreuzweingarten. Während es im gesamten Bundesgebiet im Jahre 1989 8,9% waren 6, im Kreis Euskirchen 10,8 % 7, ergaben sich in Kreuzweingarten sogar 13,6% Selbständige.

Die Verteilung aller angegebenen Berufsgruppen macht Diagramm 1 deutlich.

Häufigkeit der angegebenen Berufe im gesamten Ortsgebiet (in %)


Nicht nur der hohe Selbständigenanteil ist charakteristisch für die Sozialstruktur Kreuzweingartens, sondern auch der immens hohe Beamtenanteil. Im Bundesgebiet waren 1989 8,7% der Berufstätigen Beamte, hingegen in Kreuzweingarten 14 %, d. h. jeder siebte Kreuzweingartener ist beamtet.

Mehr als die Hälfte, genauer 18 von 33, der Beamten gaben als Beruf Lehrer an. 8

Noch deutlicher ist dieses Ergebnis bei den berufstätigen Frauen im Ort. 12 Frauen gaben an, Beamte zu sein, davon waren 8 Lehrerinnen.

Es ist klar, daß wegen dieser evident hohen Anteile der beiden obengenannten Berufsgruppen der Anteil der anderen Gruppen geringer sein muß. So berechneten wir, daß 14% der Berufstätigen im öffentlichen Dienst angestellt waren, 27,5% in der freien Wirtschaft.

Dies ergibt einen Angestelltenanteil von 41,5 %, der in etwa dem Bundesdurchschnitt von 42,1 % entspricht. 9

Gering ist der Arbeiteranteil in Kreuzweingarten. Er beträgt nur 16,1 % .Dazu liegt im Vergleich der Anteil im gesamten Bundesgebiet bei 38,1 % .

Der Zuzug vieler Familien in den 60er und 70er Jahren brachte einen gravierenden strukturellen Wandel in Kreuzweingarten mit sich. Wir haben deutlich gemacht, daß gerade die Berufsgruppen der sogenannten Oberschicht im Ort überrepräsentativ vertreten sind. Es läßt sich auch nachweisen, daß die Konzentration dieser Berufe in den Neubaugebieten viel höher ist als im Ortskern. Die beiden Kreisdiagramme (Diagramme 2 und 3) beweisen dies.


Diagramm 2

Häufigkeit der angegebenen Berufe im Neubaugebiet (in %)


Diagramm 3

Häufigkeit der angegebenen Berufe im Ortskern (in %)



In unserer Befragung interessierte uns auch die Pendlerbewegung der Berufstätigen. Wir fanden heraus, daß der größte Teil der berufstätigen Haushaltsvorstände in der Kreisstadt Euskirchen und in deren näherer Umgebung arbeiten. In Kreuzweingarten selbst arbeiten 12,8% der Berufstätigen. Da Kreuzweingarten nur wenige Arbeitsplätze bietet (weder eine Fabrik noch ein größerer Handwerksbetrieb sind hier ansässig), sind dies wohl zum größten Teil Selbständige, die im Ort arbeiten.

Fast alle (nämlich 88,5 %) der Berufstätigen benutzen ihren eigenen PkW, um zum Arbeitsplatz zu gelangen. Erstaunlich wenige benutzen die öffentlichen Verkehrsmittel, obwohl die Verbindung zur Kreisstadt mit Bus und Bundesbahn ausreichend versorgt ist. Nur 5 Fahrgemeinschaften existieren im Ort. Verwunderlich, da doch der Großteil der Berufstätigen in die gleiche Richtung fährt.



3. Die heutige Altersstruktur


Ein weiteres Charakteristikum Kreuzweingartens liegt in der Altersstruktur des Dorfes. Auch diese Besonderheit entstand erst durch den Zuzug in den 60er und 70er Jahren, wie später bewiesen wird.

Uns liegen Zahlen der Volkszählung 1987 aus dem Bundesgebiet und aus dem Kreis Euskirchen zum Vergleich vor. Bei unserer Befragung machten wir jedoch eine andere detailliertere Einteilung der Altersklassen.


Tabelle 2: Die Altersstruktur Kreuzweingarten 1989 9


Tabelle 3: Die Altersstruktur Kreuzweingartens, des Kreises Euskirchen und der Bundesrepublik in %


In Kreuzweingarten übersteigt der Anteil der älteren Bevölkerung, also der Menschen ab 60 Jahre, den Anteil der jungen, d. h. den der Einwohner bis 18 Jahre, deutlich.

Dieses Merkmal der Kreuzweingartener Sozialstruktur wird noch deutlicher, wenn man die Anzahl der Rentner, auf die in unserer Befragung ausdrücklich Wert gelegt wurde, mit der Anzahl der Kinder bis 18 Jahre vergleicht:

170 Personen in Kreuzweingarten sind Rentner oder Pensionäre. Dies macht einen Anteil von 23,4% an der Gesamtbevölkerung des Ortes aus.

127 Kinder bis einschließlich 18 Jahre konnten wir zählen. Dies ist nur ein Anteil von 17,5 % der Gesamtbevölkerung.

Signifikant bei der Untersuchung der Altersstruktur Kreuzweingartens ist der Unterschied zwischen Ortskern und Neubaugebiet. 11

Vergleicht man wieder nur die Zahl der Kinder mit der Zahl der über 60jährigen, so ergibt sich :

Im Ortskern lebten am Stichtag unserer Befragung 69 Kinder bis 18 Jahre und 59 Personen, die älter als 60 Jahre waren. Hier kann man wohl kaum von einer Überalterung des Gebietes sprechen.

Wie sieht jedoch dieses Zahlenverhältnis in den Neubau-/Zuzugsgebieten aus ?

58 Kinder stehen 132 Einwohnern über 60 Jahren gegenüber. Dieses unausgewogene Zahlenverhältnis zwischen alt und jung drückt sich in Prozentzahlen so aus: 12,9 % der Bewohner der Neubaugebiete sind unter oder genau 18 Jahre alt, aber 29,5% der Bewohner sind über 60 Jahre alt.

Im Diagramm 4 "Altersstruktur" fällt außerdem die große Gruppe der 19-30jährigen in den Neubaugebieten auf, die 16,5 % der Einwohner dieses Gebietes ausmachen. Dies sind all die erwachsenen Kinder über 18 Jahren, die ihren ersten Wohnsitz bei ihren Eltern haben. Die Anzahl der Kinder bis 18 Jahre ist in den Neubaugebieten genauso hoch wie die Anzahl der erwachsenen Kinder, die noch im Hause der Eltern leben (57 über 18 Jahren, 58 unter 18 Jahren).


Altersstruktur

Anzahl


Diese ungünstige Altersstruktur in den Kreuzweingartener Neubaugebieten, die ja den Altersberg in der gesamten Bundesrepublik weit übertrifft, resultiert aus der speziellen Struktur des Ortes. Viele derjenigen, die in den 60er und 70er Jahren zugezogen sind, im Ort neubauten, ein Haus kauften oder mieteten, sind heute beinahe oder bereits im Rentenalter. Heute spielen nur noch wenige Kinder auf den Straßen des Münsterberges, vor 20 Jahren waren dies noch sehr viele.

Dieses Charakteristikum ist sicherlich kein kurzfristiges Phänomen. Denn dieser Trend wird sich in den nächsten Jahren noch vergrößern, das Durchschnittsalter in diesen Gebieten des Ortes noch höher werden.



4. Die Wohnstruktur


Im letzten Teil unserer Haushaltsbefragung wollten wir Aufschluß über folgende Fragen gewinnen: Seit wann leben die befragten Familien in Kreuzweingarten? Wie ist das Zahlenverhältnis zwischen einheimischer und zugezogener Bevölkerung? Wann und wieviele Häuser wurden in Kreuzweingarten gebaut?


Blick vom Hochkreuz auf den Münsterberg, um 1955


Um die erste Frage zu beantworten, bedurfte es einer Begriffsdefinition: Ab wann gilt ein Einwohner Kreuzweingartens als Einheimischer? Wir kamen überein, daß wir als "Kreuzweingartener" diejenigen bezeichnen wollen, deren direkte Vorfahren (Eltern und/oder GroßeItern) hier zuhause waren oder sind, also diejenigen, die seit Geburt hier wohnen. Dies ist ein "Kreuzweingartener" im engsten Sinne. Mit dieser Begrenzung des Begriffes stießen wir jedoch dann bei der Auswertung der Fragebögen auf Schwierigkeiten. Sind nicht auch diejenigen, die 50 oder mehr Jahre hier leben, heute Einheimische? Wir einigten uns, daß der, der schon von 1945 bis heute in Kreuzweingarten lebt, auch als Einheimischer im strengen Sinne bezeichnet werden kann.

Da wir ja die Haushalte, d. h. die Familien befragten, gilt eine Familie als einheimisch, wenn die o. g. Kriterien für mindestens einen der Partner zutreffen.

Nach diesen Definitionen nun zu den Ergebnissen:

Von 283 befragten Familien waren 85 (= 30,0 %) einheimisch.

198 (= 70,0 %) der Familien waren nach 1945 zugezogen.


Tabelle 4: Einheimische und Zugezogene in Kreuzweingarten


Tabelle 5: Anzahl der zugezogenen Familien in Kreuzweingarten nach 1945


Tabelle 5 gibt Aufschluß, wann die meisten Familien nach Kreuzweingarten kamen:

Diese Tabelle macht noch einmal deutlich, wieviele Familien in den 60er und 70er Jahren hierherzogen und dadurch das Aussehen und die Struktur des Dorfes völlig veränderten.

Ein anderes Ergebnis macht die Veränderung der Sozialstruktur noch deutlicher:

175 Familien leben in den Neubaugebieten, darunter 32 (= 18,3 %) einheimische Familien, die sich dort ein Haus bauten, im Ortskern dagegen sind von 108 dort wohnenden Familien 53 Familien (=49,1 %) alteingesessene Kreuzweingartener.

Ähnliche Ergebnisse bringt eine Aufschlüsselung über die Anzahl der neugebauten Häuser in Jahrzehnten. 12


Münsterberg im November 1966, Blick nach Süden


Tabelle 6: Anzahl der Neubauten in Kreuzweingarten



Interessant sind auch noch die Fragen, ob die befragten Familien ihre Häuser selbst bauten, sie kauften oder mieteten.

Im Ortskern mußte man auch berücksichtigen, daß viele Häuser seit Generationen im Familienbesitz sind, somit nicht gekauft, sondern ererbt wurden. Wir zählten 23.

Der größte Teil der Häuser in den Neubaugebieten (60 %) wird auch von ihren Erbauern bewohnt. 19% der Häuser wurden bereits wieder verkauft, und dies oft nicht nur einmal. Einige Häuser wechselten innerhalb der letzten 25 Jahre 3-4 mal ihren Besitzer.

Die meisten Kreuzweingartener leben in einem Eigenheim. Es gibt 42 vermietete Wohnungen im Ort. Da es hier nur 2 Mietshäuser mit mehreren Wohneinheiten gibt, sind die vermieteten Wohnungen demnach Einliegerwohnungen oder Hausteile, die die Besitzer selbst vermieten.

Zum Zeitpunkt unserer Befragung (Herbst 89) standen 2 Häuser leer, wieviele Wohnungen leer standen, nicht genutzt wurden, konnten wir natürlich nicht feststellen.

Die Ergebnisse dieses Kapitels unterstreichen noch einmal die vorausgegangenen Thesen. Gravierend für die Struktur des Ortes ist die Konzentration der Einheimischen im alten Dorfkern gegenüber den Zugezogenen in den Neubauvierteln.


5. Zusammenfassung und Schlußbemerkungen


Ein Dorf zu typisieren machte bis vor einigen Jahrzehnten keine Schwierigkeit, wenn die dort lebende Bevölkerung vorwiegend in der Landwirtschaft tätig war, als Haupt- oder Nebenerwerb, so war dieser Ort ein "Bauerndorf" im klassischen Sinne. 13

So kann man Kreuzweingarten sicherlich als ein Dorf in diesem Sinne bis zum Jahre 1945 bezeichnen. Diese Sozialstruktur eines Dorfes umfaßte Vollbauernstellen, Kleinstellen, die über die Nutzung des eigenen Landes hinaus freie Arbeitskraft für die Vollbauern bereitstellten, sowie die traditionellen dörflichen Handwerks- und Dienstleistungsbetriebe (Schmied, Stellmacher, Gastwirt u. a. 14

Diese Struktur hatte Kreuzweingarten bis zum Ende des 2. Weltkrieges. Durch eine zunehmende Mobilität der Bevölkerung (Flüchtlinge, Zwangseinweisungen u. a. im und nach dem 2. Weltkrieg) veränderte sich die geschlossene Dorfstruktur erstmals durchgreifend. Das Dorf war nicht mehr vorwiegend agrarisch strukturiert, viele mußten sich Berufe in anderen Bereichen suchen. Doch die handwerklichen und dienstleistenden Betriebe waren in den Stichjahren 1913 und 1939, wie nachgewiesen, und auch später zahlreich vorhanden. Bis zum Jahre 1960 gab es z. B. noch drei Lebensmittelgeschäfte im Ort.

Was ist von diesem Charakter heute noch geblieben? Im Jahre 1989 läßt sich weder von einer landwirtschaftlich noch von einer handwerklich geprägten Sozialstruktur reden, denn nur noch wenige handwerkliche, dienstleistende oder landwirtschaftliche Betriebe sind im Ort anzutreffen.

Heute ist Kreuzweingarten kein Dorf im traditionellen Sinne mehr, sondern ein Ortsteil Euskirchens. Borcherdt bezeichnet diese Dörfer als " Wohndörfer" oder "Auspendlerdörfer", "da der größte Teil der Erwerbstätigen (...) im Dorf zwar wohnt, aber zur Arbeit nach anderen Orten fahren muß." 15 Dies betraf in unserer Untersuchung 87,2% aller Erwerbstätigen Kreuzweingartens. Die Veränderung der demographischen Struktur des Ortes vollzog sich nicht erst durch die Eingemeindung, sondern durch den Zuzug vieler Familien nach Kreuzweingarten im Laufe der 60er Jahre, und erst recht in späteren Jahren.

Heute ähnelt die Struktur des Ortes der aller umliegenden Orte, es ist kaum eigenständiges Gepräge vorhanden. Beherrschend ist heute die mittel- bis oberständische Sozialstruktur in den Neubauvierteln. Das frühere Dorf wird nicht zuletzt dadurch in zwei Gebiete geteilt: den alten Ortskern, in dem vermehrt, wie nachgewiesen, die Einheimischen leben, und die Zugezogenenviertel. 16

In den vorangegangenen Kapiteln wurde nachgewiesen, daß auch die soziale Schichtung, die Altersstruktur und die Berufsstruktur in den beiden Teilen Kreuzweingartens unterschiedlich ist. So ist es verständlich, daß eine Integration der Bevölkerung, ein Zusammenhörigkeitsgefühl, in einem solchen Ort oft schwierig ist.

Der Ort teilt sich in zwei unterschiedliche Hälften: den alten Ortskern und die Neubaugebiete mit völlig unterschiedlichem Gesicht. Im Ortskern herrscht heute z. T. noch die geschlossene Bauweise des alten Dorfes vor, sie wurde zwar durch den Abriß einiger alter Häuser durchbrüchen, vor allem im Bereich des heutigen Dorfplatzes an der B 51, doch das Aussehen des früheren Bauerndorfes blieb größtenteils erhalten. Die Neubaugebiete gleichen anderen vorstädtischen Siedlungen. Unsere Untersuchung konnte sogar nachweisen, daß auch die Sozialstruktur in den beiden Teilen Kreuzweingartens unterschiedlich ist.



Quellen und Literatur


Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik, Institut der Deutschen Wirtschaft, Köln 1990
Ergebnisse der Volkszählung 1987, Statistische Berichte des Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 1989
Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden 1989
Statistische Angaben für kreisfreie Städte und Kreise des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 1983
F. Fürstenberg, Die Sozialstruktur der Bundesrepublik Deutschland, Köln/Opladen 1972
Christoph Borcherdt, Ist das Dorf heute noch bäuerlich geprägt?, in: Das Ende des alten Dorfes?, Stuttgart 1980
Lothar Merkelbach, Wie wirtschaftliche Interessen die Dorfgestalt gefährden, in: Das Ende des alten Dorfes ? Stuttgart 1980



Anmerkungen

1) vgl. dazu den chronologischen Bebauungsplan im Anhang
2) Diese Zahlen wurden der Bevölkerungsliste von 1801, F. Kuhl, in diesem Band entnommen. Die Anzahl der Haushalte entsprach in der Regel der Anzahl der Häuser. Wenn mehrere Generationen oder nichtverheiratete Verwandte unter einem Dach lebten, so führte man einen gemeinsamen Haushalt.
3) vgl. Karte "Bodenqualität"
4) In unserer Umfrage wurde nach einer Berufsangabe oder einer Einteilung in verschiedene Berufsgruppen gefragt. Als Berufsgruppen boten wir zum Ankreuzen folgende an: Beamte im einfachen, gehobenen oder höheren Dienst, Facharbeiter, gelernte oder ungelernte Arbeiter, Selbständige, Freiberufler und Angestellte in der freien Wirtschaft oder im öffentlichen Dienst.
5) Wenn zusätzlich auch die Gruppe Selbständige angekreuzt wurde, wurden diese Personen zu den Selbständigen gezählt.
6) Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik, Institut der Deutschen Wirtschaft, Köln 1990
7) Ergebnisse der Volkszählung 1987, Statistische Berichte des Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 1989, S. 60
8) Es kann durchaus sein, daß die Anzahl der Lehrer im Ort noch höher ist, da ja bei unserer Erhebung nicht unbedingt der Beruf angegeben werden mußte, sondern eine Ankreuzung der Berufsgruppe genügte.
9) Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung der BRD, Institut der Deutschen Wirtschaft, Köln 1990, Tab. 11
10) vgl. dazu das Diagramm 4
11) Diese Zahlen stammen aus dem Statistischen Jahrbuch für die BRD, Wiesbaden 1989, S. 52 und für den Kreis Euskirchen aus den statistischen Berichten (Volkszählung 1987), a. a. 0., S. 56 12) s. dazu Diagramm 4 und Tabelle 2
13) vgl. dazu auch die Karte im Anhang, die zeigt, wann und in welchen Zeitabschnitten die Häuser Kreuzweingartens gebaut wurden.
14) C. Borcherdt, Ist das Dorf heute noch bäuerlich geprägt? , S. 26
15) vgl. dazu j. Bohnen, Handel, Handwerk und Gewerbe, S.
16) C. Borcherdt, S. 26
17) vgl. dazu auch L. Merkelbach, Wie wirtschaftliche Interessen die Dorfgestalt gefährden, S. 81


Entnommen: „1100 Jahre Wingarden“ - Kreuzweingarten 893-1993


Texte und Veröffentlichungen Kreuzweingartens ©

Zurück zur Indexseite
© Copyright woengede