Das Kreuzweingartener Krippenspiel

Analogien, Quellen, Volksfrömmigkeit

Von Hermann Josef Kesternich


". ..geschrieben ist es einzig für unsere lieben Dorfkinder." So ist in einem von B. Becker auszugsweise veröffentlichten und kommentierten Abdruck zum Kreuzweingartener Krippenspiel im Euskirchener Volksblatt zu lesen 1. In seinen einleitenden Worten schreibt er: " Wer sich 14 Jahre lang der Krippe und dem Krippenspiel mit Leidenschaft ergeben hat. ..sammelt langsam eine große Erfahrung und eine Fülle von Gedanken. " Diese Gedankenfülle kann nur bestätigt werden, da verschiedene, voneinander leicht abweichende, Versionen des Krippenspiels vorliegen.

Zur Entstehung des Krippenspiels gibt es keine gesicherten Unterlagen. Es ist anzunehmen, daß es Mitte bis Ende der Zwanziger Jahre konzipiert und immer wieder variiert wurde. Zunächst fanden die Aufführungen vor der Krippe in der Villa Becker in Kreuzweingarten statt, später im Jugendheim. Das Stück wurde auch noch während der Nazi-Herrschaft aufgeführt und der damaligen Situation angepaßt: in der Begrüßungsszene durch die Engel wurde handschriftlich in den Text eingefügt:

" Wir grüßen das deutsche Vaterland
und den, der es führt mit starker Hand."



A. Skizzierung des Inhalts


Das Spiel ist in drei Akte gegliedert: 1. Anbetung der Hirten, 2. Die Könige auf dem Weg nach Bethlehem, 3. Anbetung der Könige. Durch einen Prolog, in dem Engel und Teufel in das Geschehen der heiligen Nacht einführen, wird in das Stück eingestlmmt.

Die Sprache der Hirten ist Kreuzweingartener Mundart; Engel und Teufel, Könige und ihr Gefolge sprechen Hochdeutsch, das für heutige Ohren teilweise schwülstig klingt und wegen seiner Diktion über weite Passagen schwer verständlich ist.

Das in Reimform geschriebene Krippenspiel hat bei Ausspielen aller Szenen eine Länge von ca. 90 Minuten. Doch nicht nur das gesprochene Wort hat einen hohen Stellenwert in dieser Dramatisierung des Weihnachtsgeschehens, auch die Musik ist durch Schalmeienklänge und (für den heutigen Geschmack etwas süßlich klingend) das Krippenlied der Engel in das Spiel mit hineingenommen. Wortwahl und Sprache lassen vermuten, daß Becker nicht der Autor dieses Wiegenliedes ist. Daneben enthält das Krippenspiel zwei Tanzszenen: den Hirtentanz im Anschluß an die Botschaft des Engels im ersten und den Bändertanz der Kinder vor der Krippe im dritten Akt.


...Wea kan-t bejriife
Wea kan-t beschriive
Dat des Hemels Jnaadeböt
Wuet usjeschöt
Dat dröp net,
Dat räänt net,
Dat köt jevlose.
On et saus,
On et braus
Wi Hemelsschlose.
Wea scholtbelaade
Reen sich kan baade:
Mächtich schüüs dä Jnaadestroom
Vom Hemelssdoom.

Das Publikum selbst wird mit hineingenommen in das Spiel um die Geburt Jesu, indem es aufgefordert wird, die bekannten Weihnachtslieder mitzusingen. Auffallend an dem Krippenspiel ist, daß die Hauptpersonen, Jesus, Maria und Josef, nur als Krippenfiguren eine Rolle spielen, sie selbst spielen nicht, alles dreht sich um sie. Durch diese dramaturgische Entscheidung vermeidet Becker jegliche Kitscheffekte und kann sich um so mehr der subtilen Zeichnung seiner Charaktere aus dem dörflichen Milieu widmen. Die Altersstruktur der Hirten reicht vom Greis über die mittlere Generation bis zu den Dorfkindern, vornehmlich dargestellt durch drei Zwillingspaare (Hommage an den Kinderreichtum des Dorfes, den Becker, selbst kinderlos, kommentiert: "Gesegnetes Dorf" 2. Der Hirte Hannes sagt in einer Krippenspielversion dazu, daß im nächsten Jahr gar zehn Zwillinge im Dorf seien, die mitspielen könnten).

Im ersten Akt stellt Becker den Gegensatz Dorf - Stadt heraus; diese Klischeevorstellung findet ihren Ausdruck in dem unzufriedenen Tommes, der einige Zeit in der Stadt verbracht hat und "bolschewistisch verseucht") ist und dem bibelfesten Vater sowie den genügsamen Brüdern. Sowohl besinnliche wie auch deftige Szenen ziehen das Publikum in ihren Bann. In diesem Zusammenhang ist die Rolle der Triina zu erwähnen, der es zufällt, für das leibliche Wohlergehen der heiligen Familie zu sorgen, indem sie feststellt:

An Döreftichkeet ös alehant hee los.
Ern Körefje han ich Meal, Aie on Schmalts,
Eatse, Bone, dat nüedije Salts
Vür dat Enere mötjebraat.
Vü dat Üsere han ich paraat
E kleen jehääkelt Jäkche
On e schön jestrek wärem Däkche.

Geschickt versteht es der Autor, das 2. Kapitel des Lukasevangeliums auf Kreuzweingartener Gebiet zu verlegen: Maria und Josef treten nur in der Erzählung von Drekes und Kööbes auf, bleiben selbst unsichtbar.

Die bange Frage des Kööbes, ob der Heiland wohl in Kreuzweingarten geboren wird, wagt Hannes nicht zu beantworten; er fürchtet die Reaktion der Bewohner von KaIkar, Broich und Rheder. Doch Drekes weiß die Antwort:

Överal, wo se richtich Wainachte viere,
wit dä Heiland jeboare.

Im zweiten Akt, wo König Balthasar erst durch den Hasenfuß und Möchte-Gern-Helden Ben Hassan in die Rolle der hoheitsvollen und überlegenen Majestät gebracht wird, reicht die Spannungskurve von der Schilderung des Herannahens der übrigen Könige mit ihrem Hofstaat durch Ben Hassan zu dem burlesken Auftritt des bramarbasierenden Berobarb, Leibwächter des verschlagenen Königs Herodes. Die blasierten Schriftgelehrten finden umständlich heraus, was sich den einfachen Hirten längst offenbart hat.

Der dritte Akt zeigt die Krippe in der Dreikönigstag- Fassung. Triina, die das Herz auf der Zunge trägt, reicht auf dem Weg zum Ööskereche Maat Lebensmittel herein; die Dorfkinder verwandeln mit ihrem Bändertanz die Szene zu einer Pastorale, die jäh unterbrochen wird: der Farbige Ben Hassall will sich seinen Spaß mit den verängstigten Dorfkindern erlauben, die den Anblick eines Schwarzen mit dem Auftreten des Teufels gleichsetzen. Doch mit kindlichem Vertrauen in die Hilfe des Erzengels Michael und der den Dorfbewohnern eigenen Gelassenheit wird auch diese Szene gemeistert. Die Könige kommen, um dem Kind ihre Reverenz zu erweisen.

Der Reiz des Krippenspiels hat verschiedene Wurzeln; erwähnt wurden bereits das nur indirekte Hineinbeziehen der hl. Familie, die Hineinnahme von Wort, Tanz und Musik in das Geschehen und der Wechsel zwischen dramatischer Spannung und komischen Szenen. Wohltuend ist die Schlichtheit der Sprache der einfachen Leute. Sie ist der Situation des Geschehens angepaßt. Es geht Becker nicht um Effekthascherei, wenn er sich der Mundart bedient. Die Sprache der Dorfleute ist ungekünstelt, verständlich, ohne verbale Kraftakte, wie sie leider vielfach in Mundartstücken anzutreffen sind.

Doch das allein macht nicht die Aussagekraft der dramatischen Komposition aus. Hier muß endlich darauf verwiesen werden, daß es Becker gelungen ist, ein Krippenspiel zu schreiben, in dem sich die Dorfbevölkerung auch heute noch selbst erkennt. Die Zeiten mögen sich zwar geändert haben, das aber, was das Dorf ausmacht, ist geblieben: die Verwendung der Mundart als Muttersprache sowohl der Darsteller als auch der Zuhörer, die Straßen und Flurbezeichnungen, die (freilich heute abgemilderte) Rivalität zu den Nachbarorten, die Auflehnung gegen soziale Ungerechtigkeit, das Fertigwerden mit dem Unabwendbaren, die im Unterbewußtsein verankerte Volksfrömmigkeit. Nicht zuletzt sei erwähnt, daß das Verantwortungsbewußtsein des Dorfes angesichts von Not und Armut überall in der Welt auch heute ähnlich ausgeprägt ist wie die Hilfsbereitschaft der Charaktere in Beckers Krippenspiel, kurz gesagt, im Kreuzweingartener Krippenspiel findet der einheimische Zuschauer seine eigene Identität.



B. Quellen und Analogien zum Kreuzweingartener Krippenspiel

Im folgenden soll der Versuch unternommen werden, die Anregungen aufzuspüren, die Becker in seinem Krippenspiel verarbeitet hat. Ich beziehe mich dabei auf den Text, der von Kreuzweingartener Kindern 1984/85 zum letzten Mal aufgeführt worden ist; der Text stand als Schreibmaschinenmanuskript zur Verfügung.

Wer sich mit Beckers Krippenspiel auseinandersetzt, ist geneigt Analogien zu suchen, um herauszufinden, woher der Ideenreichtum kommt, der in das Stück verwoben ist. Ob die angeführten Beispiele aus der Literatur mit den Quellen Beckers identisch sind, sei dahingestellt; jedenfalls lassen sie Rückschlüsse zu, über die der Leser sich selbst ein Urteil bilden möge.

Dem eigentlichen Spiel geht die Begrüßung der Zuschauer durch die Engelfürsten Michael und Gabriel voran :


Um euch christtäglich zu rühren,
Wollen ein Spiel wir aufführen
Von der heiligen Nacht,
Die so wunderbar das Heil uns hat gebracht.

Wer fühlte sich hier nicht an den Prolog i m Jedermann erinnert, in dem das Spiel so angesagt wird: 3

Jetzt habet allsamt Achtung, Leut,
Und hört, was wir vorstellen heut!
Ist als ein geistlich Spiel bewandt,
Vorladung Jedermanns ist es zubenannt.

Anschließend verkündet der Erzengel Gabriel in Anlehnung an Lk 1, 28-38 das Geheimnis von der Geburt des Gottessohnes, um in das Spiel einzuführen. Doch noch ist es nicht soweit: zuerst hat der Erzengel Michael den Kampf mit drei Teufeln zu bestehen. In den Evangelien nicht erwähnt, ist Michael Repräsentant eschatologischer Weissagung, die wir u. a. im Buch Daniel oder in der Apokalypse des Johannes finden. Und apokalyptisch wird es im Vorspiel mit Ritze-Ratze, Flitze-Flatze und Kritze- Kratze, die sich im Teufelsreigen gegen die Botschaft von der Erlösung der Menschen verschwören. Noch ist die Erde nicht erlöst, der Konflikt zwischen dem Reich des Bösen und dem Reich Gottes scheint sich zuzuspitzen. Die Szene beginnt mit der Frage Flitze-Flatzes:

In drei Teufels Namen, seid ihr da?

Schon bei diesem ersten Vers wird der Zuschauer an die Hexenszene in Macbeth 1.1.1. erinnert:

Wann kommen wir drei uns wieder entgegen?

Flitze-Flatze fordert zum Teufelsreigen auf:

Gebt die Tatze eurem Bruder Flitze-Flatze.
Teufel drehen sich im Kreise
Nach des Satans alter Weise.
Alles drehen sie herum :
Was gerade ist wird krumm
und was gut ist, das wird schlecht,
So will es der Höllenknecht...
Freude ist uns das Verderben,
Menschenbrut und Hölle-Erben
Urla, urla, urlala.

In Macbeth 1.3.32 ff. schließlich lesen wir:

Unheilsschwestern, Hand in Hand
Ziehn wir über Meer und Land.
Rundum dreht euch so, rundum.

Der Tanz der Hexen wird beendet durch die Aufforderung 1.3.37.:

Halt! Der Zauber ist gezogen.

Das Ziehen des Kreises bedeutet, daß der Zauber nun beginnen kann. Im Krippenspiel entspricht dieser Vers der Stelle, an der Ritze-Ratze einen Kreis zieht und sagt:

Husch, in des Teufels Kreis !

Gegensatzpaare wie gerade - krumm, gut - schlecht, Freude - Verderben begegnen uns auch in Macbeth 1.1.4.:

wenn die Schlacht verloren und gewonnen ist

und 1.1.10.:

schön ist häßlich, häßlich schön.

Selbst der lautmalerische Teufelsruf Urla, urla, urlala erzeugt Assoziationen zum hurly-burly (1.1.3.) bei Shakespeare, (das in der deutschen Fassung mit, Wirrwarr' übersetzt wird).

Nachdem St. Michael mit seinem Schwert die Teufel in die Flucht geschlagen hat, beginnt der 1. Akt: Anbetung der Hirten.

In einem Monolog führt der Hirte Hannes in Jahreszeit und Ort der Handlung ein: eine klare Winternacht in Wöngede und bitterkalt. Die Herde ist auf dem Mönsteberech und wird "von Maanes, dem Bruder bewacht. Tommes gesellt sich dem gedankenverlorenen Hannes zu. Bald geraten die beiden über die Zeitläufte in Streit. Drekes, der betagte Vater, und Köbes, der jüngere Bruder, gesellen sich zu den beiden, und Drekes meint, in der ,Natur eine große Himmelssehnsucht zu verspüren'. Wie zum Beweis seiner Worte kräht mitten in der Nacht der Hahn, der doch sonst den anbrechenden Tag begrüßt, und Drekes meint:

Sälefs di onvenöneftich Diere
Schengen jät devon tse spüere.

Den anschließenden Disput unter den Brüdern über die Bedeutung des Hahnenschreis möchte Drekes beilegen:

Me Jroosfate vetsool os of,
Wä-me des oovents en de Schtof
Tsesamesoose am wäreme Heat,
Wän de Messias kääm op de Eat,
En dea Tsit däät de Haan de jantse Naach dörechsönge.
Dan hält hä Waach - net leet sich vönge
Ne schlöme Tsaube, keene bööse Jais jeng öm
-
Di Häkse schleefe, de Düüvel wea jebant - on dröm
Wearen esu häl on kloa di Näächte en dea Tsit,
Su dat jeede öantlich spüet, dä Heiland ös net wit.




Krippenspielaufführung 1985


Diese Stelle ist in Hamlet 1.1.157 -164. vorgebildet:

Sie sagen, immer, wann die Jahreszeit naht,
Wo man des Heilands Ankunft feiert, singe
Die ganze Nacht durch dieser frühe Vogel;
Dann darf kein Geist umhergehn, sagen sie,
Die Nächte sind gesund, dann trifft kein Stern,
Keine Elfe faht, noch mögen Hexen zaubern:
So gnadenvoll und heilig ist die Zeit.

Im Buch Ijob 38,36 heißt es:

Wer verlieh dem Ibis Weisheit,
oder wer gab dem Hahn Einsicht?

Die Ägypter schrieben dem Hahn die Gabe der Vorhersage zu: er kündigte den Tag an.

Tommes läßt sich nicht beschwichtigen und Drekes versucht nun, den Unzufriedenen zu überzeugen :

Strahlen wird an jenem Tag ein großes Licht,
On Israel wird wohne voller Zuversicht.
Wolef on Lamm bewohne eine Heide,
Schaf on Wolef ziehn auf einer Weide.
Aufjehen wird Jerechtigkeit,
Die Bäreje träufele voller Süßigkeit.

Diese Verse sind ein Zusammenschnitt von Worten des Propheten Jesaja, bei dem es heißt:

...über denen, die im Land der Finsternis wohnen strahlt ein Licht auf. (Jes.9.1)
...dann wohnt der Wolf beim Lamm (Jes. 11.6)
...er richtet die Hilflosen gerecht und entscheidet für die Armen wie es recht ist (Jes. 11.4.)

Sinnbildlich wird das messianische Zeitalter als eine Wiederkehr paradiesischen Friedens beschrieben.

Die Verkündigung an die Hirten bezieht sich auf das 2. Kapitel bei Lukas. Der Stern, den Triina, die Schwester von Drekes, am Stall entdeckt, geht auf Matthäus 2.1-11 zurück: " ... Und der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, zog vor ihnen her bis zu dem Ort, wo das Kind war; dort blieb er stehen."

Damit ist auch der Übergang zum 2. Akt gegeben: Die Könige auf dem Weg nach Bethlehem. Ort des Geschehens ist eine Anhöhe bei Jerusalem. Der Stern spielt nun die herausragende Rolle. Becker gibt uns schließlich mit Jesaja 9.1 und mit Micha 5.1 selbst die Prophetenstellen an, die auf den Messias aus Israel und auf Bethlehem als Geburtsort des Erlösers hinweisen.

Der dritte Akt spielt wieder in Kreuzweingarten, Anlaß genug für den Autor, Triina eine wunderbare Begebenheit erzählen zu lassen:

Tsöngk mie di hailije Famiilije möt Bote on Aia vesoreje
Bruche mie nii mii irejents tse boreje...
Wii dä Witwe von Sarepta er Meal em Döpe
On dat Ööl em Krooch sich net däät äschöpe,
Su dat se däm Elias, dä bei ie wont,
Düchtich Aiekooche bake kont,
Jenau su jet et os möt Bote on Aie.

Diese Szene ist gemäß 1 Könige 17.12-16 nachgestaltet, wo ausgesagt wird, daß der Mehltopf der Witwe von Sarepta nicht leer wurde und der Ölkrug nicht versiegte, wie der Herr durch Elija versprochen hatte.

Übermütige Freude erfaßt die Kinder beim Besuch der Krippe und sie tanzen einen Bändertanz, der jäh durch den schwarzen Diener Ben Hassan unterbrochen wird. Die Kinder fürchten, Ben Hassan, verwegener Diener der Könige, wolle das Kind töten. Kööbes faßt seine Angst in den Worten zusammen:

Ich jlööf, dä hailije Michel hät
de Düüvel jelose von de Kät.

Ben Hassan will sich einen Spaß erlauben und tut, als ob er die Kinder aufspießen wollte. In ihrer Not flehen sie zum hl. Michael:

Korn erfaf möt dengem Schweat
On hau de Düüvel aan de Eat.
On säts em esu ärech tse Liif,
Dat weede Schtup noch Schtäts devon bliif.

Bei Wrede, Eifeler Volkskunde, lesen wir: ,Noch im 19.Jh. bezeugten die Michelsberger Pilger ihre Glaubensstärke auf sehr naive Weise. Mitten in jedem Ave Maria des Rosenkranzgebetes sprach der Vorbeter in der Bittprozession:

"Hellijer zank (Sankt) Mechel möt dämm Schweat (Schwert),
Hou dr Düvel bos (bis) aan de Eat" (Erde )

und das Volk, ganz erfüllt von der Teufelsvorstellung, und das Heilige noch mehr zu sich herabziehend, verstärkte die Bitte durch den Zusatz:

Un satz im (ihm) esu jar (so sehr) zu Liev,
Dat nit Strupp noch Stätz drvan bliev". 4

Soweit die Stellen, die B. Becker sicherlich bei der Abfassung des Kreuzweingartener Krippenspiels inspiriert haben. Erst durch diese Fülle von Bezügen erhält das Krippenspiel seine Dichte und Vielfalt.

Leider ist es heute immer schwieriger, Kinder zu finden, die der Muttersprache ihrer Vorfahren noch mächtig sind. Doch sollte der Reichtum an Poesie und Glaubensgut Ansporn genug sein, die Tradition des Kreuzweingartener Krippenspiels weiterleben zu lassen.



Anmerkungen


* Die zitierten Mundartstellen des Krippenspiels wurden in Rheinische Dokumenta übertragen, eine Lautschrift, die es ermöglicht, die gesprochene Sprache möglichst exakt festzuhalten.
Die Bibelzitate sind der Einheitsübersetzung entnommen.

Die Shakespeare-Zitate sind der Übersetzung nach Schlegel/Tieck entnommen.

1) Euskirchener Volksblatt 1934, Nr. 18ff.
2) ebd.
3) H. v. HofmannsthaI, Jedermann 1911
4) A. Wrede, Eifeler Volkskunde, 1960, 5.177/8



Nachtrag


Das Theaterspiel stand in Kreuzweingarten in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung in hoher Blüte. Nicht weniger als 16 Theateraufführungen verzeichnet das Protokollbuch der Marianischen Jungmännerkongregation zwischen 1920 und 1934. Die Aufführungen standen nach den Presseberichten auf sehr hohem Niveau, so daß die Weingartener Laienspielgruppe Einladungen von außerhalb bekam, um auch dort ihr Können zu zeigen. Die Thematik der aufgeführten Stücke entspricht dem Zeitgeist dieser anderthalb Jahrzehnte: neben patriotischen Werken wie " Wilhelm TeIl" (1921), "Fried im Land" (1923), "Andreas Hofer" (1927), " Volk ohne Heimat" (1930) und Lustspielen wie "Kleider machen Leute" (1920), "Johann als Rentier" (1924 ), "Budenzauber", "Eckensteher Nante", "Heini, schläfst du schon?" (1922) kamen auch Heimatstücke zur Aufführung: "Der Köhlerbub vom Veybachtal" (1925), "Im Strudel der Großstadt", " Wenn du noch eine Mutter hast" (1926 ). Glaubt man den Presseausschnitten, so beruhte der gute Ruf der Kreuzweingartener Theaterspieler aber vor allem auf dem Gebiet des Laienspiels, dessen Thematik im geistlichen Drama des Mittelalters, in den Mysterien-, Oster- und Fastnachtsspielen des Spätmittelalters wurzelte. Die Laienspielbewegung entstand vor dem Ersten Weltkrieg aus der deutschen Jugendbewegung. Pfarrer Nikola Reinartz war zweifellos ein Förderer des Laienspiels, wie aus den Titeln der ebenfalls aufgeführten Stücke hervorgeht. "Jerusalem" , ein Passionsspiel (1924 und 1925), "Hauptmann Jaguar", Kulturkampfspiel aus Mexiko (1928), "Jedermann. Das Spiel vom Leben und Sterben des reichen Mannes" (1930), "Die Nacht des Hirten" (1930), "Dreikönigsspiel" (1931), "Memento - im Totentanz unserer Zeit" (1934 ).


Jedermann-Aufführung, 1930


Neben diesen Theaterstücken wissen die älteren Dorfbewohner sich auch noch an die Aufführung des "Dr. Faustus" zu erinnern, "ein deutsches Spiel in Reimen", das von Bernhard Becker geschrieben wurde und mit großem schauspielerischen Erfolg aufgeführt wurde.

Aus dem Jahr 1921 liegt ein Schreibmaschinenmanuskript von Max von Mallinckrodt mit dem Titel "Ein Weihnachtsspiel" vor, das sicherlich ebenfalls in Kreuzweingarten aufgeführt worden ist.

Anläßlich der Namensgebung "Kreuz-"weingarten wurde das "Festspiel zu Ehren der Erneuerung des Namens Kreuzweingarten" geschrieben, dessen Verfasser unbekannt ist. "Zeit der Handlung ist etwa das Jahr 70 n. Christi Geburt. Ort der Handlung: Das mit Schilf und Dickicht bewachsene Tal der Erft an der Mündung des Mersbaches" heißt es in der Regieanweisung.

Nach dem 2. Weltkrieg gründete Lehrer Heinrich Gasch zwar eine neue Spielschar, die über Kreuzweingarten hinaus Erfolg verbuchte, nach seinem Weggang aber wurde das Theaterspielen in Kreuzweingarten nur noch sporadisch gepflegt; schließlich war es die Freiwillige Feuerwehr, die auf ihren Kameradschaftsabenden in der Vorkarnevalszeit meist derbe Luststücke aufführte. Anfang der 80er Jahre ist auch diese Tradition erloschen.


Entnommen: „1100 Jahre Wingarden“ - Kreuzweingarten 893-1993 - Mai 1993


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