Kirche, Katholiken und Nationalsozialismus in Kreuzweingarten

Von Dr. Gabriele Rünger


I. Problemstellung und Zielsetzungen


Am 16. Juni 1936 drohte der nationalsozialistische Reichspropagandaminister Joseph Goebbels in einer Rede, ihm sei jedes Mittel recht, die katholische Kirche zu vernichten, solange sie eine eigenständige "Autorität neben oder gar über dem Staat“ bleiben wolle. 1

Alle Maßnahmen der Nationalsozialisten zielten darauf ab, die katholische Kirche vom öffentlichen Leben und Einfluß zurückzudrängen. Ihr sollte der erzieherische und fürsorgliche Einfluß auf den Menschen genommen werden, sie sollte ihre Tätigkeit innerhalb der Kirchenmauern enden lassen. Konkretes Ziel dieser Politik war eine Trennung des Kirchenvolkes von der Institution der Kirche. Denn beide, Nationalsozialismus und katholische Kirche, erhoben einen "totalen Anspruch auf Sinngebung des Lebens und Gewissensformung". 2

Da sich die katholische Kirche dem Gleichschaltungsdruck des Regimes von Anfang an widersetzte und als unabhängige Organisation einer Großgruppe überdauern konnte, war sie ein erklärter Feind der Nationalsozialisten. "Sie setzte der NS-Herrschaft nichtnationalsozialistische Normen und Verhaltensweisen entgegen, vermittelte ein anderes Weltbild" 3, das christliche Weltbild, das dem nationalsozialistischen diametral entgegenstand. Die katholische Kirche erkannte ihrer Lehre nach den Träger der Staatsgewalt als legale Obrigkeit an, dem ein Anspruch auf staatsbürgerlichen Gehorsam zusteht. Wollte die Kirche also weiterbestehen, so mußte sie den Weg der "partiellen Kooperation" 4 suchen, wie sie es im Reichskonkordat tat. Sie ging nicht den Weg des aktiven Widerstandes, denn ihr vorrangiges Interesse war der Schutz ihrer Gläubigen. So war sie bereit, ihren Wirkungsraum zu verkleinern, doch ihren Anspruch auf die Erziehung ihres Volkes gab sie niemals auf.

In Kreuzweingarten amtierte in dieser Zeit Pfarrer Nikola Reinartz, der die Gegensätze und die Konfliktstoffe mit den Nationalsozialisten von Anfang an erkannte. Er hielt sich an die Verhaltensrichtlinien des Generalvikariats, tat alles, um in seiner Gemeinde eine praktische Glaubensausübung zu ermöglichen, betrieb intensive Seelsorge um jeden einzelnen seiner Gläubigen, und besonders lag ihm die religiöse und weltanschauliche Erziehung der Jugend am Herzen. Wie er dieses Bemühen verwirklichte, mit welchen Schwierigkeiten dies verbunden war, soll im folgenden Text erörtert werden.

Das Verhalten der Katholiken in Kreuzweingarten muß von mehreren Seiten beleuchtet werden: Zunächst von der Neigung her, sich dem NS-Gedankengut auch schon vor der Machtergreifung zu öffnen. Eine Wahl dieser Partei muß als solche Neigung angesehen werden. L. Waldman behauptete, daß die NSDAP die wenigsten Stimmen in ländlichen katholischen Gebieten erhielt. 5 Gehörte demnach Kreuzweingarten zu den Orten, die sich als immun gegen diese Partei erwiesen?

Als besonders resistent erwiesen sich die Katholiken, die eng mit der Kirche verbunden waren und ihren Glauben praktizierten. Untersucht werden muß also auch die Glaubenstreue der hiesigen Katholiken anhand der kirchlichen Statistiken und anhand der Aussagen der Pfarrer.

Gab es in Kreuzweingarten, wie allgemein auf dem Dorfe üblich, noch andere gesellschaftliche Bindungen und Vereine, die im Leben der Bevölkerung eine Rolle spielten? Ließen diese Vereine sich gleichschalten? Waren sie Sprachrohr des Nationalsozialismus oder konnten sie unabhängig bleiben?

In den folgenden Abschnitten soll es nicht um die politischen oder vertraglichen Auseinandersetzungen der katholischen Kirche mit dem Nationalsozialismus gehen, sie bilden den Hintergrund und die Erklärung für manche Verhaltensweisen. Geschildert werden die Auswirkungen der NS-Verordnungen auf die Katholiken, welche Einschränkungen der Alltag eines katholischen Gläubigen durch den Nationalsozialismus erfahren mußte und wie die Bevölkerung in Kreuzweingarten darauf reagIerte.



2. Quellenlage


Durch viele schriftliche Quellen ist der Informationsstand über das Leben in Kreuzweingarten in den Jahren 1933 bis 1945 fundiert. Die wichtigste Quelle verdankt man dem damaligen Pfarrer Nikola Reinartz, der in seinem Tagebuch "Mein Kampf" seine Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus, den hiesigen Parteimitgliedern und der Haltung der Gemeinde kommentierte. Darüber hinaus bietet das Pfarrarchiv viele schriftliche Quellen aus dieser Zeit: Briefe des Pfarrers, Notizen, Bekanntmachungen, Hirtenbriefe, die Pfarrchronik und vieles mehr.

Auch über das Vereinsleben im Dorf ist man durch Protokollbücher gut informiert. Einzige Lücke sind die Quellen über die Parteimitgliedschaften. Hier können nur die Aufzeichnungen des Pfarrers und mündliche Zeugenaussagen gewertet werden.



3. Die Wählerschaft der NSDAP


Wie in vielen Untersuchungen der Nachkriegszeit diskutiert und mittlerweile erwiesen, hing die Neigung, die NSDAP zu wählen, sich für diese Ideen zu begeistern, von folgenden Faktoren ab :

1. Vorwiegend Wähler der Mittelklasse, Selbständige, Handwerker, mittlere Angestellte und Beamte wählten ab 1930 die Nationalsozialisten.

2. Jungwähler, Neuwähler und die Wähler, die nicht fest an eine Partei gebunden waren, also keine Stammwähler waren, entschieden sich vermehrt für die NSDAP.

3. Entscheidender Faktor war die Konfession. Die meisten Stimmen konnte die NSDAP in protestantischen ländlichen Gebieten erzielen, die wenigsten in katholischen ländlichen Gebieten. 6

Eine Untersuchung stellte sogar fest, daß ein Zusammenhang zwischen der Bekenntnistreue der Katholiken und der Stimmenzahl der NSDAP bestand. Die praktizierenden Katholiken (d. h. die Katholiken, die regeImäßig zum Gottesdienst und zur Kommunion gingen) waren traditionell an die Zentrumspartei gebunden und erwiesen sich als resistente Wählerschaft gegen den Nationalsozialismus. 7

In den Orten, in denen der Anteil der SPD oder der Anteil der Zentrumspartei hoch war, konnte die NSDAP kaum Stimmen gewinnen. In diesen Gemeinden, in denen zusätzlich die Bindung der Bevölkerung an die Kirche besonders hoch war, konnte man in den Jahren 1930 bis 1933 ein Bollwerk gegen den Nationalsozialismus errichten. "Nur in Verbindung mit Kirche, deren Organisation und traditioneller vermehrter Zentrumswahl konnte die katholische ländliche Bevölkerung sich dem Sog des Nationalsozialismus entziehen.“ 8

Der Wahlbezirk Kreuzweingarten-Rheder gehörte bis einschließlich zur letzten "demokratischen" Wahl der Weimarer Republik am 5. März 1933 zu den Orten, in denen die Zentrumspartei stärker war als die NSDAP. In allen Wahlen seit der ersten Reichstagswahl der Weimarer Republik am 6. Juni 1920 gewann das Zentrum die meisten Stimmen in Kreuzweingarten. Bis 1932 waren dies jeweils zwischen 80 und 90% aller gültigen Stimmen.

Auffällig waren die Reichstagswahlen am 14. September 1930. Bei dieser Wahl verlor die Zentrumspartei 8,4% ihrer Stimmen, gleichzeitig gewann die NSDAP 10,2 % aller Stimmen. Ein Zusammenhang liegt wohl nahe. Doch viel mehr Wähler konnte die NSDAP auch in den folgenden Wahlen der Jahre 1932 (Landtagswahl am 24. April 1932, Reichstagswahl am 31. Juli 1932, Reichstagswahl am 6. November 1932) nicht zu sich herüberziehen. 9

Die Märzwahl 1933 konnte man nicht mehr unter den Bedingungen einer freien demokratischen Wahl sehen. Die NSDAP mobilisierte soviele Wähler, wie sie nur konnte. Die NS-Kampfverbände gingen dabei rigoros vor. So war die Wahlbeteiligung natürlich hoch.

In Kreuzweingarten-Rheder gingen an diesem Sonntag 284 Wähler zur Urne. Dies machte 88,75% aller stimmberechtigten Einwohner aus. Auch in Kreuzweingarten schloß man sich langsam der neuen Bewegung an. 28,2% der Wähler wollten die "nationale Revolution" unterstützen. Stärkste Partei war aber immer noch die Zentrumspartei. Sie dominierte in allen Wahlen, ihre Vorherrschaft konnte bis zuletzt nicht gebrochen werden.

Kreuzweingarten gehörte zu den Orten, für die die Theorie zutrifft, daß nur dort, wo eine traditionelle Zentrumswahl mit einer Verbundenheit zur Kirche bestand, große NSDAP-Gewinne vermieden werden konnten.

Auch ein Vergleich mit den umliegenden Orten Billig, Antweiler, Wachendorf, KaIkar, Stotzheim und Arloff, die eine ähnliche Dorfstruktur aufwiesen, bestätigt, wie wenig empfänglich dieses Dorf für den Nationalsozialismus bis zur Märzwahl 1933 war.

Arloff und Billig beugten sich 1933 den in diesen Dörfern schon gut organisierten NSDAP-Verbänden, die vor dieser Wahl eine entsprechende Mobilisierung der Wähler für sich durchführten.

Noch auffallender als der niedrige NSDAP-Stimmenanteil in Kreuzweingarten-Rheder war der Anteil der Zentrumspartei: Sie war im Vergleich mit anderen Orten des Kreises in Kreuzweingarten besonders manifestiert. 10

Der Konflikt zwischen den zentrumstreuen Katholiken und den überzeugten Nationalsozialisten war konzipiert.

Wie wichtig die Rolle des Kreuzweingartener Pfarrers Nikola Reinartz war, wird man in den nächsten Kapiteln sehen. Er bemühte sich mit aller Kraft, die Verbundenheit seiner Gläubigen an die Kirche zu erhalten und zu festigen. Kreuzweingarten war sicherlich kein Widerstandszentrum, auch wenn Pfarrer Reinartz besonders stolz war auf "Kreuz-Nein-Garten".

Reinartz berichtete über eine Wahl (Abstimmung) im Frühjahr 1938: "Es wurden in Weingarten etwa 20 ,Nein' -Stimmen - wozu noch viele eigentlich ungültige Stimmen zu rechnen waren - offiziell bekannt gegeben, mehr als in der ganzen Stadt Euskirchen. Es kam daher, daß der Sohn des Wahlleiters, der dem Vater etwas zu bestellen hatte, über der Zählung das Wahllokal betreten und das Gehörte im Wirtslokal gleich zum Besten gegeben hatte, so dass sich nichts vertuschen ließ. Darüber dann große Wut bei den Nazisten als über eine persönliche Blamage. Kreuzweingarten wurde in Kreuzneingarten umgetauft." 11

Offiziell veröffentlicht wurde dieses Ergebnis nicht. Akten über die Abstimmungen in nationalsozialistischer Zeit sind nicht vorhanden, und den Zeitungsmeldungen dieser Zeit darf kein Vertrauen geschenkt werden. Dieses Wahlergebnis war nur in Kreuzweingarten bekannt.

Die im Ort lebenden Nazis wollten diejenigen, die mit Nein gestimmt hatten, anprangern und stellten am Karfreitag an einem hohen Mast in einem Garten eine Strohpuppe als Judaszeichen gut sichtbar auf. Pfarrer Reinartz bat vergeblich, den "Popanz" abzunehmen. Erst als der im Ort lebende Fabrikant Becker, der selbst Parteimitglied war und Einfluß bei der Euskirchener Parteileitung hatte, energisch bei der Kreisleitung Protest gegen diese Puppe einlegte, mußte sie wieder abgenommen werden. Nicht nur die Dorfbewohner spotteten nun über diejenigen, die die Strohpuppe aufgestellt hatten, auch die am Karfreitag in Kreuzweingarten ankommenden Pilger zeigten nur Entrüstung. 12






4. Das Vereinsleben in Kreuzweingarten


Kreuzweingarten war also kein guter Nährboden für NS-Gedankengut. Dies zeigten die geringen Wählerstimmen für die NSDAP. Doch vielleicht gelangen der NSDAP in solchen Dörfern später Erfolge? Immun war man nur dort gegen den Nationalsozialismus, wo die Bevölkerung eingebunden und verankert war in den Katholizismus.

Wir müssen also unbedingt einen Blick werfen auf die kirchlichen und nichtkirchlichen Vereine und ihre Mitglieder.

Zunächst sollen die " weltlichen Bindungen" der Dorfbewohner erörtert werden, d. h. das Vereinsleben im Dorf, hinter dem ja kein ideologischer, weltanschaulicher Anspruch für die Vereinsmitglieder steht, aber das gesellschaftliche Leben eines Dorfes mitprägt.

Zwei Vereine mit guter Resonanz existierten in der Vorkriegszeit in Kreuzweingarten, der Junggesellenverein und der Turn- und Sportverein. Die Tätigkeiten beider Vereine sind in Protokollbüchern dokumentiert.

Sicherlich können solche Vereine kein Bollwerk gegen den Nationalsozialismus errichten, wie dies die katholische Kirche tun konnte. Gesellschaftliche und gesellige Vereine haben ja auch ganz andere Ziele.

Es ist jedoch wichtig zu sehen, wie lange und in welcher Art diese beiden parteiunabhängigen Vereine sich behaupten konnten gegen die totale Erfassung der Menschen im NS-Staat. Welche Existenzberechtigung fanden diese Vereine noch nach 1933 neben den NS-Verbänden, die ja für alle Interessen, Altersstufen und Berufsgruppen eine Organisationsmöglichkeit geschaffen hatten? Doppelmitgliedschaften waren ja anders als bei den kirchlichen Vereinen nicht mit Schwierigkeiten verbunden. Aber welche Bedürfnisse konnte z. B. der Junggesellenverein neben all den NS-Jugendverbänden noch erfüllen? Eine andere Frage ist, ob sich die Strömungen der neuen Zeit in den beiden Dorfvereinen niederschlugen. Welche Auswirkungen hatte der Nationalsozialismus auf die Vereine?

Darüber hinaus bietet die Schilderung des Vereinslebens einen guten Einblick in das Dorfleben in dieser Zeit, in Streitigkeiten, Gruppierungen und Traditionen.



a) Der Junggesellenverein


Am 22. Mai 1913 wurde in Kreuzweingarten ein Junggesellenverein gegründet. Erklärtes Ziel dieses Vereins war die Pflege und Förderung der Geselligkeit. Er stand dem kirchlichen Jungmännerverein, der Marianischen Jünglingskongregation, entgegen und wurde vom damaligen Pfarrer Dünner nicht gerne gesehen, ebensowenig von dessen Nachfolger Pfarrer Reinartz.

Reinartz schrieb 1928 im Protokollbuch der Kongregation: "...Pfarre noch geschlossen bei der Kongregation (eine Geschlossenheit, die freilich schon vor dem Kriege durch die Gründung des Junggesellenvereins beeinträchtigt wurde.)" 13

Die ersten Schwierigkeiten für den Junggesellenverein traten bald nach der Vereinsgründung auf. Der Wirt Spilles lehnte es ab, sein Wirtshaus dem Verein als Vereinslokal zur Verfügung zu stellen mit den Worten: "Er wolle sein Haus reinhalten." 14 Sein Lokal wurde ja auch schon von der kirchlichen Kongregation genutzt bis zum Bau des Jugendheimes im Jahre 1920.

Der Junggesellenverein fand dann einen Versammlungsort beim Wirte Friedrich Bohnen.

Als erstes wurden Fahnen und Mützen angeschafft. Die wichtigste Aufgabe des Vereins war die Ausrichtung der Maikirmes im Dorf. Dazu mußte ein Tanzzelt beschafft werden, ein Festzug wurde organisiert. Bräuche, die schon seit dem 17 Jh. im Voreifeler Raum bekannt waren, z. B. das Mailehen und das Herausholen der Kirmes wurden gepflegt und gehörten nun zu den Traditionen des Junggesellenvereins. Auch das Hahneköppen gehörte traditionell zu den Aktivitäten des Vereins. 15

Man nahm regeImäßig an Kirmesfeiern der umliegenden Orte teil und beteiligte sich an Preisfähndelschwenken, bei denen der Fähnrich Josef Hoffmann recht erfolgreich war.


Mitglieder des Junggesellenvereins


Während des 1. Weltkrieges ruhte das Vereinsleben. 1919 belebte man den Verein wieder neu. In den Jahren nach 1920 wurde das Vereinsleben ruhiger, der Junggesellenverein zählte 1921 nur noch 13 Mitglieder, in den Jahren 1922 und 1923 stellte der Verein sogar seine Tätigkeiten ein und hielt keine Versammlungen mehr ab. Nach der Gründung eines Turnvereins in Kreuzweingarten im Jahre 1924 mußte der Junggesellenverein wieder aktiver werden, wollte man sich das Ausrichten der Kirmes und den Erlös nicht von diesem neuen Verein aus der Hand nehmen lassen. 1925 einigte man sich mit dem Turnverein über die Benutzung des Tanzzeltes und damit über das Ausrichten der Kirmesbälle. "Sonntag und Dienstag hatte der Junggesellenverein den Ball für sich, während er ihn des Montags dem neugebackenen Turnverein überließ." 16

Den Festzug richteten ab 1925 beide Vereine gemeinsam aus. Vom Ertrag der Feste veranstaltete man oft Ausflüge zu den Sehenswürdigkeiten der Umgebung. Geleitet wurden die Ausflüge von Lehrer Lagier.

Ab 1932 organisierte der Verein auch eine Karnevalssitzung im Dorf, die zahlreich besucht wurde.

Ab 1933 beklagte man dann, daß die Vereinsaktivitäten, so die Jahrestour, nicht mehr so abliefen, wie man es früher gewohnt war. Ein vorsichtiger Hinweis auf den Einfluß der neuen Zeit? Die Unzufriedenheit ging weiter: 1934 wurde ein Saal am Brauhaus gebaut, wo seitdem der Kirmesball stattfand. Ausrichter war damit natürlich der Gastwirt. So hatte der Verein nur noch wenige Möglichkeiten, seine Kasse zu füllen: durch Mitgliederbeitrag und Mailehenverkauf. Bald schlief dann auch das Vereinsleben nach einer Versammlung am 24. Mai 1934 zunächst einmal ein. Man traf sich zwar noch, um den Mailehenverkauf durchzuführen, doch ab 1937 ist keine Tätigkeit des Junggesellenvereins mehr bekannt. Das Protokollbuch endet 1937 mit der Eintragung: "Kirmesbetrieb verlief nicht so wie wir uns das vorgestellt hatten und gewohnt waren." 17

Ein solcher dörflicher Verein hatte es schwer, seine Existenz neben den parteilichen Jugendverbänden (HJ etc.) zu behaupten. Eigenständige dörfliche Traditionen fanden im Nationalsozialismus keine Existenzberechtigung mehr.

Während all der Jahre, in denen der Junggesellenverein existierte, läßt sich auch die Mißbilligung der Pfarrer über die "Zechgelage" und die nächtlichen Ruhestörungen verfolgen.

Pfarrer Reinartz beklagte 1925: "Darf ich aber auch hoffen, daß Ihr mal so vernünftig werdet, diese Eure Zechgelage, bei denen es immer wieder zu Trunkenheit, nächtlichem Skandal, Versäumnis des Gottesdienstes am Sonntag gekommen ist, abzuschaffen oder wenigstens in den gebührenden Schranken zu halten?" 18

Die Kirmesbälle, bei denen es immer wieder Streit um die Sperrstunde und Ausschreitungen gab, wurden natürlich von Pfarrer Reinartz nicht gerne gesehen, schon gar nicht, da man den Erlös der Veranstaltungen nicht zu "christlichen und vernünftigen Gebrauch" machte, sondern ihn nur in Alkohol umsetzte.

Solche Veranstaltungen waren in den Augen des Pfarrers ein Mißbrauch dieses kirchlichen Festes. Reinartz war auch 1947 noch nicht gut auf den Junggesellenverein zu sprechen. In seinem Bericht über Bemühungen und Erfolge zur Reform der Kirmesfeier in der Pfarrei Kreuzweingarten heißt es: "Träger der Kirmes sind der Turn- und Sportverein und der Junggesellenverein, letzterer ein richtiger Vergnügungsverein, der außerdem im Jahre etwa 3-5 mal Ball veranstaltet und den Erlös in teuren Schnaps und Bohnenkaffee verjubelt." 19


b) Der Turn- und Sportverein


Am 10. Juli 1924 wurde in Kreuzweingarten ein Turnverein gegründet. Er war eine Abteilung der seit 1907 bestehenden Marianischen Jünglingskongregation und hatte dementsprechend das Ziel, die Gemeinschaft der männlichen Dorfjugend über das kirchliche Leben hinaus zu verbinden.

Turnen in der Mühle: am Barren Karl Hoven, Hubert Harzheim, in der Brücke Adolf Bohnen, sitzend v. l. Josef Harzheim, Johann Gemünd, Johann Hamacher, Heinrich Bädorf.


Der neugegründete Verein hatte 25 aktive Mitglieder aus Kreuzweingarten, Rheder und KaIkar, die sich jeweils dienstags und donnerstags zum gemeinsamen Sport, treffen wollten, zu Geräteturnen im Jugendheim und Leichtathletik auf dem Sportplatz.

Außer den jährlichen Generalversammlungen veranstaltete der Turnverein jeweils im Januar einen Familienabend, an dem die Mitglieder ihre Reck-, Boden- und Barrenübungen dem Publikum zeigten. Die Turnübungen standen unter der Leitung des Turnwartes Karl Hoven, der aus Arloff-Kirspenich eingeheiratet hatte.

Doch anfänglich hatte der Verein wohl erhebliche organisatorische Schwierigkeiten. Schon 1924 berichtete das Protokollbuch von Zwistigkeiten innerhalb des Vereinsvorstandes, die jedoch bald beigelegt werden konnten. Tiefgreifender waren dann doch die Mißstände, von denen am 15. Juli 1925 erzählt wurde: "Zunächst muß die Versammlung feststellen, daß der Kassierer (...) ohne Wissen des Vorstandes das Geld verliehen hat. Ein großer Teil der Beiträge sind seit Januar nicht mehr entrichtet worden. Demnach ist eine endgültige Aufstellung der Mitgliederliste gar nicht möglich. Ferner ist die Verbandssteuer, womit die so wichtige Unfallversicherung verbunden ist, z. Zt. noch gar nicht entrichtet. Ebenso steht die Miete fürs Jugendheim noch offen. Alle diese Fälle werden von der Versammlung als grobe Verschuldung des Kassierers gerügt." 20

In die Verwaltung des Turnvereins konnte wieder Ordnung gebracht werden.

Auch bei den Beitragszahlungen tat man sich schwer. 1926 mußten 14 inaktive Mitglieder ausgeschlossen werden, da sie seit einem halben Jahr keinen Beitrag mehr gezahlt hatten. Die Wirtschaftskrise forderte ihren Tribut, viele junge Männer im Dorf waren erwerbslos, so überlegte man, wofür man das wenige Geld ausgeben konnte. Ein Vereinsbeitrag stand da natürlich hintan.

Ein großes Problem bahnte sich 1926 an: Bei einem Familienabend im Januar erinnert Pfarrer Reinartz an die christliche Aufgabe des Turnvereins als Teil einer Kongregation. Woraufhin im Protokollbuch vermerkt wurde, daß der Verein es sich in diesem Sinne zur Aufgabe gemacht habe, die Beziehungen zur Kongregation nicht zu brechen. 21

Doch 1928 konnten diese Spannungen zwischen Pfarrer und Turnverein nicht mehr übersehen werden. In einen Antrag auf finanzielle Unterstützung des Vereins durch die Gemeinde "mischt sich der Pfarrer ein" 22, und ändert den Antrag um. Die Vereinsvorsitzenden waren empört. Diese Streitigkeiten gingen weiter. Zum Eklat kam es im Herbst 1928 und endete am 25. November 1928 mit einer Statutenänderung des Vereins: Die sechs Vorstandsmitglieder des Turnvereins lösten sich als Abteilung der Kongregation auf und wurden zu einem selbständigen, der Deutschen Turnerschaft angeschlossenen, Verein.

Anlaß für diesen Entschluß waren Pfarrer Reinartz' Worte: "Ich betrachte den Turnverein als weltlichen Verein." 23

Der Konflikt war vorprogrammiert: Immer wieder mußte darauf geachtet und gemahnt werden, daß die Mitglieder des Sportvereins auch Mitglieder der Kongregation waren. Aktivitäten und Feiern mußten immer mit den Belangen der Jünglingskongregation und den katholischen Pflichten und Moralmaßstäben abgestimmt werden. So durften z. B. zum Turnen keine kurzen Hosen getragen werden. Dies mußte zwangsläufig zu Reibereien mit Pfarrer Reinartz führen, der streng über die Einhaltung der katholischen Moralansprüche und die Tätigkeiten der Dorfjugend wachte. Er hätte es lieber gesehen, wenn sich der Turnverein nicht der Deutschen Turnerschaft, sondern dem Verband der katholischen Jugend Deutschlands, der Deutschen Jugend Kraft (DJK), angeschlossen hätte. Am 26. Januar 1928 warb er in der Generalversammlung des Turnvereins für einen Anschluß an die DJK. Doch ohne Erfolg. Die Meinung im Verein war geteilt, es gab eine Gruppe, die sich für einen Anschluß starkmachte und eine andere Gruppe um den Vorturner Franz Schmitz, die sich für die Idee Pfarrer Reinartz begeisterte.



Auch in der Marianischen Jünglingskongregation führte Pfarrer Reinartz einen Informationsabend über die Eigenschaften dieser beiden Verbände durch.

Im Sommer 1928 versammelten sich die Mitglieder der Kongregation zur fälligen Monatsversammlung. Pfarrer Reinartz sprach über den Verband der DJK, sein Wesen und seinen Sport, und hierauf bat er diejenigen, die gewillt seien, dem Verband der DJK beizutreten und einen neuen Sportverein zu gründen, sich zu erheben. Er konnte dann den Verein mit einer Mitgliederzahl von 20 Mann für gegründet erklären. 24

Der Vorstand des Turnvereins, dem noch sieben Mitglieder blieben, reagierte mit der Trennung von der Kongregation. Von nun an trieben zwei Organisationen vereinsmäßig Sport in Kreuzweingarten :

1. der Turn- und Sportverein, angeschlossen der Deutschen Turnerschaft,

2. Mitglieder der Kongregation im Verband der DJK unter dem Namen "DJK Eintracht".

Ab September 1928 sperrte Pfarrer Reinartz das Jugendheim für den Sportverein. Dieses sollte nur noch christlichen Vereinigungen zur Verfügung stehen. Eine neue Gelegenheit zum Turnen fand man in "der alten Mühle" in einem leerstehenden Raum der Schlosserei Anton Dederichs, der auch Vereinsmitglied und Stammwirt war. "Nach einigen Wochen harter Arbeit bis spät in die Nacht war nun unsere neue Übungsstätte einigermaßen turnfertig gemacht." 25

Turnerisch festigte sich der Verein schnell wieder. Für das Reckturnen mußten neue Verankerungen geschaffen werden, Pferd und Barren mußten neu angeschafft werden. Man traf sich wieder dienstags und freitags, nicht nur zum Geräteturnen, sondern auch zu Leichtathletik und zum Faustballspiel. Man konzentrierte sich von nun an voll auf die sportlichen Aktivitäten und war dabei sehr erfolgreich.

In der DJK um Pfarrer Reinartz wurde das Geräteturnen im Jugendheim bald eingestellt und statt dessen eine Fußballmannschaft gegründet.

Im Jahre 1931 hielt der damalige 1. Vorsitzende des Turn- und Sportvereins noch einmal bei Pfarrer Reinartz um die Benutzung des Jugendheimes an. Doch Reinartz blieb hart, er brauche das Jugendheim für andere Veranstaltungen. 26

Doch auch der Vorstand des Turnvereins weigerte sich grundsätzlich, an Veranstaltungen im Jugendheim teilzunehmen, so z. B. bei der 25- Jahrfeier der Marianischen Jünglingskongregation am 8. Dezember 1932.

In diesem Jahr konnte der Verein sein Training vom provisorischen Raum in der "Alten Mühle" in den neu erstellten Saal des Gasthauses "Zum alten Brauhaus" verlegen.

Ab 1933 wehte auch im Turnverein ein neuer Wind. Am 20. Mai 1933 wurden in einer Generalversammlung die neuen an den Nationalsozialismus angepaßten Verordnungen der Deutschen Turnerschaft verlesen: Der 1. Vorsitzende des Vereins wurde jetzt als Vereinsführer tituliert, er durfte einen "Führerring" benennen, den Kassenwart, den Geschäftsführer, den Schriftführer und Turn- und Spielwarte. 27 Bisher wurde dieser Vorstand von den Vereinsmitgliedern gewählt. An Personen, Aufgaben und Betätigungen änderte sich durch diese neue Ordnung nichts. Man paßte sich dem Sprachgebrauch des neuen Staates an.

Der Verein erfreute sich zunehmender Beliebtheit, die Mitgliederzahl wuchs stetig. Im Sommer 1933 wurde eine Handballmannschaft aufgebaut. Ab 1934 wurde auch Wehrsport durchgeführt.

Pfarrer Reinartz verweigerte auch weiterhin jeden Kontakt zu diesem Verein. Er "erbaut sich in seiner alten unversöhnlichen Verbissenheit und auf unsere freundliche Einladung (zum 10jährigen Bestehensfest) mitzuteilen, daß er sowie sein Vikar aus allgemeiner Erwägung nicht teilnehmen können". 28 Pfarrer Reinartz konnte sich nie mit diesem Verein anfreunden, weil in ihm andere Interessen als kirchliche verfolgt wurden.


Turner des TUS Kreuzweingarten, v. l. o. Reihe: Adolf Bohnen, Wilhelm Schorn, Herbert Harzheim, Karl Hoven, Johann Weber, Josef Hamacher, Josef Glehn, Johannes Hamacher; m. Reihe: Jakob Kranz, Heinrich Bädorf; u. Reihe: Jakob Bohnen, Johann Schmitz, Josef Harzheim.

Die Eintragungen im Protokollbuch des Turnvereins enden 1936.

Der Verein verfolgte rein sportliche Ziele, seine Mitglieder wollten Sport treiben, Siege und Feste feiern, selbst nach 1933 war dies vorrangiges Interesse. Aus dem Protokollbuch ergibt sich kein Hinweis auf nationalsozialistische Infiltration, auch wenn im Führerring (vormals Vorstand) ein dorfbekannter Nationalsozialist war. Jede Vereinsversammlung wurde nach wie vor mit einem Turnerlied begonnen. Die Vereinsvorsitzenden waren konservative, christliche und vor allem kirchliche Männer (bis auf einen). Sie ließen den Verein nicht in die Strömung der neuen Zeit abrutschen.

Gemeinschaft und in erster Linie Sport waren und blieben die Interessen dieses Vereins.



5. Das kirchliche Verbandswesen, insbesondere die Marianische Jünglingskongregation


In den vorangegangenen Abschnitten waren die weltlichen Vereinsbindungen in Kreuzweingarten die Themen. Eine wesentlich festere Verbundenheit stellten in der Zeit bis 1933 die kirchlichen Verbände dar. Die Kirche schuf mit ihrem Verbandswesen eine enge geistliche und ideologische Anlehnung ihrer Gläubigen an sich.

In Kreuzweingarten wurde schon im Jahre 1907 eine Marianische Jünglingskongregation vom damaligen Pfarrer Adolf Böhmer gegründet, 1919 dann eine Jungfrauenkongregation, gegründet von Pfarrer Latzel. Beide Vereinigungen hatten von kirchlicher Seite her das Ziel, die katholische Jugend an die kirchliche Gemeinschaft zu binden.

Besonders gut dokumentiert, und ab 1933 von besonderer Bedeutung, ist die Marianische Jünglingskongregation. Daher soll ihr besondere Aufmerksamkeit zuteil werden.

Diese kirchliche Kongregation stand von Anfang an in Konkurrenz zu den weltlichen Junggesellenvereinen. Pfarrer Böhmer konnte es zunächst verhindern, daß sich in Weingarten ein solcher bildete, obwohl die Vorstandswahlen schon durchgeführt waren. Er schrieb im Protokollbuch der Kongregation: "fm Namen Gottes aber war es anders bestimmt, er wollte nicht, daß in unserem Pfarrdörfchen der Weltgeist der Vereins- und Vergnügungssucht aufkomme." 29 Auf Betreiben des Pfarrers traf sich am 4. August 1907 eine stattliche Anzahl von Jünglingen im Lokal Spilles und arbeitete dort die Statuten der Kongregation aus. Man wollte alle sechs Wochen gemeinschaftlich zur Kommunion gehen, und an jedem ersten Sonntag des Monats sollte im Vereinslokal eine Versammlung stattfinden. Am 3. November wählte man den Vorstand, und am 8. Dezember, dem Fest der Unbefleckten Empfängnis Marias (Titularfest des Vereins), wurden 30 Mitglieder bei einem feierlichen Gottesdienst und anschließender Feier im Vereinslokal in die Vereinigung aufgenommen. 30

Das Kongregationsleben wurde organisiert: ab 1909 entrichtete man dem Wirte Spilles einen monatlichen Betrag von 30,- RM für die Benutzung seines Saales. 31 Man legte einen monatlichen Beitrag von zunächst 20, dann 30 Pfg. für jedes Mitglied fest. Das Eintrittsalter wurde 1909 von 17 auf 15 Jahre gesenkt. Ein Jahr später schaffte man Trommeln und Flöten an, um ein Musikkorps zu gründen. Im Jahre 1914 wurde der Grundstein zum Bau des Jugendheimes gelegt, in dem die Kongregation dann für ihre Versammlungen und Aktivitäten Raum fand.

Der 1. Weltkrieg ließ zwangsläufig das Kongregationsleben abflauen. 1915 konnte kein Vorstand mehr gewählt werden, da alle in Frage kommenden Mitglieder im Felde waren.

Pfarrer Latzel, der am 15. September 1918 sein Seelsorgeamt in Kreuzweingarten antrat, versuchte die Kongregation zu neuem Leben zu erwecken. Er hielt verschiedene Monatsversammlungen ab. Doch schien die Bereitschaft zum Einsatz für die Kongregation, vor allem bei den Altkongregationisten, die aus dem Krieg zurückgekehrt waren, nicht mehr vorhanden zu sein. An den ersten Versammlungen 1918/19 nahmen außer dem Präses, nur der Präfekt, der Schriftführer und zwei Adjutanten teil. Diese protestierten bald gegen die Pflicht ihrer Ämter, gegen die monatliche gemeinsame hl. Kommunion und die Zulassung der Jugendlichen von 14-18 Jahren. 32

In den Versammlungen wurde hauptsächlich über Mittel und Wege beraten, wie der verflogene Eifer in der Kongregation neu entfacht werden könnte. Pfarrer Latzel versuchte durch verschiedene Veranstaltungen, die Kongregationsmitglieder wiederzugewinnen, z. B. durch einen Begrüßungsabend für alle ehemaligen Krieger im Februar 1919, doch ohne Erfolg. Der Sommerausflug mußte in diesem Jahr unterbleiben, weil nur 4-5 Mitglieder sich zur Teilnahme anboten.

Zusätzlich erschwerte die englische Besatzung im Ort das Kongregationsleben: Bis Mitte August 1919 diente das Jugendheim den englischen Besatzungssoldaten als Speisesaal. Die Kongregationsversammlungen mußten in der Kirche abgehalten werden, was natürlich den Charakter der Versammlungen veränderte.

Den Kern der Kongregation bildeten ab 1919 die neuaufgenommenen Aspiranten. Die älteren Jugendlichen zog es mehr "zum weltlichen Junggesellenverein des Dorfes und dessen Vergnügungen ". 33 Die Vereinszeitschrift "Die Wacht" wurde auf Wunsch des alten Vorstandes abbestellt, der Mitgliedsbeitrag wurde nicht mehr entrichtet.


Marianische Jünglingskongregation ca. 1939, v. l. Thomas Weber, Franz Spilles, Josef Gemünd, Robbel (?), Heinrich Emonds, Peter Hettinger, Jakob Lützeler, Jakob Schlösser


In diesem desolaten Zustand übernahm Pfarrer Reinartz bei seinem Amtsantritt Ostern 1920 die Kongregation.

Zuerst richtete er die Belange der Kongregation nach den Normalstatuten für die Jünglingskongregation der Erzdiözese Köln vom 6. Juni 1917 aus. Auf Grund dessen errichtete er eine besondere Jugendabteilung für Aspiranten der Kongregation. Hierin wurden dann alle Jungen bis zu ihrem 17. Lebensjahr zusammengefaßt. Ab dem 25. Lebensjahr konnte man inaktives Mitglied sein. 34

Große Bedeutung für das Verbandswesen gewann die Sportabteilung der Kongregation. Doch Pfarrer Reinartz wollte "jede Einseitigkeit in der außerkirchlichen Beteiligung des Congregationsleben" 35 vermeiden. Er belebte die Musikkapelle neu und hielt im Jugendheim Theaterabende ab. Die Organisation und Ausrichtung der Theateraufführungen verdankte man hauptsächlich dem "Gönner der Kongregation", dem in Kreuzweingarten lebenden Fabrikanten Bernhard Becker.

Reinartz machte das Jugendheim zu einem der bestausgestatteten im Kreise Euskirchen. "Sobald die Besatzungstruppen es verlassen, wurden nach einer gründlichen Erneuerung im Innern nach und nach Bühnen-Einrichtung, Klavier, Epidiaskop, Turngeräte, Öfen und Stühle, Eß- und Trinkgeschirre angeschafft, sowie Übernachtungsmöglichkeiten geboten. Als Seitenstück zum Jugendheim wurde der Spiel- und Sportplatz der Gemeinde zum größten Teil von der Congregation geschaffen." 36

Pfarrer Reinartz hatte Erfolg mit seinen Aktivitäten und Bemühungen um die Kongregation. Im Jahre 1921 zählte man wieder 32 vollberechtigte Mitglieder und 11 Kandidaten in der Jugendabteilung.

Kein Wunder, daß die Anliegen der Kongregation Pfarrer Reinartz von nun an am Herzen lagen. Er kombinierte geschickt die gesellschaftlichen Bedürfnisse und Interessen der Jugend mit der geistigen und geistlichen Bindung an die katholische Kirche. Nicht nur die weltlichen Aktivitäten belebte er neu, er machte die gemeinsame monatliche Kommunion für alle Kongregationisten verbindlich, die Monatsversammlungen wurden abwechselnd als Kongregationsandachten in der Kirche oder als Vereinsversammlungen im Jugendheim abgehalten. Andacht und Frömmigkeit wurden gefördert. So versuchte er, die Jugend seiner Pfarrei in der Kongregation zusammenzufassen und sie dadurch im christlichen Sinne zu erziehen.

Natürlich kollidierten diese Interessen immer wieder mit den Aktivitäten des weltlichen Junggesellenvereins, dessen Interessen und Ziele er nie guthieß. Jede Spaltung der Dorfjugend versuchte er zu verhindern. Die Trennung der Jugend in zwei Sportvereine führte dementsprechend auch zu jahrelangen Animositäten zwischen Pfarrer Reinartz und dem Vorstand des Turn- und Sportvereins. Sport, nach Trennung vom Kern des Turnvereins in der DJK "Eintracht", Musik, Wanderungen und Ausflüge, Theaterspiele, kulturelle, geschichtliche und religiöse Vorträge bot der Pfarrer der Jugend im Dorf.

So wie für Pfarrer Reinartz die Jugendarbeit ein "Herzstück der Pfarrseelsorge" 37 war, maß die katholische Kirche ihr ebenfalls grundlegende Bedeutung zu. Da die Nationalsozialisten von Anfang an die Erziehungsaufgabe der Jugend für sich allein beanspruchten, standen sich ab 1933 katholische Kirche und Nationalsozialismus in diesem Anspruch entgegen. Neben der Schule sollte es keine andere Erziehungsgemeinschaft geben dürfen als die Hitler-Jugend. Gerade diese Erziehungsaufgabe hatte sich aber die katholische Kirche zur Aufgabe gemacht. Sie konnte und wollte sich nicht einfach auf die rein-religiöse Betreuung der Jugend zurückdrängen lassen.

In den ersten Monaten nach der Machtübernahme prallten HJ und katholische Jugendverbände oft aufeinander. Die Polizeibehörde Preußens ordnete sogar eine Stillegung aller katholischen Jungmännerverbände am 1. Juli 1933 an. Nach Verhandlungen wurde dieses Verbot am 8. Juli 1933 wieder aufgehoben.

Immer wieder kam es zu Übergriffen der Hitler-Jugend auf die katholischen Jugendverbände. So auch am 8. Oktober 1933 in Kreuzweingarten:

An diesem Tag war ein Bezirkstreffen der katholischen Sturm- und Jungscharen in Kreuzweingarten angesetzt, die polizeiliche Genehmigung eingeholt und zunächst auch zugesichert worden. Am 7. Oktober erfuhr Pfarrer Reinartz, daß die HJ am gleichen Tage eine Kundgebung in Kreuzweingarten plane, die Aktivitäten der katholischen Vereine sollten daher nicht in der Öffentlichkeit stattfinden. Ein gemeinsamer Kirchgang und der Aufenthalt im Jugendheim wurden erlaubt, nicht aber das geplante Zeltlager auf dem Sportplatz.

Am 8. Oktober waren mehr als 200 katholische Jugendliche im Anmarsch auf Kreuzweingarten und die ganze HJ und SA des Kreises wurden aufgeboten, um die Veranstaltungen zu stören.

Die Jugendlichen konnte Pfarrer Reinartz in Scheunen unterbringen. Bis nach Mitternacht hielt dann die HJ, der am anderen Tag SA-Mannschaften folgten, ihre Übungen auf dem Sportplatz ab, während die katholische Jugend, der der Aufenthalt auf dem Sportplatz ausdrücklich untersagt war, sich auf das kirchliche Jugendheim beschränken mußte. 38

Doch genau dort kam es zur Kollision mit der HJ:

"Als wir dann um 16.30 Uhr zu der in demselben angesetzten Deutschen Feierstunde kamen, fanden wir dasselbe in einer Ecke ganz mit HJ unter Anführung von Junglehrer G. aus Wachendorf besetzt, der sich selber sitzend hinter den vor und um ihn stehenden Jungen verdeckt hielt, und das Signal für die im Laufe der Versammlung immer aufs neue einsetzenden Pfui-Rufe und Lärmszenen gab. Eine Aufforderung, das Gastrecht, das wir ihnen gerne gewährten, zu achten, hatte keinen Erfolg; ebensowenig die andere, sich anständig zu verhalten oder hinauszugehen. G. gab Weisung mit der dicken Trommel, die von Anfang an in der anliegenden Schule bearbeitet worden war, ganz nahe an das offenstehende Fenster des Heims zu kommen, rief dem geistlichen Redner zu: „Herunter mit dem Kerl, ihr seid keine Deutschen, eine Schweinerede, der gehört ins Konzentrationslager“. 39

Dem persönlichen Dazwischentreten von Pfarrer Reinartz war es zu verdanken, daß dieses Verhalten nicht in einer Schlägerei endete. Die katholischen Jugendlichen verhielten sich vorbildlich, ließen sich nicht provozieren und konnten zuletzt unter polizeilichem Schutz Kreuzweingarten verlassen.

Dies war die letzte öffentliche Kundgebung der katholischen Jugend im Kreis Euskirchen.

Ständige Unklarheit herrschte über die Polizeiverordnung wegen Doppelmitgliedschaften in HJ und katholischen Verbänden, die mal verkündet, dann wieder aufgehoben wurden.

Bei all diesen Schwierigkeiten war es kein Wunder, daß die katholischen Jugendverbände Mitglieder verloren. Man konzentrierte die Arbeit auf geistig-religiöse Interessen. Auch wenn die öffentliche Betätigung, wie Sport und Wandern noch nicht verboten war, so lag dies doch in der Luft.

So geschah dies auch endgültig in einer Polizeiverordnung vom 23. Juli 1935. Man drängte die katholische Jugend zu einer Gebetsgemeinschaft zurück und verbot ihr jedes öffentliche Auftreten.
Verboten waren u. a.:

1. Geschlossenes Auftreten in der Öffentlichkeit.
2. Das öffentliche Tragen von einheitlicher Kluft und Abzeichen, die auf die Zugehörigkeit zu einer konfessionellen Jugend- oder Standesorganisation schließen lassen.
3. Das Mitführen von Fahnen, Bannern oder Wimpeln.
4. Jede sportliche, volkssportliche oder geländesportliche Betätigung einschließlich des gemeinsamen Wanderns, der Haltung eigener Musik- und Spielmannszüge und der Einrichtung von Ferien- und Feldlagern.
5. Die Herstellung, Versendung, Verteilung und Vertreibung von Flugblättern und Flugschriften kirchenpolitischen Inhaltes, Presseerzeugnissen konfessioneller Jugend verbände, Jugendzeitschriften etc. 40

All diese Beschränkungen galten nicht für rein-religiöse Betätigungen, d. h. Prozessionen, Wallfahrten, kirchliche Begräbnisse und Feiern.

"Es regierte die Polizeigewalt, und die Handhabung (...) kam in vielen Orten einem vollständigen Betätigungsverbot gleich, weil es sich als unmöglich erwies, das GruppenIeben auf das Rein-Religiöse zu beschränken. Jede Äußerung, die nicht Gebet oder kirchliche Glaubenslehre war, konnte willkürlich als Verstoß gegen die Polizeiverordnung interpretiert werden. 41

So riet der Katholische Jungmännerverband auch zum Schutz seiner Mitglieder, "daß die Polizeiverordnung in allen (...) Vereinen und von allen Mitgliedern streng durchgeführt wird." 42

In Folge dieser Verordnung wandten sich viele Jugendliche von den konfessionellen Verbänden ab, die verbliebenen intensivierten ihre Tätigkeit im noch vorhandenen Rahmen. Gerade glaubensvertiefende Veranstaltungen wie Volksmissionen, Exerzitien und Einkehrtage wurden seither erheblich stärker besucht. Sprunghaft waren die Teilnahmen an Prozessionen, Wallfahrten und Glaubenskundgebungen gestiegen. 43

In den Jahren 1935/36 trafen sich die Mitglieder der Jünglingskongregation in Kreuzweingarten noch regelmäßig. Sie besuchten die Bezirkstreffen der katholischen Jugend im Kreis Euskirchen, machten Ausflüge und trafen sich im Winter einmal wöchentlich zu Heim- und Bastelabenden im Jugendheim. Diese Abende gestalteten die jeweiligen Vikare oder Lehrer mit besonderen Vorträgen.

Verleumdungen, Presseaktionen und Diffamierungen gegen Priester, Kirche und katholische Jugendverbände, von denen auch Pfarrer Reinartz nicht verschont blieb, durch die Nationalsozialisten höhlten den Verband der katholischen Jugend in den folgenden Jahren aus. Man hatte ihn nicht seiner Existenz, sondern seines Charakters beraubt, und es war nur noch eine Formsache, ihn am 1. Februar 1938 zu verbieten.

In Kreuzweingarten kam es zu dramatischen Szenen anläßlich der Aufhebung des Jungmännerverbandes: 44



1. Februar 1938


Schon vormittags erschienen zwei Satzveyer Gendarmen im Pfarrhaus und verlangten die Auslieferung von Kasse, Mitgliederverzeichnis und Vereinsbanner der Kongregation. Nachdem Pfarrer Reinartz sich weigerte, diese Dinge auszuhändigen, begannen die beiden eine Hausdurchsuchung. "Hierbei ereignete sich das Merkwürdige, daß die beiden an dem Tischchen, wo das Protokollbuch mit der Mitgliederliste frei zum Greifen dalag, am anderen Ende anfingen nachzusehen, und dabei auf das Protokollbuch ablegten, so dasz das Gesuchte immer mehr verdeckt wurde." Da die beiden Gendarmen nichts von Belang finden konnten, nahmen sie schließlich einige Rechnungsakten des Jugendheimes, Kirchengebete, die "Deutsche Komplet", ein wissenschaftliches Werk des Pfarrers mit, um irgend etwas nach Hause zu tragen.

Am Abend erschienen die beiden Gendarmen mit einem Beauftragten der Gestapo wieder und verlangten die Auslieferung des Banners. Pfarrer Reinartz erwiderte, daß die Fahne sich auch in der Kirche befinde und als geweihter Gegenstand nicht ohne Genehmigung der Behörde ausgeliefert werden dürfe. Der Gestapomann drohte zunächst mit Verhaftung, willigte dann aber ein, daß Reinartz mit dem Generalvikariat telefonieren durfte. Er erhielt die Instruktion "nicht positiv mitwirken". Darauf setzte der Gestapomann sich mit dem Chef der Gestapo in Köln in Verbindung. Reinartz konnte dem Gespräch nur die Weisung entnehmen: "unbedingt mitbringen". In der Zwischenzeit hatten die beiden Gendarmen versucht, den Küster dazu zu zwingen, die Sakristei aufzuschließen, um das Banner herauszugeben. Doch auch der Küster weigerte sich. Dann drohte man mit Aufbrechen der Türen. Daraufhin sagte Reinartz nach einiger Überlegung: "R. (Küster), Sie sind mein Zeuge vor der Gemeinde, daß ich gezwungen, um die Kirche nicht demolieren zu lassen, das Banner ausliefere. "

Auf die Forderung, die Mitgliederliste auszuliefern, antworteten Pfarrer und Vikar einmütig, sie würden niemals einen, der ihnen Vertrauen geschenkt hätte, verraten.

Es wurde Bedenkzeit bis zum nächsten Abend 6 Uhr gewährt.

Schon am folgenden Mittag jedoch wurden Pfarrer und Vikar einem erneuten Verhör unterzogen, sie blieben bei ihren Weigerungen. Man drohte mit Verhaftung. Pfarrer Reinartz bereitete sich schon auf die Verhaftung vor, packte seine Sachen und informierte den Kirchenvorstand, um 6 Uhr als Zeugen der Verhaftung im Pfarrhaus zugegen zu sein. Zusätzlich versammelten sich viele Gemeindemitglieder vor dem Pfarrhaus.

Doch umsonst, die Gestapo erschien nicht. Am 9. Februar 1938 erhob Pfarrer Reinartz Einspruch bei der Gestapo und verlangte die beschlagnahmten Schriften zurück, da sie nicht Eigentum der Kongregation, sondern persönlicher Besitz waren und rein gottesdienstlichen Zwecken dienten. 45

Im einzelnen waren beschlagnahmt worden: Aktenheft des Pfarrjugendheims, 25 Stück Katechismuswahrheiten ca. 50 Stück "Deutsche Komplet" aus dem Eigentum Bernhard Beckers, 16 Stück "Förderinnen katholischer Jugenderziehung des XVIII. Jh., 5 ½ Dtz. Jugendpräses & Führer, und aus dem Besitz des Vikars Anton Schwarz: ½ Dtz. Kirchengebete, 10 Meßdienerandachten, 100 Stück Feierstunde der Jungen Kirche, 3 Kinderspiele, 4 religiöse Schallplatten, Exemplare der Zeitschriften "Scheideweg" und "Die Wacht", Bezugsgeld von 3,40 RM für diese Zeitschriften und seine Tagebücher aus den Jahren 1928 bis 1935.



Auf diese Beschwerde bekam Reinartz keine Antwort. Vikar Schwarz ging nun persönlich ins Büro der Gestapo, um dort nachzufragen. Doch die Gestapo gab vor, keinen Einspruch erhalten zu haben. Pfarrer Reinartz gab sich noch nicht geschlagen, er verfaßte ein weiteres Beschwerdeschreiben an die Gestapo am 14. März 1938. 46

In diesem Brief wehrte er sich gegen den Rechtsstandpunkt der Gestapo, daß es egal sei, "wessen Eigentum die beschlagnahmten Gegenstände seien, dasz dieselben (aber ) einer etwaigen Neubelebung der verbotenen Vereine dienen könnten. " Mit dieser Argumentation ließe sich aller Kirchenbesitz beschlagnahmen, so Reinartz. Sein Brief endete: „Ich darf doch hoffen, dasz das Wort eines verantwortlichen Beamten Wert hat. "

Am 26. März 1938 erhielt Reinartz Antwort von der Gestapo: Man teilte ihm mit, daß alle Sachen bereits vernichtet seien. 47
Auch beim Präfekten der Kongregation, J. Trimborn, suchte man die Akten der Kongregation und des DJK. Er händigte seine Unterlagen zur Einsicht dem Ortspolizisten aus, erhielt sie jedoch nie wieder zurück. 48

Im Oktober 1935 gründete Pfarrer Reinartz nach großen anfänglichen Schwierigkeiten eine kirchliche Frauenkongregation, die in Kreuzweingarten großen Erfolg hatte. Sie zählte bereits 50 Mitglieder, ihre Zahl verdoppelte sich bald. Diese Frauenkongregation bezeichnete Reinartz als einen "segensreichen Faktor im Pfarrleben“ 49. Sie hielt sich strikt an die vom Nationalsozialismus auferlegten Regeln, kam natürlich auch nicht in ihren Aktivitäten (Wandertage, Zelten, Sport etc.) mit der Polizeiverordnung vom Juli 1935 in Konflikt.

Reinartz konzentrierte sich mit der Frauenkongregation auf die Personengruppe in seiner Gemeinde, die am treuesten zur Kirche stand, so das kirchliche und geistige Leben aktivieren konnte, den christlichen Glaubensgedanken in den Familien aufrechterhalten konnte und die wenigsten Kollisionspunkte mit dem Nationalsozialismus bot, vor allem, da die NS-Frauenschaft zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken war.

Die beiden Kongregationen: Frauen- und Jungfrauenkongregation existierten auch nach 1938 weiter. Im Mai 1938 gründete Pfarrer Reinartz zusätzlich eine Männerkongregation, die anfänglich 43 Mitglieder zählte.

In einer feierlichen Weihe mit anschließender Prozession zum Burgberg, wo das erneuerte Hochkreuz gesegnet wurde, beging man diese Neugründung. Für Pfarrer Reinartz war der Anblick singender und betender Männer seiner Pfarrei am Kreuz ein erhabener Augenblick. Er beschrieb diese Kongregation als "Bollwerk um das Kreuz". 50

Die drei bestehenden Kongregationen waren rein kirchliche Vereine, die sich streng an die vom Nationalsozialismus auferlegten Beschränkungen hielten. Sie bewahrten und trugen jedoch christliches Glaubensgut und Lebenshaltung in die Familien.

Im Jahre 1940 nahm die Jünglingskongregation mit einem festen Bestand von 16 Mitgliedern und 8 Bewerbern ihre Tätigkeit innerhalb der gebotenen Grenzen wieder auf. 51

Ein anderes Mittel, Jugendliche dem Katholizismus zu entfremden, war die Kinderlandverschickung, bei der man gerne Kinder aus katholischem Elternhaus andersgläubigen oder nicht gläubigen Gastfamilien zuwies. So konnten dann die Gastkinder z. B. keine Gottesdienste besuchen und waren anderen Einflüssen und Eindrücken ausgeliefert. Pfarrer Reinartz wies seine Gemeinde auf diese Verfahrensweisen hin, und teilte ihnen seine Bedenken mit. Wer nicht die Garantie habe, daß sein Kind in eine christliche Familie geschickt werde, solle bedenken, ob er ein "Wertstück (...) unbekannten fremden Leuten, die weit weg von hier wohnen, in die Hände geben“ wolle. 52 Selbst ein Parteigenosse holte daraufhin seine Tochter nach Hause.



6. Pfarrer Nikola Reinartz


Die Geschehnisse während des Nationalsozialismus in Kreuzweingarten hingen in vielfacher Weise von der starken Persönlichkeit des Dorfpfarrers ab. Er war, wie dies in einem Dorfe oft der Fall war, eine Autorität, die einerseits von den Einwohnern geachtet und beachtet werden mußte, und die andererseits über die Geschicke seiner Gläubigen informiert war, sie oft auch beeinflußte und dies nicht nur in religiöser Hinsicht. Seine Meinung und sein Einfluß wurden nicht nur beachtet, sondern von vielen respektiert. Die Stellung eines Pfarrers, der Respekt, den man ihm zollte, war damals ein anderer als heute. Die Verbundenheit der Dorfbewohner mit der Kirche war enger. Man war nicht nur katholisch, sondern praktizierte dies auch bei den Gottesdiensten, Andachten, Prozessionen etc. Am kirchlichen Leben nahmen fast alle Gemeindemitglieder teil. So konnte der Pfarrer von der Kanzel herab seine Meinung verbreiten. Er wurde so von den meisten Dorfbewohnern gehört. Die Meinung des Pfarrers war nicht nur ein sonntägliches Thema, man konnte an ihr nicht vorbei.

Aus nationalsozialistischer Zeit sind viele Beispiele bekannt, wie Pfarrer Reinartz sich durch dieses Mittel Gehör verschaffte und immer wieder das Risiko einging, verraten zu werden.

Nikola Reinartz war eine starke Persönlichkeit, die von vielen, aber nicht von allen, geachtet wurde. Seine streng katholische Art, seine Unnachgiebigkeit, z. B. im Verhalten zu den weltlichen Vereinen, schufen auch Mißmut im Dorf. Doch seine Rolle im Dorf war auch gerade deshalb, weil er diktierte, wie ein guter Katholik sich zu verhalten hatte, immens groß.


Pfarrer Nikola Reinartz, ca. 1930


Einige Informationen über das Leben des Pfarrers sind notwendig, um seine Rolle und sein Verhalten richtig einschätzen zu können:

Nikola Reinartz wurde am 6. Dezember 1874 in Kall-Heistert in der Eifel (etwa 20 km von Kreuzweingarten entfernt) geboren. Er besuchte höhere Schulen in SchIeiden, Münstereifel und Neuss und begann 1893 mit dem Studium der Theologie. 1899 wurde er im Kölner Dom zum Priester geweiht. Nach einigen Stationen und Stellungen kam er mit 46 Jahren, also im Jahre 1920, nach Weingarten. 53

Vieles vollbrachte er für seine Gemeinde. Sein größtes Interesse galt der Geschichte Kreuzweingartens, seiner Umgebung und seiner Eifeler Heimat. Mit vielen geschichtlichen Heimatforschungen machte er sich einen Namen. Heute noch erfahren wir, wie fundiert, gewissenhaft erforscht und genau seine Berichte waren. Seinen Forschungen über die Geschichte Kreuzweingartens bleibt nicht viel hinzuzufügen. Nicht nur zahlreiche Veröffentlichungen, auch Ausgrabungen verdanken wir ihm.

Auf Grund dieser Tätigkeit hatte er viele gute Kontakte, nicht nur zum Generalvikariat in Köln. Sein Bekanntheitsgrad machte es seinen Gegnern, wenn sie aus den Reihen der NS-Ortsgruppenverbände stammten, schwer, gegen ihn zu agieren.

Vielleicht verdanken wir seinem geschichtlichen Bewußtsein auch die gute Quellenlage über die NS-Zeit in Kreuzweingarten. Nicht nur die Pfarrchronik 54 und ein Tagebuch benutzte er, um die Ereignisse in Kreuzweingarten im Dritten Reich festzuhalten, auch in anderen Akten, Schriftwechseln oder Briefen findet man Dokumente von Reinartz zu dieser Zeit. Er notierte alles sorgfältig, oft in Maschinenschrift, z. T. aber auch in winzig kleiner Handschrift (mit stumpfem Bleistift) in Randbemerkungen zu Büchern, Akten oder kirchlichen Verordnungen. Überall findet man seine Kommentare, an vielen ungeahnten Stellen, in Ordnern mit völlig anderen Bezeichnungen (gut versteckt?) findet man heute seinen Nachlaß aus der NS-Zeit.

Schon früh und in ihrer Tragweite klar erkannte Reinartz die Zeichen, die die Nationalsozialisten 1933 setzten. In seinem Tagebuch schrieb er schon 1933: "Wir leben in einer Zeit des Kampfes gegen das Christentum und Kirche (...). Dieser Kampf ist um so gefährlicher, als er mit List und Lüge, mit Drohungen, Rechtslosigkeit und offener Gewalt geführt wird, und die Kirche in der Öffentlichkeit völlig wehrlos ist." 55

Er war nicht der Mann, der sich einem solchen Regime beugte, dem Druck nachgab.

Er hielt sich zwar an die Richtlinien, die Verhaltensregeln für kirchliches Leben, die die Nationalsozialisten den Katholiken aufoktroyierten und die das Generalvikariat als Richtlinien empfahl. Doch mit seiner Meinung hielt er nicht hinter dem Berg. Bei vielen Gelegenheiten kam es zu Konflikten mit der Gestapo, Ortsgruppenführern und NS-Parteimitgliedern im Dorf. Sein Tagebuch, das dann auch bezeichnenderweise "Mein Kampf" heißt, erzählt davon.

Ein Schlaganfall im Jahre 1939 machte Pfarrer Reinartz unbeweglich, fesselte ihn lange Zeit ans Bett. Seine Arbeit für die Pfarrei mußte ihm nun von seinen Vikaren erleichtert werden. Ihnen überließ er dann auch einen großen Teil der Jugendarbeit, auf die Reinartz besonders großen Wert legte.

Seine Vikare waren zuerst Julian Kilinsky im Jahr 1934/35, dann Heinrich Sebastian bis zum Juni 1936. Danach Anton Schwarz, der bis 1940 in Kreuzweingarten blieb. Am 27. Mai 1940 übernahm der spätere Kreuzweingartener Prälat, Ernst Weyer, das Amt des Vikars .

Anton Schwarz zeigte sich bei vielen Gelegenheiten als ein konsequenter Gegner des Regimes. Seine Tagebücher aus den Jahren 1928 bis 1935 fielen bei der Beschlagnahme anläßlich des Verbotes der Marianischen Jünglingskongregation der Gestapo in die Hände. Er war den Nazis kein Unbekannter, seine Reden und öffentlichen Bemerkungen waren im Dorf bekannt. Im Jahre 1940 wurde er dann wegen Vergehens gegen § 2 des Heimtückegesetzes, d. h. "wegen übler Schwätzereien" verhaftet und zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt. 56 Viele Gerüchte kursierten im Dorf, bei welcher Gelegenheit und von wem der Vikar denunziert worden war. Aktenkundig ist diese Version: Vikar Schwarz war bei einer Familie zu Gast, in deren Hause auch zwei Soldaten einquartiert waren. Als die beiden das Radio anstellen wollten, kommentierte Schwarz dies mit den Worten: " Wollen Sie sich auch belügen lassen?" Der Gestapo reichte diese Bemerkung aus, ihm eine staatsfeindliche Gesinnung nachzuweisen, obwohl Schwarz sie in der Verhandlung herunterspielte und entkräftete. Ob die beiden Soldaten oder die Gastfamilie ihn denunzierten, oder dieses Gespräch nicht in einem Privathaus, sondern in einer Kreuzweingartener Gastwirtschaft stattfand, ist müßig zu erörtern.


Katholische Jugendgruppe ca. 1939, v.l. Kpl. Schwarz, Jakob Schlösser, Felix Trimborn, Jakob Kurth, Michael Gemünd, Peter Hettinger, Peter Kurth, Johannes Kurth, Michael Trimborn, Richard Kurth.


Auch Pfarrer Reinartz' Denken war bekannt, doch trotz vieler Anzeigen bei der Gestapo beließ diese es bei Drohungen. Die Anzahl der Anzeigen war selbst Reinartz unbekannt. Seine erste politische Belangung erfolgte 1935.

Einzige Maßnahme der Nationalsozialisten gegen ihn war eine Gehaltskürzung, d. h. ein Streichen der staatlichen Gehaltszulage im Jahre 1939. Reinartz kommentierte, als er von seiner Gehaltskürzung erfuhr: "Schon vorher war mir aber bekannt geworden, dasz infolge der außerordentlichen Steigerung der Kirchensteuer um 220 % in diesem Jahre der Gehaltszuschusz der Kirchenkasse in diesem Jahre von etwa 70 auf 2400 M gestiegen sei, also der Wegfall des Staatszuschusses keine erhebliche Bedeutung hatte. Dazu kam auch eine ungewöhnlich reiche Obsternte, in der ich wiederum die liebende Sorge der göttlichen Vorsehung erkannte, der auch die ,Sperrlinge' ernährt." 57

Kurze Zeit später sperrte man Pfarrer Reinartz auch sein Staatsgehalt von 380 Mark. Das Generalvikariat legte zwar Einspruch ein, konnte jedoch zunächst nichts erreichen. Reinartz behauptete, er habe "einstweilen nur das befreiende und erhebende Gefühl, nicht von der Gnade einer antichristlichen Gesellschaft zu leben". 58

Im März 1940 erfuhr Reinartz vom Generalvikar, daß die Regierung bereit sei, die Gehaltssperre rückgängig zu machen, wenn Reinartz eine schriftliche Erklärung abgebe, daß er alle staatlichen Gesetze, Anordnungen und Verordnungen anerkennen und befolgen werde. Reinartz erschien es "weder männlich noch christlich", die Aufforderung unbeantwortet zu lassen. Seine Erklärung lautete: "Ich verspreche dem Herrn Regierungspräsidenten, dasz ich meine staatlichen Pflichten nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen will, wie es einem katholischen Priester geziemt gemäsz dem unabdingbaren Gebote unseres Herrn und Heilandes: ,Gebet dem Kaiser, was des Kaisers und Gott was Gottes ist'. " 59

Nicht verwunderlich, daß der Regierungspräsident ihm daraufhin die Gehaltszulage weiterhin sperrte.

Die Gestapo drohte ihm mehrfach mit Rede- und Aufenthaltsverbot, das sie bei jeder neuen Anzeige ankündigten. Doch Reinartz verstand es immer wieder geschickt, mit den kleinbürgerlichen Gestapobeamten umzugehen.

Als ihn 1939 einmal ein Euskirchener Gestapomann beschimpfte, alle Pastöre lögen und erzählten dem Volke Märchen auf der Kanzel, konterte Reinartz, er sei wohl eher ein Lügner. 60 Der Beamte hatte sich nämlich mit falschem Namen bei ihm vorgestellt. Daraufhin mußte dieser kleinlaut zurückstecken.

Bei anderer Gelegenheit, wiederum einem Besuch der Gestapo auf Grund einer Anzeige (Pfarrer Reinartz hatte gemäß Dekanatsbeschlusses Ausweiszettel verteilen lassen betreffs geistlicher Betreuung der in städtische Krankenhäuser eingelieferten Katholiken), begegnete Reinartz dem Spott der Beamten, die vorschlugen, die Ausweiszettel, die laut Reinartz einem religiösen Zweck dienten, einzustampfen, damit sie einem guten Zweck dienen könnten: "Sie wollen doch nicht die Religion vernichten." Ein Beamter fragte dann noch hintergründig: "Wie meinen Sie das denn?" Reinartz antwortete: "Was würden Sie denn tun, wenn ich sagte, ja?"

Die Beamten wollten keine Antwort mehr geben und gingen. 61

Auch der mit Bauernschläue eingefädelten Falle eines SS-Mannes aus einem Nachbarort begegnete Reinartz äußerst geschickt. Der Mann war ihm von einem anderen Besuch im Pfarrhaus bekannt und in unangenehmer Erinnerung. Er hatte den Pfarrer während dessen Krankheit einmal so belästigt, daß er ihn aus dem Pfarrhaus hatte weisen lassen. Unter Angabe eines falschen Namens verschaffte er sich ein Jahr später wieder Zutritt zum Pfarrhaus und verlangte Auskunft über den Kirchenaustritt eines Gemeindemitgliedes. Pfarrer Reinartz witterte Gefahr und erklärte ihm, auch in dem Falle, daß ein Gemeindemitglied aus der Kirche ausgetreten sei, sei es doch weiterhin sein Pfarrkind, über das er nichts aussage. Der SS-Mann mußte unbefriedigt wieder abziehen. 62

Reinartz verhielt sich stets loyal gegenüber seinen Pfarrkindern, selbst wenn diese Parteimitglieder und an Denunziationen nicht immer unbeteiligt waren. Er hielt ihnen die Treue, denn er glaubte, daß sie von anderen, d. h. auf der Parteileiter Höhergestellten, angestiftet wurden und dann auch zum Kirchenaustritt überredet wurden. Das Bekanntwerden eines Diebstahls eines in Reinartz' Augen Rädelsführers und "Hauptränkeschmiedes" 63 aus einem Nachbarort, bewirkte nicht nur großes Gelächter im Dorf, sondern war Reinartz eine Genugtuung. Zeigte sich doch darin der eigentliche Charakter dieses Parteibeamten.

Nicht alle Parteigenossen verhielten sich so. Von einem Gemeindemitglied schrieb Reinartz, daß er nur zwangsweise, d. h. aus beruflichen Gründen, 1942 in die Partei eingetreten war. 64

Zwischen dem Parteimitglied Bernhard Becker und Pfarrer Reinartz herrschte stets eine loyale Haltung, sie respektierten einander. Reinartz schrieb von ihm, "er war Pg, aber zuerst Katholik ". 65 Man befragte einmal Bernhard Becker nach Reinartz Aussagen in seinen Predigten, die wieder einmal bespitzelt worden waren. Ein Polizist hatte sich sogar während des Gottesdienstes Notizen gemacht, um seine Anzeige zu bekräftigen. Doch die Anschuldigungen wurden von B. Becker verneint und landeten so im Papierkorb. 66

Viele Einwohner der Gemeinde teilten Reinartz Ansichten. Reinartz erlebte dies z. B. an einem Sonntag, an dem er eine Sühnefeier in der Kirche abhielt, anläßlich der Kreuzentfernung aus den Schulen. 67 Er selbst hatte nicht erwartet, daß diese Feier so gut besucht werde.

Der Ortsvorsteher des Dorfes tat sich bei zwei Gelegenheiten besonders hervor und erhielt für sein Handeln besondere Anerkennung von Reinartz: Im Jahre 1937 hatte die Partei einen Holzkasten für ihr Parteiblatt "Der Stürmer" dicht neben dem Eingang der Rhederer Kapelle errichtet. Pfarrer Reinartz protestierte in einer Predigt dagegen, und der Kirchenvorstand legte Beschwerde bei der Regierung ein. Erst als man nachweisen konnte, daß der Kasten auf Kapelleneigentum stand, mußte er entfernt werden.

Die zweite Begebenheit spielte sich bei der Fronleichnamsprozession ab: Als Reinartz ein Plakat mit Beschimpfungen der Kirche auf dem Dorfplatz, wo auch der Segensaltar errichtet war, entdeckte, weigerte er sich, den Segen dort zu erteilen. Der Ortsvorsteher drehte unverzüglich das Plakat um. Das Bußgeld für diese Handlung betrug 20 RM, die sich Reinartz dann mit dem Ortsvorsteher teilte. 68

Ein deutliches Zeichen für die Loyalität gegenüber dem Regime verlangten die Nazis durch ihre Verordnungen, wann geflaggt werden sollte. Es war dann ja offiziell sichtbar, wer sich den Anordnungen widersetzte. Pfarrer Reinartz informierte sich oft, ob das Generalvikariat die Hakenkreuzfahne hissen würde. Wenn der Anlaß ihm jedoch ungesetzlich oder unchristlich erschien, unterließ er die Beflaggung, so z. B. nach dem 9. November 1938. Diesen Tag bezeichnete Reinartz als den Tag, "wo Deutschland mit der Kulturschande der Judenvernichtung befleckt wurde". 69

Auch an Hitlers 50. Geburtstag im Jahre 1939, einem Sonntag nach der Entfernung der Kreuze aus den Schulen, weigerte sich Reinartz zu flaggen. Er erklärte beim Gottesdienst, daß der Gottesdienst für Volk und Führer abgehalten werde. Da jedoch durch die Kreuzentfernung "jedes gläubige Gemüt mit dem gröszten Schmerz" 70 erfüllt sein müsse, sei es unmöglich, einer dem HI. Kreuz geweihten Kirche Flaggenschmuck zu geben und Festgeläute zu veranstalten. Natürlich gab dieser Vorfall wieder Gelegenheit, den Pfarrer anzuzeigen.



7. Die Situation der Katholiken im Nationalsozialismus


Die Nationalsozialisten versuchten durch viele Maßnahmen das katholische Volk in seinem Glauben zu verunsichern und es so von der Kirche zu trennen. Das wirksamste Mittel war die Diffamierung der Priester. Ab 1937, nach der Veröffentlichung der Enzyklika "Mit brennender Sorge", war die katholische Kirche ein offiziell erklärter Feind des Nationalsozialismus. Die Nationalsozialisten griffen mit allen Mitteln an: in allen NS-Zeitschriften, Zeitungen und Broschüren wurde Propaganda gegen katholische Priester gemacht. 71

Am 28. Mai 1937 hielt Goebbels in der Berliner Deutschlandhalle eine Rede, die ein niederträchtiger Angriff gegen die katholische Kirche war. Diese Rede wurde in allen Volksempfängern übertragen.

Pfarrer Reinartz bezeichnete die Rede als so ungeheuerlich, daß kein anständiger Mensch hätte in der Kirche verbleiben dürfen. 72 Diese Rede konnte Pfarrer Reinartz nicht kommentarlos in seinem Dorf hinnehmen. Es erschien ihm als "ein Gebot von Ehre und Pflicht am Sonntage in der Kirche zu erklären, dasz diese Anklage nicht nur ungerecht, sondern auch unritterlich gewesen sei; endlich noch undankbar, da der Redner nur der katholischen Kirche es verdanke, dasz er durch den Albertus-Magnusverein zum Studium und einer höheren Ausbildung gelangt sei." Prompt erfolgte eine Anzeige wegen Ministerbeleidigung gegen Pfarrer Reinartz. Durch eine geschickte Antwort gelang es ihm, einem Verfahren zu entgehen. Er gab bei der Gestapo zu Protokoll, daß er sich nur verpflichtet gefühlt habe, "ein wahrheitsgetreues Bild der unbestreitbaren Verdienste zu zeichnen, welche die katholische Kirche um die Sittlichkeit und Kultur der Menschheit erworben habe. Den Reichsminister, dessen Name er nicht genannt habe, zu beleidigen, habe ihm fern gelegen. Er habe lediglich gesprochen, wie es die Ehre und seine Pflicht als Priester es verlangt hätten."

Bischof Preysing kennzeichnete die Situation der katholischen Gläubigen in dieser Zeit in einem Hirtenbrief vom 30. November 1937 folgendermaßen: "Der gläubige Katholik steht in Deutschland unter Ausnahmerecht. Er muß Spott und Hohn, Unfreiheit und Bedrängnis für seinen Glauben dulden, ohne sich verteidigen zu können, während die Kirchenfeinde Freiheit des Wortes, des Angriffes und des Spottes genießen." 73

Doch alle Verleumdungen und Angriffe gegen die katholische Kirche und ihre Gläubigen hatten nicht den gewünschten Erfolg. 108000 Katholiken traten 1937 aus der Kirche aus, dies waren nur 0,48% der gesamten deutschen Katholiken. In den kommenden Jahren der Hitler-Diktatur erreichte die Zahl der Kirchenaustritte bei weitem nicht mehr die Höhe von 1937. 74

Nur wenige Katholiken kehrten in der NS-Zeit in Kreuzweingarten der Kirche den Rücken. Es war dies natürlich die Gruppe der begeisterten Parteianhänger. Doch auch unter diesen blieben einige pro forma bei ihrem Glauben. Insgesamt sind es sieben Kirchenaustritte, die Pfarrer Reinartz während der gesamten NS-Zeit beklagte und die auch aktenkundig sind. 75

Schon 1935 trat in Kreuzweingarten ein Gemeindemitglied aus der Kirche aus. Dieser stand in der Parteihierarchie in leitender Funktion. 1938 erklärten dann noch einmal drei Katholiken ihren Austritt. Im Jahre 1940 wurde die einzige sogenannte "braune Hochzeit" im Dorf gefeiert, also eine Ehe, die nicht vor Gott und der Kirche geschlossen wurde. Beide Partner stammten aus dem Kreis der eifrigen Parteigenossen, die dann auch offiziell der Kirche den Rücken zukehrten.

1941 zählte Pfarrer Reinartz dann noch einmal drei Kirchenaustritte. Die Kinder aus drei katholischen Familien wurden nicht zu den Seelsorgestunden geschickt. 76

Die NS-Regierung hielt weiterhin die katholische Kirche und ihr Kirchenvolk für gefährliche Gegner des Regimes und behinderte ab 1938 jedes kirchliche Leben außerhalb der Kirchenmauern.

Obwohl im Reichskonkordat zugesichert worden war, daß der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach unter kirchlicher Aufsicht stehe, wurde er in der Praxis schrittweise abgebaut. Den Geistlichen wurde für die Erteilung des Religionsunterrichtes immer mehr Auflagen gemacht. Die Geistlichen, die die Jugendvereine leiteten, durften keinen Religionsunterricht mehr erteilen, diesen sollten die Lehrer übernehmen. Pfarrer Reinartz regelte dies sehr geschickt. Den Schulunterricht hatte er aus Gesundheitsgründen seinem Vikar überlassen müssen und konnte so behaupten, daß er nur die Jugendvereine leite, womit die Bedingungen des Erlasses pro forma erfüllt waren. Diese Regelung galt bis zur endgültigen Verbannung der Geistlichen aus der Schule.

In kleinen Schritten setzte das Regime das Verbot des Religionsunterrichtes in der Schule durch. Die Eltern wurden durch Kampagnen der Hitler-Jugend beeinflußt, ihre Kinder vom Religionsunterricht abzumelden. Die Schulandachten und Gottesdienste wurden verboten; der Religionsunterricht in Eckstunden verlegt, was ein Fernbleiben leicht machte.

Durch einen Erlaß vom 8. April 1939 wurde die Bekenntnisschule aufgelöst und in "Deutsche Volksschule" umbenannt. Die Kreuze mußten entfernt und durch das Portrait Adolf Hitlers ersetzt werden. Der Kreuzweingartener Lehrer Gasch kam in der Nacht, bevor die Kreuze aus den Schulen abgeholt werden sollten, den Nationalsozialisten zuvor, hängte die Kreuze eigenhändig in der Schule ab, und brachte sie in der Dunkelheit zu Pfarrer Reinartz. Gasch wählte von der Schule aus den Weg über den Friedhof, so daß er von niemandem gesehen werden konnte, außer von denjenigen, die bei dieser Aktion Wache stehen mußten. Pfarrer Reinartz gestaltete eine Messe am darauffolgenden Sonntag als "Sühnefeier für die der anbetungswürdigen Person des Heilandes in unserer dem HI. Kreuz geweihten Pfarrgemeinde angetane Beleidigung ". 77 Die Pfarrgemeinde erschien besonders zahlreich.

Die Geistlichen durften zwar keinen Religionsunterricht in den Schulgebäuden mehr abhalten, doch als Ersatz richtete man wöchentliche Seelsorgestunden und Katechismusunterricht ein. Die Kindermessen wurden zusätzlich zur religiösen Unterweisung genutzt. Allerdings gestalteten sich diese "Unterrichts"stunden in Kreuzweingarten sehr schwierig. Wo sollten diese Stunden abgehalten werden? Das Jugendheim war seit Kriegsbeginn als Quartier für Soldaten requiriert. Zunächst ließ man den Bühnenraum und das Bibliothekszimmer für pfarrliche Zwecke, d. h. für Kirchenchorproben und Betreuung der Jugend, reserviert. Doch bald wurden auch diese beiden Räume als Magazin und Büroräume benötigt. Pfarrer Reinartz vereinbarte mit dem Ortsbürgermeister, daß statt dessen die Schule, wenn sie frei wäre, für pfarrliche Zwecke benutzt werden könne. Doch das Schulamt protestierte aus "grundsätzlichen Erwägungen". Reinartz richtete ein Schreiben an die Kreuzweingartener Ortskommandantur und bat um eine Entscheidung, die "unbeirrt durch irgendwelche Prinzipienreiterei allen, insbesondere den gesetzlich geschützten, Belangen gerecht wird". 78 Die Kreuzweingartener Kommandantur konnte diese Entscheidung nicht fällen. Somit standen Pfarrer Reinartz seit November 1939 keine Räume mehr zur Verfügung. Er wich in die Kirche aus. Doch die Benutzung des Gotteshauses als Schulraum erwies sich bald als ungeeignet, Reinartz beklagte, daß dies zu immer größerer Zuchtlosigkeit der Jugend in der Kirche und beim Gottesdienst geführt habe. 79 Daraufhin richtete er einen Raum im Pfarrhaus ein. Dies stieß jedoch auf heftigen Widerstand bei der NS- Bezirksbehörde, denn dieses Zimmer im Pfarrhaus stand bisher zu Quartierzwecken frei. Pfarrer Reinartz hatte seinem neuen Quartiergast seine Schwierigkeiten dargelegt und dieser war, wie Reinartz erklärte, freiwillig irgendwo anders untergekommen.

Die Behörde warf ihm jedoch Quartierverweigerung vor, woraufhin Reinartz erneut unter Anklage stand und sich verteidigen mußte. Dabei wies er darauf hin, daß "niemand in Kreuzweingarten für die Einquartierung (...) größere Opfer gebracht" 80 habe als der Pastor, der 1939 beim Herrichten des Jugendheimes nach Überanstrengung einen Schlaganfall erlitten hatte, welcher ihn lange Zeit behinderte.

Die Bezirksbehörde lenkte in diesem Falle nicht ein, die Anklage verlief zwar im Sande, doch wurde der Raum im Pfarrhaus nun als Krankenstube beansprucht. Reinartz wich endgültig in die Sakristei aus. Dort wurde nun der Religionsunterricht in kleinen Gruppen erteilt.

Das Verdrängen der Geistlichen aus der Schule und die Behinderung des Religionsunterrichtes waren nur ein Beispiel dafür, wie schwer es den Katholiken gemacht wurde, ihren Glauben zu praktizieren. Es könnten noch viele andere Einschränkungen hier aufgeführt werden.

Über die Nichtbeachtung der katholischen Feiertage und die Behinderungen der Prozessionen regte sich Pfarrer Reinartz besonders auf und versuchte immer wieder, seinen Gläubigen eine Möglichkeit zu geben, die kirchlichen Gebote einzuhalten.

Die Regierung ignorierte z. B. die katholischen Feiertage Dreikönige, Fronleichnam, Peter und Paul, Allerheiligen, Unbefleckte Empfängnis und Christi Himmelfahrt. An allen diesen Tagen bestand Arbeits- und Schulzwang. Pfarrer Reinartz hielt Frühmessen und Abendmessen ab, um allen die Gelegenheit zum Meßbesuch zu geben. Er achtete darauf, daß die katholischen Gebote eingehalten werden konnten und verlangte von seiner Pfarrgemeinde immer wieder, es auch zu tun.

So beklagte er in einem Aufruf an die Gemeinde, daß die Kinder nur selten zur Werktagsmesse und zum abendlichen Rosenkranz in die Kirche kämen, sondern statt dessen auch nach dem abendlichen Läuten noch auf der Schlittenbahn sich vergnügen würden. Reinartz forderte die Eltern auf "im Interesse der Gewöhnung an Zucht und Ordnung" , daß die Kinder "abends sich nach Hause verfügen, wenn sie schon nicht in die Andacht gehen wollen. (...) Christliche Kinderzucht ist in diesen Zeiten doppelt schwer, darum liebe Eltern, ergreift dankbar die Unterstützung die Euch zur Erfüllung Eurer heiligen Elternpflicht von der Pfarrgeistlichkeit geboten wird." 81

Er legte besonderen Wert auf die Einhaltung der Disziplin der Kinder; wer beim Gottesdienst mehrfach störte, mußte fernbleiben, bis die Eltern ihrem Kind die "nötige Zucht" beigebracht hatten.

Die kirchlichen Prozessionen waren den Nationalsozialisten von Anfang an bedrohlich erschienen. Für sie waren diese Prozessionen Massenkundgebungen mit demonstrativem Charakter. 82 1939 verbot man den Altarschmuck bei den Prozessionen, Hauptstraßen durften nicht mehr benutzt werden. So mußte die Prozession von Kreuzweingarten nach Rheder durch die Wiesen geführt werden, nach KaIkar ganz unterbleiben. Pfarrer Reinartz mahnte seine Gemeinde zu vorbildlichem Verhalten bei den Prozessionen: Man möge gemeinsam aus der Kirche losgehen und nicht auf dem Dorfplatz umherstehend die Prozession erwarten. Er forderte von jung und alt eine würdige Haltung und andächtiges Mitbeten und -singen. 83

Die Nationalsozialisten nahmen den Kriegsbeginn als Vorwand, schärfere Maßnahmen gegen die katholische Kirche durchzusetzen. Prozessionen und Wallfahrten wurden verboten: 1940 die traditionellen Wallfahrten nach Münstereifel und zum Michelsberg. Die Fronleichsnamsprozession wurde in diesem Jahr noch auf dem Friedhof abgehalten, 1941 dann nur noch in der Kirche.

Seit Kriegsbeginn versuchte Pfarrer Reinartz, einen abendlichen Kriegsrosenkranz aufrechtzuerhalten. Dies scheiterte jedoch an der mangelnden Beteiligung der Pfarrgemeinde. Er beschränkte den Rosenkranz dann 1941 auf die Monate Oktober und Dezember. Doch auch dann beklagte er noch, daß nicht "alle Pfarrangehörige(n), von denen es erwartet werden mußte, sich an demselben beteiligt hätten". 84

Die Bereitschaft der Gemeinde für kirchliche Aktivitäten ließ bis 1944 nach.

Als Kriegsnotwendigkeit erklärte man auch 1941 das Verbot des Gottesdienstes an Sonn- und Werktagen nach Fliegeralarm vor zehn Uhr und ein Verbot der festlichen Gottesdienste an den katholischen Feiertagen. Die Begründung lautete: Die Bevölkerung sollte nicht durch kirchliche Veranstaltungen in der Möglichkeit zum Ausruhen für Gesundheit und Arbeitseinsatz gestört werden.

Der deutsche Episkopat sah dieses Verbot als einen tiefen Eingriff in das kirchliche Leben und die religiöse Betätigung des einzelnen, da es sich ja um einen freiwilligen Kirchenbesuch handelte. 85 Man erreichte eine Milderung des Gesetzes: Am Morgen nach nächtlichem Fliegeralarm durften unter Einhaltung der Verdunklungsvorschriften kirchliche Veranstaltungen bereits vor 10 Uhr stattfinden, wenn die Entwarnung vor 24 Uhr erfolgt war. Der Episkopat stellte es den Pfarrern frei, ihre Gottesdienstordnungen gemäß den Anforderungen zu ändern.

Der Bürgermeister Satzveys wies Pfarrer Reinartz im November 1941 ausdrücklich noch einmal auf diese Verordnung hin. 86 Sollten vor 10 Uhr kirchliche Veranstaltungen, z. B. Beerdigungen, stattfinden, so mußte ein Antrag auf Genehmigung gestellt werden, der in begründeten Ausnahmefällen erteilt werden konnte. Der Amtsbürgermeister beschwerte sich, daß Pfarrer Reinartz diese Anträge ständig stelle, Veranstaltungen vor 10 Uhr in Kreuzweingarten also die Regel seien, während die Pfarrer der Nachbargemeinden gar keine Anträge stellen würden.

Sofort nach Kriegsbeginn verbot die Regierung das Glockengeläut wegen der etwaigen Störung der Flakartillerie und des Flugmeldedienstes. Auch in diesem Falle bewirkte ein Einspruch des Episkopates beim Reichskirchenminister eine Einschränkung des Verbotes. Die Glocken durften nur noch in den Stunden von 8-18 Uhr für die Dauer von drei Minuten läuten. An Sonn- und Feiertagen durfte nur einmal vor dem Gottesdienst geläutet werden, wochentags nur anläßlich von Todesfällen. Bei Taufen und Hochzeiten durfte nicht mehr geläutet werden, auf das traditionelle Angelusläuten (morgens, mittags und abends) mußte verzichtet werden. 87

Selbst die Kirchenglocken sollten 1942 Kriegszwecken dienen. Zwei Glocken der Rhederer Kapelle mußten abgeliefert werden, so daß von 1942 bis Kriegsende in Rheder nicht mehr geläutet werden konnte. Die beiden Glocken der Pfarrkirche in Kreuzweingarten konnten nach zähen Verhandlungen vor dem Einschmelzen bewahrt bleiben.


Im Hof der Gaststätte „Zum alten Brauhaus“ 1939 anläßlich der Beerdigung des Wirtes von Burg Kirspenich, obere Reihe v.l. Arnold Johnen, Josef Gebertz, Frau unbekannt, Matthias Klein, Wilhelm Schorn, Baptist Kessel, Wilhelm Spilles, untere Reihe: unbek., Herbert Jonas, Johann Ruhr, unbek., Max Zachäus.


Im Jahre 1944 behinderte der Krieg das kirchliche Leben entscheidend. Ständige nächtliche Fliegeralarme machten den regeImäßigen Gottesdienst und auch alle anderen kirchlichen Aktivitäten fast unmöglich. Pfarrer Reinartz verlegte die Gottesdienste auf den Abend. Doch Lichtausfall, Kerzenmangel und die defekte Heizung luden nicht gerade zum Kirchenbesuch ein.

Die Einquartierung von Soldaten und fliegergeschädigten Familien brachte ständige Wechsel in der Bevölkerung mit sich und erschwerte die Seelsorge.




8. Zusammenfassung und Wertschätzungen


In den vorangegangenen Abschnitten wurde das dörfliche gesellschaftliche Leben in Kreuzweingarten zur Zeit des Nationalsozialismus unter dem Aspekt katholischer Glaubensregeln geschildert. Katholizismus und Nationalsozialismus vermittelten Weltbilder, die sich in der Praxis diametral entgegenstanden und notgedrungen zu Herausforderungen und Konflikten führen mußten.

Den Standpunkt der katholischen Kirche verkörperte der hiesige Pfarrer Nikola Reinartz in seiner Person, in seinem Verhalten den Nationalsozialisten und seiner Pfarrgemeinde gegenüber. Er vertrat konsequent die katholische Lehre, versuchte seine Gläubigen an diese Normen zu binden, ohne dabei jemanden, außer sich selbst, einer Gefahr auszusetzen. Eine Bekanntmachung charakterisierte alle Bemühungen des Pfarrers, die Einstellung zum Nationalsozialismus und bringt den Konflikt in dieser katholischen Gemeinde auf den Punkt:

"Noch sind wir eine katholische Gemeinde, die ihr Ehrgefühl nicht verloren hat." 88

Pfarrer Reinartz bezeichnete die nationalsozialistische Zeit zu Recht als "Kampfzeit" 89, seinen Kampf um die Rechte der katholischen Kirche, um ihre Gebote und um ihre Gläubigen und die Möglichkeit, ein katholisches Leben zu führen.

Wie oft dieser Kampf den Pfarrer mit Gestapo und Polizei zusammenbrachte, berichteten die zahlreichen Quellen. Verwunderlich, daß diese Auseinandersetzungen doch relativ folgenlos, abgesehen von einer Gehaltskürzung, blieben.

Im vorangegangenen Text wurde auch versucht, die Seite des Kirchenvolkes, der Kreuzweingartener und Rhederer Bevölkerung, einzustufen. Verhältnismäßig wenige kehrten sich von Pfarrer und Kirche ab. Der größte Teil der Gemeinde stand zu seinem Glauben und half dem Pfarrer bei seinen Bemühungen. Bei vielen Begebenheiten konnte sich Reinartz auf das Mitwirken seiner Gemeinde verlassen. Auch wenn er gelegentlich über mangelnde Aktivität oder Nachlässigkeit im kirchlichen Leben klagte, so stießen doch all seine verstärkten Bemühungen, seine Gemeinde zum christlichen Leben und zum praktizierten Katholizismus anzuhalten, auf Resonanz. Die Gemeinde war an erster Stelle katholisch. Dies behauptete Reinartz sogar von Parteigenossen aus dem Dorf (nicht von allen).

Die stärkste traditionelle Bindung gegen nationalsozialistisches Gedankengut war die katholische Kirche. Doch auch andere Traditionen vermochten lange Zeit zu bestehen, zwar in ihren Formen angepaßt, ohne sich in ihren Interessen jedoch überrollen zu lassen, wie man an den Beispielen des Sport- und Turnvereins und des Junggesellenvereins sieht. Allein die Tatsache, daß solche dörflichen Vereine noch einige Jahre nach der Machtergreifung bestehen konnten, kann man als Entzug vor einer nationalsozialistischen Kontrolle werten.

Bei der Wählerschaft der NSDAP läßt es sich statistisch nachweisen, wer am ehesten dazu neigte, diese Partei zu wählen. Die dabei gewonnenen Ergebnisse gelten in ihren soziostrukturellen Aussagen noch verschärfter für die Mitgliedschaft in der Partei. Vor allem mittelständische Berufsgruppen neigten dazu, zum Nationalsozialismus überzugehen. Doch spielten auch viele andere Gründe eine Rolle. Der Wunsch, eine berufliche oder gesellschaftliche Karriere zu machen oder auch nur seine Stellung bewahren zu können, war oft nur als Parteimitglied möglich. Sonst galt man im öffentlichen Leben als Außenseiter und erregte vielleicht Verdacht. Als Mitläufer lebte man in diesem totalitären Regime ungefährlicher.

In Kreuzweingarten waren nur wenige Parteimitglieder bekannt. Das Gros der Bevölkerung blieb "neutral" und entzog sich den aktiven Zwängen des Regimes. Besser als in der beschriebenen Bekanntmachung läßt sich die Haltung der Gemeinde zum Nationalsozialismus nicht formulieren: " Wir sind eine katholische Gemeinde!"

Ein solches Verhalten, eine solche Einstellung zum Nationalsozialismus wird von Gotto/Repgen als die erste Form des Widerstandes eingeordnet. 90 Dies war eine Form des Nichtangepaßtseins, man entzog sich dem Nationalsozialismus, distanzierte sich von seinem Gedankengut und verschrieb sich einem anderen Weltbild, nämlich dem christlichen. Die meisten wollten mit diesen neuen Ideen nichts zu tun haben, paßten sich zwar den NS-Vorschriften und Anordnungen an, waren jedoch eher skeptisch. Die katholische Kirche hatte in ihrem Leben nach wie vor mehr zu sagen, prägte sie nachhaltiger, mit ihren Geboten war man mehr verbunden als mit den nationalsozialistischen.

Pfarrer Reinartz Verhalten stellte eine andere Form und Stufe des Widerstandes gegen das Regime dar. Wenn er außer sich selbst niemanden gefährden konnte, wagte er den öffentlichen Protest. Er drückte seine Meinung in seinen Predigten klar aus, hielt sich dabei aber stets an die vom Generalvikariat festgelegten Verhaltensmaßregeln und an die Rechtsgrundlage der Kirche. Sein Hauptinteresse war es, seiner Gemeinde ein katholisches Leben zu ermöglichen, in seiner Pfarrei sollte der Glauben praktiziert werden. Er versuchte, sein Kirchenvolk katholisch zu erziehen und durch seine Meinung über den Nationalsozialismus zu beeinflussen, die Autorität der Kirche zu bewahren.



LITERATUR - UND QUELLENVERZEICHNIS


a) Literatur


ALBRECHT, Dieter (Hrsg.), Katholische Kirche im Dritten Reich. Eine Aufsatzsammlung zum Verhältnis von Papsttum, Episkopat und deutschen Katholiken zum Nationalsozialismus 1933-1945, Mainz 1976

ADOLPH, Walter, Hirtenamt und Hitlerdiktatur, Berlin 1965

BRACHER, Karl Dietrich, Die deutsche Diktatur. Entstehung -Struktur -Folgen des Nationalsozialismus, Köln/Berlin 1969

FALTER, Jürgen W., Wer verhalf der NSDAP zum Sieg? Neuere Forschungsergebnisse zum parteipolitischen und sozialen Hintergrund der NSDAP-Wähler 1924-1933, in: aus Politik und Zeitgeschichte, B 28-29/79, S. 3-21

GOTTO, Klaus/HOCKERTS, Günter/REPGEN, Konrad, Nationalsozialistische Herausforderung und kirchliche Antwort, in: GOTTO, Klaus/REPGEN, Konrad, Kirche, Katholiken und Nationalsozialismus, Mainz 1980

HEHL, Ulrich von, Das Kirchenvolk im Dritten Reich, in: GOTTO, Klaus/REPGEN, Konrad, Kirche,

Katholiken und Nationalsozialismus, Mainz 1980 HEUSGEN, Paul, Nikola Reinartz, in: Jahrbuch des Kreises Euskirchen, Euskirchen 1956 HOCKERTS, Günter, Die Sittlichkeitsprozesse gegen die Ordensangehörigen und Priester 1936/37, Mainz 1976

KUPPER, Alfons, Staatliche Akten über die Reichskonkordatsverhandlunge 1933, Mainz 1965

NEUHÄUSLER, Johann, Kreuz und Hakenkreuz, der Kampf des Nationalsozialismus gegen die katholische Kirche und der kirchliche Widerstand, München 1946

RÜNGER, Gabriele, Wer wählte die NSDAP? Eine lokale Fallstudie im Kreis Euskirchen an Hand der Ergebnisse der politischen Wahlen 1920 bis 1933, Phil.-Dis., Bonn 1984

SCHELLENBERGER, Barbara, Katholische Jugend und Drittes Reich. Eine Geschichte des katholischen Jungmännerverbandes 1933-1939 unter besonderer Berücksichtigung der Rheinprovinz, Mainz 1975

SCHIRACH, Baldur von, Die Hitler-Jugend, Idee und Gestalt, Leipzig 1934 WALDMAN, Loren, Models of Mass Movements -The Case of the Nazis, Phil.-Dis., University of Chicago, Chicago 1973


b) Quellen


AKTEN des Pfarrarchivs Kreuzweingarten
a) Stiftungsurkunden 1889-1943
b) Armensachen, Caritas & Waisenpflege
c) Allerlei (1 Akte, 1 loser Karton)
d) Seelsorge Tab. VII, Kor. 3, fertig 2. Ordner
AKTEN des Kreisarchivs Euskirchen Spezialakten des Landratsamtes über die Wahlen zu den Reichstagen, den preußischen Landtagen und die Wahlen der Reichspräsidenten, Bestände-Nr. 60-71
EUSKIRCHENER VOLKSBLATT, Jg. 72-84 (1920-1932), abgekürzt EV
EUSKIRCHENER ZEITUNG, Jg. 91-105 (1920-1933), abgekürzt EZ

LÜTZELER, Josef, Die Einwohner Kreuzweingartens 1913 und 1939, in Besitz von J. Lützeler, Kreuzweingarten
PFARRCHRONIK der Pfarrei Hl. Kreuz, Kreuzweingarten, im: Pfarrarchiv
PROTOKOLLBUCH des Junggesellenvereins Kreuzweingarten 1913 bis 1937, in Besitz von K. Bohnen, Kreuzweingarten
PROTOKOLLBUCH der Marianischen Jünglingskongregation 1907 bis 1948, im Pfarrarchiv KreuzweIngarten
PROTOKOLLBUCH des Turn- und Sportvereins Kreuzweingarten 1924 bis 1968, in Besitz von K. Bohnen, Kreuzweingarten
REINARTZ, Nikola, Mein Kampf (Zeitgenössische Aufzeichnungen des Pfarrers N. Reinartz, Kreuzweingarten 1933 ff.), in Besitz von Dr. A. Pünder, Düsseldorf
ZEITUNGSARTIKEL (3) über die Verhaftung von Vikar A. Schwarz, 0.0., 1940



Anmerkungen


1) zitiert nach G. Hockerts, Sittlichkeitsprozesse, S. 132
2) Gotto/Hockerts/Repgen, Nationalsozialistische Herausforderung und kirchliche Antwort, S. 102
3) ebenda, S. 101
4) ebenda, S. 105
5) L. Waldman, Models of Mass Movements, S. 84
6) J. Falter, Wer verhalf der NSDAP zum Sieg? , S. 16
7) L. Waldman, Models of Mass Movements, S. 84
9) vgl. Tabelle 2
10) vgl. Tabelle 3
11) N. Reinartz, Mein Kampf, VIII
12) ebenda, VIII
13) Protokollbuch der Marianischen Jünglingskongregation, S. 26
14) Protokollbuch des Junggesellenvereins, o. S.
15) vgl. dazu den Beitrag G. Rünger, Kreuzweingartener Bräuche
16) Protokollbuch des Junggesellenvereins, o. S.
17) ebenda, o. S.
18) Schreiben von Pfarrer Reinartz an den Junggesellenverein vom 15.7.1925, Akte Seelsorge
19) Kirchlicher Anzeiger 1947, Nr. 244
20) Protokollbuch des Turn- und Sportvereins, S.26. Die Unfallversicherungen zahlten in dem Falle, daß bei einem Turnfest oder beim Training ein Turner sich verletzte, den Lohn des Turners für die Dauer seiner Krankheit
21) ebenda, S. 30
22) ebenda, S. 36
23) ebenda, S. 39
24) Protokollbuch der Marianischen Jünglingskongregation, S. 90-94 25) Protokollbuch des Turn- und Sportvereins, S. 41
26) ebenda, S. 46
27) ebenda, S. 52
28) ebenda, S. 56
29) Protokollbuch der Marianischen Jünglingskongregation, S. 16
30) ebenda, S. 18
31) ebenda, S. 25 ff.
32) ebenda, S. 260
33) Eintragung von Pfarrer Reinartz im Protokollbuch, loses Blatt
34) Protokollbuch der Marianischen Jünglingskongregation, S. 25
35) ebenda, S. 25
36) ebenda, S. 26, Bericht vom 14.12.1932
37) B. Schellenberger, Katholische Jugend, S. 12
38) N. Reinartz, Mein Kampf, S. 1
39) Eingeklebtes Blatt im Protokollbuch der Kongregation
40) Preußische Gesetzessammlung, Nr. 18
41) B. Schellenberger, Katholische Jugend, S. 80
42) Rundbrief des KJMV 1935, Akte Seelsorge
43) U. v. Hehl, Kirchenvolk im Dritten Reich, S. 70
44) N. Reinartz, Mein Kampf, VII und Protokollbuch der Marianischen Jünglingskongregation, S. 135
45) Pf. Reinartz Schreiben an die Gestapo vom 9.2.1938, Akte Seelsorge
46) Pf. Reinartz Schreiben an die Gestapo vom 14.3. 1938, Akte Seelsorge
47) Schreiben der Gestapo an Reinartz vom 26.3.1938, Akte Seelsorge. Dieser Brief begann mit den Worten: "Auf ihre Eingaben vom 9.2. und 14.3. 1938 teile ich mit." Die erste Beschwerde des Pfarrers war also doch im Büro der Gestapo eingegangen !
48) Erinnerung von J. Trimborn, Kreuzweingarten
49) N. Reinartz, Mein Kampf, II
50) Pfarrchronik 1938
51) Pfarrchronik 1941, S. 1
52) N. Reinartz, Mein Kampf, VII
53) T. Heusgen, Nikola Reinartz, S. 46-51
54) Leider fehlt die Pfarrchronik der Jahre vor 1938, nur handschriftliche Zettel über die kirchliche
Statistik sind erhalten
55) N. Reinartz, Mein Kampf, S. 1
56) Zwei Zeitungsartikel, o.J ., o. O.
57) N. Reinartz, Mein Kampf, Zu Kriegsbeginn 1939. (Die Orthographie, die Pfarrer Reinartz benutzt, wurde so übernommen.)
58) ebenda, Zu Kriegsbeginn 1939
59) ebenda, J uni 1940
60) ebenda, September 1939
61) ebenda, XIII
62) ebenda, XIV
63) ebenda, XVI
64) Pfarrchronik 1945, Das Ende
65) N. Reinartz, Mein Kampf, VIII
66) ebenda, III
67) ebenda, X
68) ebenda, VI
69) ebenda, X
70) ebenda, X
71) W. Adolph, Hirtenamt und Hitlerdiktatur, S. 79-82
72) N. Reinartz, Mein Kampf, V
73) zitiert nach W. Adolph, Hirtenamt, S. 88
74) ebenda, S. 84
75) Jeweilige Mitteilungen des Amtsgerichtes an die Kirchengemeinde Heilig Kreuz, Akte Seelsorge
76) s. Pfarrchronik der entsprechenden Jahre
77) Pfarrchronik 1939
78) Schreiben Reinartz an die Ortskommandantur vom 11.11. 1939, Akte Seelsorge
79) Bekanntmachung von 1940, Akte Seelsorge
80) Aktennotiz zum Amtsverhör betreffs die gegen den Pfarrer von Kreuz-Weingarten erhobene Anklage wegen Quartierverweigerung, Akte Seelsorge
81) Bekanntmachung von Pfarrer Reinartz, o.J., Akte Seelsorge
82) U. von Hehl, Kirchenvolk im Dritten Reich, S. 71
83) Bekanntmachung betr. Prozessionen, o.J., Akte Allerlei
84) Pfarrchronik 1941, S. 2
85) Schreiben des Erzbischöflichen Generalvikariates an alle Pfarrer vom 3.1.41, Akte Allerlei
86) Schreiben des Bürgermeisters, Satzvey, an Pfarrer Reinartz vom 7.11. 1941, Akte Allerlei
87) Mitteilung des Erzbischöflichen Generalvikariates an alle Pfarrämter vom 29. 10. 1939, Akte Seelsorge
88) Eine Frage an Kreuzweingarten, Akte Seelsorge
89) N. Reinartz, Mein Kampf, Prolog
90) K. Gotto/H. G. Hockerts/K. Repgen, Nationalsozialistische Herausforderung und kirchliche Antwort, S. 103


Entnommen: „1100 Jahre Wingarden“ - Kreuzweingarten 893-1993 - Mai 1993


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