Das Ende des 2. Weltkrieges, wie es in Kreuzweingarten erlebt wurde

Nikola Reinartz / M. Jakob Bohnen


Ein Bericht des früheren Kreuzweingartener Pfarrers Nikola Reinartz mit dem Titel "Das Ende " gibt ausführlich Auskunft über den Einmarsch der Amerikaner in Kreuzweingarten am 6. März 1945 und schildert darüber hinaus das Leben im Dorf im ersten Jahr nach dem Krieg. Eine Darstellung von Wilhelm Benden, die am 24. März 1987 von Jakob Bohnen schriftlich festgehalten wurde sowie einige schlaglichtartige Aussagen von Augenzeugen, die ebenfalls von Jakob Bohnen befragt wurden, ergänzen den Bericht.


Das Ende

kam für uns am 6. März, einem Dienstag, wo gegen 10 Uhr die ersten amerikanischen langersehnten Panzer von Antweiler her am Oberdorf einrollten, geführt von W. B., der ihnen mit weißer Flagge entgegengegangen war, und von der Bevölkerung mit Händewinken begrüßt wurden.
Die Tage und Wochen vorher waren aufregend gewesen. ..Die Nächte von Sonntag auf Montag und von Montag auf Dienstag brachten wir alle im Keller zu, wo wir gemeinsam Morgen- und Abendgebet beteten. Auch im Felsenkeller wurde der Rosenkranz gebetet. Wir hören, die Front steht bei Obergarzem, Ülpenich, Frauenberg, Zülpich ist umgangen, man kämpft an der Kaserne in Euskirchen, Billig wird beschossen. Hier Überlegung zwischen Mortier ( sc. Kreisdirektor ), Benden, Dr. Kessel und mir, was geschehen soll beim Nahen der Amerikaner. Eine Hissung der weißen Flagge vom Kirchturm wird abgelehnt, da es die Beschießung von deutscher Seite veranlassen könnte, dagegen soll man am Eingang des Ortes Posten mit weißer Fahne bereit halten, sobald das Militär abgezogen ist. Wir hören Montag nachmittag, die Amerikaner sind vor Billig auf Stotzheim, wir fürchten sie möchten uns liegenlassen.
Die Aufzeichnungen von Pfarrer Reinartz werden hier unterbrochen,. chronologisch
fügen sich die Erinnerungen von Robert Benden an, der am 30.12. 1986 J. Bohnen die Vorgänge des 5. März, an dem Abend, bevor die Amerikaner im Dorf einmarschierten und die letzten deutschen Soldaten sich noch im Ort befanden, schilderte :
Am Abend des 5. März 1945 stand ich mit meinem Vater in unserer Haustür. Wir beobachteten, wie auf der Pfaffenhardthähe Soldaten herumgingen. Als von dort Leuchtspurmunition übers Dorf in den Burgberghang geschossen wurde, sagte mein Vater, daß dies Amerikaner seien, ein amerikanischer Spähtrupp. Hierauf begaben wir uns in unseren Keller, wo auch noch einige Nachbarsleute waren, in Sicherheit.
Als es dunkel geworden war und wir auch keine Schüsse mehr härten, gingen wir auf den Hof. Da alles ruhig war und sich nichts rührte, begaben wir uns in den benachbarten Felsenkeller, in dem sich auch meine Mutter und Geschwister aufhielten. In Höhe der Schmiede Spilles begegneten uns zwei deutsche Soldaten, die eine Panzerabwehrkanone zogen und diese vor dem Pferdestall meines Onkels, Josef Gebertz, abstellten und schußbereit machten. Mein Onkel, der dies bemerkt hatte, geriet in Sorge und rief uns herbei, seine Pferde in Sicherheit zu bringen. Etwa 200 m von dieser Gefahrenstelle entfernt führten wir sie in die Stallungen von Landwirt Hubert Krebs und gingen anschließend wieder in unseren Keller.

Gegen 22 Uhr gab es einen mächtigen Knall, daß die Erde erzitterte. Wir liefen erschrocken aus dem Keller auf die Hauptstraße und stellten fest, daß deutsche Soldaten die Mersbachbrücke gesprengt hatten. Hierbei war der Hausgiebel von Spilles herausgerissen, Fensterscheiben der umliegenden Häuser demoliert worden, Hauswände in der Umgebung geborsten. Ferner waren einige Dächer abgedeckt und Dachziegel im weiten Umkreis zerstört und verschoben. Von deutschen Soldaten sah man niemanden mehr, auch war die Kanone am Haus meines Onkels abgezogen worden.
In völliger Dunkelheit gingen wir zum Felsenkeller, wo sich sehr viele Leute in Sicherheit gebracht hatten. Sie alle waren in großen Ängsten, denn niemand konnte ahnen, was für ein Schicksal noch auf sie zukommen würde. Mein Vater und ich gingen wieder nach Hause, um in unserem Keller zu schlafen.

Für den 16jährigen Johann Schneider stellte sich der Einmarsch der Amerikaner wie folgt dar..

Am Spätnachmittag desselben Tages sah ich, wie zwei deutsche Soldaten zwei Kisten Dynamit zur Mersbachbrücke schleppten. Es wurde auch bekannt, daß diese Brücke abends um neun Uhr gesprengt werden sollte. Als um zehn Uhr eine gewaltige Detonation erfolgte, befand ich mich mit Josef Gebertz in dessen Elternhaus im Keller. Nach diesem Knall ahnte ich nichts Gutes und lief schnell nach Haus, um zu sehen, welchen Schaden die Sprengung angerichtet hatte. Ich stellte fest, daß das Dach besonders dort, wo das Mehl lagerte, vollkommen abgedeckt war und ging zu meiner Mutter in den Felsenkeller, aber auch gleich wieder zurück, um das Mehl notdürftig abzudecken, weil es regnete. Sodann mußte ich das Pferd aus dem Stall holen, weil das Fachwerk herausgerissen war und der Stall voller Steine lag. Das Pferd brachte ich zu Lützelers.
Danach ging ich wieder zum Felsenkeller zu meiner Mutter.

Der Bericht des bei Reinartz "W B. " genannten Wilhelm Benden, Jahrgang 1898, aufgezeichnet am 24.3. 1987; liest sich wie folgt:
Am Abend des 5. März 1945 bestellte mich unser Herr Pastor Reinartz gegen 10 Uhr zu sich ins Pfarrhaus. Sein Anliegen wußte ich nicht. Als ich die Haustreppe hinaufging, erfolgte unweit des Pfarrhauses eine sehr starke Detonation, die das Haus erschütterte, und ich ging auf dem Podest der Treppe fast zu Boden. Man wußte zunächst nicht, was passiert war, aber am nächsten Morgen hieß es, daß deutsche Soldaten die Mersbachbrücke gesprengt hätten. (Vgl. Bericht R. Benden.)
Nun, das Anliegen des Pastors war, daß ich den Amerikanern entgegengehen sollte, und zwar vermutete er, daß sie von Billig aus auf uns zukommen würden, so daß ich ihnen vom Wasserbassin mit der weißen Fahne entgegengehen sollte. Ich teilte seine Sorge, mußte ihm aber vorerst den Wunsch ablehnen, weil noch deutsche Soldaten am Felsenkeller und im Dorf waren. Aber ich gab ihm zu verstehen, daß ich aufpassen werde, denn auch mir sei daran gelegen, daß unser Ort verschont bliebe.
So ging ich wieder nach Hause und in meinen Bunker, welchen ich mir gegenüber in die Bergwand, die aus Lehmboden bestand, gegraben hatte. Meine Mitbewohner waren Dr. Kessel, Chefarzt des Euskirchener Marienhospitals, welches man in die Kirspenicher Burg ausgelagert hatte, und Herr Mortier, Kreisdirektor.

Es war Mitternacht, als wir bemerkten, daß in unserer Nähe auf der Antweiler Straße eine Panzerabwehrkanone mit einem Mann Besatzung angefahren wurde. Wir überlegten nun, diese Geschützbedienung kampfunfähig zu machen und boten ihr Wein an, den der Soldat auch in reichlichem Maße zu sich nahm und zwar so viel, daß er einschlief. Dies war für uns das Zeichen, daß auch wir uns zur Ruhe begeben konnten.
Gegen Morgen stellten wir freudig fest, daß dieses Geschütz und mehrere andere, welche im Dorf verstreut aufgestellt waren, in Richtung Hardtwald abgezogen wurden. Mit diesem Abrücken konnte man ahnen, daß die Amis bald hier sein würden.
Wir waren noch im Bunker, als ich auf der Straße jemand sagen hörte: "Die Amis sind am Tannenwäldchen!" Schnell griff ich meine parat stehende weiße Fahne und laufe an den Ortsausgang in Richtung Antweiler bis zur Anhöhe vor dem Tannenwäldchen. Nach einer Weile Beobachtung höre ich plötzlich Geräusche und als aus der Kurve am Tannenwäldchen ein Jeep auftaucht, gefolgt von mehreren Fahrzeugen, die langsam auf mich zukommen, gehe ich ihnen entgegen, die weiße Fahne schwenkend.
Als das Führerfahrzeug auf meiner Höhe ist, hält es an, und ein Amerikaner lehnte sich aus dem Fahrzeug heraus und fragte mich nach meinen Wünschen. Ich gab ihm zu verstehen, daß ich im Auftrag vom Herrn Pastor käme, welcher herzlich bitten lasse, das Dorf zu verschonen. Darauf antwortete er nur kurz: "So." In gebrochenem Deutsch stellte er mir verschiedene Fragen, z. B. ob noch deutsche Soldaten im Ort wären und wann sie abgerückt wären. Da ich ihm sagte, in der vergangenen Nacht, etwa um ein Uhr, war er sichtlich zufrieden. Während er auf eine Karte zeigte, fragte er mich, wo es nach "Knirspenich " ginge. Da ich ihn verbesserte sagte er: "Ach ja, Kirspenich, wir wollen über diesen Ort nach Flamersheim, nach Bonn und der Rheinbrücke."
Da ich ihm anbot, den Weg durch den Ort in Richtung Kirspenich zu zeigen, bot er mir einen hinteren Sitzplatz an. Hier saß bereits ein polnischer Landarbeiter, Vladislam Nowakowski, im Wagen; sie hatten ihn vom Broicher Hof mitgenommen, um ihnen den Weg zu zeigen.
Die Fahrt durch den Ort, die in sehr langsamem Tempo vor sich ging, glich einer Geisterfahrt, denn nichts im Dorfe rührte sich, weder Katze noch Huhn passierte die Straße. Vereinzelt zogen die Bewohner die Gardinen vom Fenster zurück, auch einige winkten zaghaft. Die Leute hatten Angst und bangten um Hab und Gut. Vielleicht waren mein Begleiter und ich die einzigen in dieser Stunde in unserem Ort, die Hoffnung schöpften und ahnten, daß sich alles zum Guten wenden würde.
Auf der Hauptstraße in Höhe der alten Volksschule läßt der Offizier die Kolonne anhalten; ich steige aus. Der Offizier fragte mich, was dies für Fahrzeuge seien, die dort auf dem Platz, auf dem Schulhof, stehen. Sie hatten ihn irritiert, weil es amerikanische Lastwagen waren. Ich konnte berichten, daß diese Fahrzeuge schon einen Monat hier stehen würden und aus den Kämpfen in der Eifel von der deutschen Wehrmacht hier abgestellt wurden. Offensichtlich zufrieden über diese Auskunft und meine Hilfestellung sagte er mir bevor er wieder in den Jeep stieg: "Ich danke Ihnen für Ihre Bemühungen." Ich antwortete: "Ich danke Ihnen im Namen der Bevölkerung."
Ein paar Tage später sagte mir unser Pastor Reinartz: "Wilhelm, das hast du gut gemacht, ich habe es schon in die Chronik eingetragen." Man hatte ihm den Vorgang des Empfangs mit der weißen Fahne, so wie er sich dies gewünscht hatte, schon zur Kenntnis gebracht.

Die ersten Kontakte mit den Amerikanern erlebte jeder der Befragten anders. Zunächst Robert Benden:

Schnell lief ich an den Panzern, auf denen sich mehrere Amis befanden, vorbei zu meinem Freund Herbert Spilles. Aufgeregt sagte der Onkel von Herbert: "Lauft mal schnell ins Feld und seht nach, ob die Feldscheune noch steht." Als wir aber an dem Sprengloch der Mersbachbrücke vorbei wollten, hielt uns ein amerikanischer Offizier an und forderte uns auf, das Sprengloch mit Rundhölzern zu verfüllen. Als weitere Helfer holten sie verängstigte Leute aus dem Felsenkeller. Die Rundhölzer lagerten in der Nähe der Mühle Klein und sollten als Straßensperre dienen. Die Landwirte Krebs und Bohnen hatten die Baumstämme mit Pferde- und Ochsenfuhrwerken im Auftrag des NSDAP-Blockleiters Gerhards, der in Satzvey seine Residenz hatte, aus dem Hardtwald heranfahren müssen. Nun dienten sie dem Feind als Hilfe.

Als wir mit der Verfüllung fertig waren, kam der bis dahin tätige Land- und Ortspolizeibeamte Zacheus, um auch hier nach dem Rechten zu schauen. Er hatte sich dort kaum umgesehen, als ein Ami auf ihn zuging und ihm seine Kopfbedeckung, den Tschako, herunterschlug, ihn packte und in einem Jeep abführte. Man sah Zacheus wochenlang nicht mehr, bis er wieder in Zivil auftauchte.
Da wir so herumstanden, wurden wir von den Amis gefragt, ob wir Pistolen hätten. Wir bejahten die Frage und mußten diese zu Hause holen. Statt einen Verweis oder eine Strafe erhielt jeder 100 Ami-Zigaretten, was für uns eine besondere Freude war.
Schließlich setzten wir unseren Weg nach der Feldscheune fort und gingen auf Rheder zu. Wir kamen an der Feldscheune von Wilhelm Benden vorbei, die fast vollständig abgebrannt war. Dort lag auch ein verbrannter Soldat, der die Erkennungsmarke noch anhatte. Die Scheune von Spilles stand noch, und wir kamen nach Rheder, denn wir wollten zu Lotts. In Rheder war alles sehr ruhig. Zivilpersonen waren nicht zu sehen. Einige Amis winkten uns zu und riefen: "Komman! " Schnell liefen wir fort. Zunächst wußten wir nicht, weshalb kein Zivilist zu sehen war. Später stellte sich heraus, daß in Rheder geschossen worden war. Darauf hatten die Amis die Bevölkerung zusammengetrieben und in Scheunen eingesperrt.

Als wir von unserem Rhederausflug wieder im Unterdorf ankamen, sah ich die beiden deutschen Soldaten, die am Abend die Kanonen vor das Haus meines Onkels gezogen hatten: sie wurden von Amis abgeführt.
Berta Schütt gibt im April 1987 zu Protokoll:
Am nächsten Morgen als alles ruhig war, begab ich mich aus dem Felsenkeller zur Bäckerei Schneider, um meine Torten abzuholen. Dabei begegnete mir Frau Gebertz, die im Hofeingang stand und meinte: "Da gehen Sie noch mitten durchs Dorf, derweil die Amerikaner schon in Billig sind." So lief ich, um der Gefahr zu entgehen, gleich wieder in den Felsenkeller. Kurze Zeit später, gegen Mittag, kamen zwei Amis in den Felsenkeller und schauten sich um. Sie sprachen mit niemandem. Als die Soldaten wieder fort waren hieß es, daß wir alle nach Hause gehen könnten.
Kaum war ich zehn Minuten in meiner Wohnung, im Alten Brauhaus, kam ein Ami und sagte, daß ich in zehn Minuten aus dem Haus sein müßte, weil in dieser Wohnung die Ortskommandantur eingerichtet würde. In diesen zehn Minuten konnte ich alles mitnehmen, was ich benötigte. Hierbei half mir Karl Bohnen, der gerade bei mir vorbeikam und die Anweisung der Militärbehörde mitbekommen hatte. Viel konnte ich nicht mitnehmen, weil ich ja auch die Kinder bei mir hatte.

Aber ich wußte auch zunächst nicht, wo ich hingehen sollte, so daß ich weinend im Hof stand. Glücklicherweise kam Frau Schlösser und sagte, daß ich zu ihnen ziehen könnte. Bei Schlössers stellte ich fest, daß im rückwärts gelegenen Keller des Hofes etwa 20 deutsche Soldaten sich in Gefangenschaft befanden, obwohl der Keller teilweise unter Wasser stand.

Bei Schlössers war auch keine Bleibe, denn kaum waren wir im Haus, als wieder Amis kamen und sagten, daß die Wohnung fürs Militär beschlagnahmt sei. So mußten wir auch hier heraus und irrten auf der Straße umher, bis ich bei Rulands eine Unterkunft auf kleinstem Raum fand. Nach Aufhebung der Dorfausgangssperre nach 14 Tagen hatte mein Bruder aus Lessenich die Möglichkeit, mich aufzusuchen, um bei mir nach dem Rechten zu sehen. Am nächsten Tag hatte er bei Landwirt Steinhausen erreicht, daß dieser mich mit dem Pferdewagen abholte und ich somit aus der Enge dieses Hauses kam.
Ich blieb mit den Kindern einige Wochen in der Wohnung meines Bruders und kehrte dann wieder nach Kreuzweingarten zurück, als die amerikanischen Truppen wieder abgezogen und wieder Ruhe in den Ort eingekehrt war.

Für Johann Schneider sah der Tag der Befreiung wie folgt aus..

Als es Morgen und hell geworden war, verließen wir beide den von ängstlichen Menschen überfüllten Felsenkeller. Vormittags hieß es: "Die Amerikaner sind da!" eiligst wurde ein Bettlaken an eine Stange gebunden und Josef Gebertz und ich gingen auf die Straße. Gleich kamen Amis auf uns zu, das Gewehr auf uns gerichtet und fragten nach deutschen Soldaten. Wir mußten voraus in den Keller gehen, wo sie sich davon überzeugten, daß keine Soldaten im Hause waren.
Wegen des regnerischen Wetters mußte ich mich um Dachziegel bemühen, damit die Mehlvorräte nicht verdarben. Bei den Arloffer Thonwerken erhielt ich die Dachziegel. Für mich ging am nächsten Tag der Alltag in der Backstube weiter, denn die Leute brauchten zu Essen.

Wilhelm Trimborn, 1945 Lehrling im 2. Lehrjahr in der Maschinenschlosserei Dederichs, berichtet..

Im März 1945 hatte ich mein erstes arbeitsreiches Lehrjahr fast beendet. Arbeitsreich war dieses 1. Lehrjahr, da wir nach Ausrufung des Totalen Krieges als anerkannter kriegswichtiger Betrieb auch als Lehrlinge in der Woche 60 Stunden arbeiten mußten. Aus diesem Grunde brauchten Willi Emonds, Lehrling im 2. Lehrjahr, und ich allerdings auch nicht zum Westwall zum Schanzen.
Am 5. März reparierten wir notdürftig das Dach unseres Hauses sowie die Dächer von Schmitz und Gemünd, die durch Bombeneinschläge in nächster Nähe fast vollständig abgedeckt waren.
Am Nachmittag des 5. März hörten wir Kanonen und MG-Feuer von Wachendorf-Antweiler her. In unserem Keller übernachteten zwei Soldaten, die seit Tagen nicht mehr geschlafen hatten. Morgens kurz nach sieben Uhr verließen sie unser Haus und marschierten gemächlich in Richtung Kirchheim. Als sie weg waren, entdeckte meine Mutter entsetzt hinter der Haustür einen geladenen Karabiner. Mir gelang es, diesen Karabiner noch kurz vor dem Einzug der Amerikaner in den Mühlenbach zu werfen.
Der Einmarsch verlief ruhig. Vereinzelt härte man Gewehrschüsse im Hardtwald und in Richtung Kirchheim. Auch wir machten bald Bekanntschaft mit den Amis, denn ein Panzer stellte sich in unsere Hofeinfahrt. Die Soldaten hatten Hunger, und meine Mutter mußte Kartoffeln mit Speck und Eiern servieren; den Speck lieferten die Amerikaner selbst.
Gegen zwölf Uhr kamen zwei Amis mit einem Jeep und forderten mich auf mitzukommen, ebenfalls Emonds Willi, der in unserer Nähe wohnte. Unsere Mütter konnten das Geschehen nicht fassen und schrien und weinten, denn sie meinten, man würde uns abführen. Statt dessen fuhren uns die Soldaten in unsere vertraute Werkstatt zur Firma Dederichs. Wie und woher die erfahren hatten, daß wir dort beschäftigt waren und vor allem Strom erzeugen konnten, wurde nicht bekannt.
In der Werkstatt empfing uns ein deutschsprechender amerikanischer Sergeant, der uns bedeutete, daß einer von uns beiden immer da sein müßte, um Strom zu machen. Die Stromversorgung war zusammengebrochen, aber wir konnten mit unserer Wasserturbine, mit der sonst die Werkzeugmaschinen und Drehbänke betrieben wurden, durch einen 220 Volt Gleichstrom-Generator Strom erzeugen.
Die Amis legten von den nahegelegenen Häusern, Altes Brauhaus, wo die Ortskommandantur war und von den Häusern Gebertz, Schlösser, Dederichs Stromleitungen in die Werkstatt, von wo wir sie mit Strom versorgen konnten. Unsere Aufgabe bestand darin, daß die Turbinen liefen, das Schmutzreff sauber zu halten sowie für den richtigen Wasserstand zu sorgen. Wir wurden gut behandelt, erhielten die ersten Kaugummis unseres Lebens und sonstige Zuwendungen.
Nach 14 Tagen arbeiteten wir, als wäre kein Krieg gewesen, obwohl anderswo in deutschen Landen noch hart gekämpft wurde. Wir arbeiteten statt 60 Stunden jetzt 50; die Lehrlinge erhielten zum ersten April Lohnerhöhung, Emonds erhielt die Stunde 10 RM und ich 8 RM. Der Kaufwert war mehr als wenig, denn eine Ami-Zigarette kostete 7 RM.
Über die Besatzungszeit Kreuzweingartens schreibt N. Reinartz weiter:
Der Einzug der Amerikaner gestaltete sich zunächst in Weingarten reibungslos, bis im Laufe des Nachmittags zunächst einige Häuser, dann ganze Teile des Ortes von den Bewohnern, die ihr Bettzeug mitnehmen konnten, verlassen werden mußten. Die Wohnungen sollten den Soldaten eingeräumt werden, die keine Gemeinschaft mit der Bevölkerung haben durften. Die ganze Nachbarschaft kam ins Pfarrhaus, wo 33 Personen unterkommen wollten, darunter die todkranke Frau Nelles. Da kommt um halb neun der Vorsteher Gilles mit der Anzeige, auch das Pfarrhaus müsse geräumt werden. Ich gehe mit demselben sofort zu dem Kommandanten und berufe mich außerdem auf meine Stellung gegenüber den Nazi. "Ein Pfarrer, der da geschwiegen hat, ist ein Verbrecher." Er geht aber persönlich mit, untersucht genau die Lage des Hauses mit seiner Taschenlampe - wohl wegen der im Keller von Roggendorf untergebrachten Gefangenen - und sagt dann: "Sie können bleiben." Daraufhin große Erleichterung bei der verängstigten Menge, die Bettzeug herbeischleppt und sich für ein paar Nächte wieder im Keller einrichtet. Die erste Nacht seit langer Zeit, wo wir befreit vom nächtlichen Schrecken friedlich schlafen durften. Die ersten Tage dauerte der Durchzug und ständiger Wechsel der Soldaten und Geschütze an. Es kamen Verordnungen über die Ablieferung von Waffen, Radiogeräten, Ausgehverbot von 6 Uhr abends bis 7 Uhr früh, das dann noch verschärft wurde, indem nur die Zeit von 8-9 und von 4-5 Uhr als Ausgangszeit bestimmt wurde, auch verboten wurde, außerhalb des Ortes zu gehen, woran aber sehr wenig sich gehalten wurde, zumal die Posten eingezogen wurden und auch der Ortskommandant, der im Hause des gefangen genommenen Gendarmen sich einquartiert hatte, abzog. Nur die Kommandanten der durchziehenden Truppen waren im Ort. Über das Verhalten der einquartierten Soldaten kamen viele Klagen. Nicht nur, daß betrunkene Soldaten Leute bedrohten, sie richteten auch besonders wo sie Nazizeichen vorfanden, eine gräuliche Verwüstung an, stahlen auch Silber, Uhren, Decken etc.
Ich brachte die Beschwerden dem amerikanischen Feldgeistlichen vor, der sich bei mir vorstellte und Mittwoch morgen hier zelebrierte; er meinte daraufhin, zehn Prozent der Truppen taugten nichts. Ging auch zum Offizier, wo ich auf Kreuz-Nein-Garten hinwies und mein Bedauern über die Übergriffe der Soldaten äußerte. Ich erhielt zur Antwort, die Soldaten dürften das Eigentum der Zivilbevölkerung nicht angreifen. Dagegen sagte Oberst von Birkhahn, der seinen Schaden auf 20000 Mark taxierte, ein Offizier hätte erklärt, jeder dürfe ein Andenken mitnehmen! Schlimmer waren die Bedrohungen der Einwohner durch betrunkene Soldaten, die überhaupt sehr auf Alkohol aus waren. Auch wurden verschiedentlich Frauen belästigt, indem Soldaten unter dem Vorwand, nach versteckten Soldaten zu suchen, in die Häuser eindrangen. Allerdings scheinen auch manche nicht genügend sich zurückgehalten zu haben, indem dieselben Zigaretten mit den Soldaten rauchten. Als dieselben dann handgreiflich werden wollten, nahm der Kommandant auf Klageerstattung die Soldaten vor und verwarnte sie. Ein Fall wurde berichtet, wo betrunkene Soldaten jemand die Pistole auf die Brust gesetzt hatten, dafür aber auf Geheiß des Offiziers von anderen Kameraden verprügelt wurden. Besonders schlimm ging es in den Häusern zu, wo Hitlerbilder u. dgl. gefunden wurden, obwohl die meisten Fahnen etc. vorher verbrannt worden waren. Sehr anständig benahmen sich die Amis in KaIkar, wo sie die Schuhe sogar draußen reinigten, um keinen Schmutz in die Häuser zu bringen. Auch sonst blieben die Bewohner ganz unbehelligt, da hier auch drei Männer mit weißer Fahne den Panzern Dienstag morgen entgegengezogen waren. Dort hatte übrigens eine Abteilung Feldgendarmerie sich einnisten wollen, welche auch den Pastor von Schwerfen mit sich führte, unter der Anklage, die weiße Fahne auf dem Kirchturm gehißt zu haben. Sie wurden aber energisch abgewiesen. Hier war auch kein Vieh abgeliefert worden, während noch Ende der letzten Wochen hierselbst auch kleinen Viehhaltern bis zu drei Stück von den Deutschen abgetrieben wurden, dasselbe würde nach dem Krieg bezahlt werden ...

(Der Bericht befaßt sich im folgenden mit Angaben zum Wetter, Gottesdiensten, politischen Mutmaßungen über das Fortschreiten des Krieges, Lockerung der Ausgangssperre, der Stromversorgung, der allmählichen Normalisierung im Dorf und fährt dann fort:)

Christi Himmelfahrt, 10. Mai. Gestern Kapitulation und Waffenruhe!

Die Aufzeichnungen von Reinartz gehen noch weiter und beschäftigen sich mit dem Neuanfang des kirchlichen, schulischen und zivilen Lebens; einige Abschnitte werfen ein Licht auf persönliche Probleme des Chronisten, der im letzten Abschnitt voraussagt:

Im neuen Jahr (sc. 1946) werden uns noch manche und harte Entbehrungen auferlegt werden, die uns heiligen können, wenn wir sie in der Nachfolge des kreuztragenden Heilands auf uns nehmen. Die größten Schäden an den Wohnhäusern sind jedoch bereits beseitigt und günstige Witterung hat die Bestellung der Wintersaaten gefördert. So wollen wir denn mit christlicher Geduld, Mut und Gottvertrauen weiter an die Arbeit gehen. Mit Gottes Hilfe werden vereinte Anstrengungen und die nun nicht mehr gehinderte harmonische Zusammenarbeit von Kirche und Gemeinde auch schwierige Aufgaben wie die Beseitigung von Notständen, Flüchtlingsfürsorge, Jugenderziehung erfüllen ...


Entnommen: „1100 Jahre Wingarden“ - Kreuzweingarten 893-1993


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