Ein Wegweiser zum Osterspaziergang




Zum alten deutschen Brauchtum, das sich um die Osterfesttage rankt, gehört der Osterspaziergang. Goethe hat ihn in seinem „Faust“ verherrlicht. Zur Zeit unserer Altvorderen wurde das Osterfest im äußeren Leben und Treiben viel ernster gehalten als in unsern Tagen. Man kannte es nicht, daß dieses Fest schon lauter Fröhlichkeit gewidmet war. Unsere Väter erzählen, daß in ihren Heimatdörfern lediglich am zweiten Festtage die Kegelbahn eröffnet wurde, daß aber darüber hinaus jegliches laute Vergnügen verpönt war. Das Einzige, was sich der Bürger und Bauer an diesen heiligen Tagen gönnte, war der Osterspaziergang, eine Wanderung in Gottes freier Natur, um deren Auferstehung im werdenden Frühling zu begrüßen.

Die Zeiten sind anders geworden. Aber auch heute noch drängt es den Menschen nach langer Wintersnot und dem Ernst der Fastenzeit hinaus in Feld und Wald, um das Wunder des ewigen Werde! zu schauen und sich an dem ersten Zeichen des wieder erwachenden Lebens zu erfreuen. Wir haben hierbei nicht die Rekordwanderer im Sinne, die einen solchen Gang ins Freie nur nach der Zahl der zurückgelegten Kilometer schätzen, sondern den besinnlichen Durchschnittsbürger, der sich einige Stunden dem wunderschönen Genusse einer Frühlingsfeier in der Gottesnatur hingeben will, um sich zu erholen und über den Alltag emporzuheben, im Anschauen des keimenden Lebens ringsum.

Wohin sollen wir Ostern gehen? Hier gilt das Wort: Warum in die Ferne schweifen, denn das Gute liegt so nah'! Und wäre es nur ein Gang zu einer unserer Friedhöfe, dem alten am Hindenburgplatz, in dem es sproßt und grünt, daß es eine helle Freude ist, in den die Vogelwelt jubilierend Leben bringt zur Freude der vielen frohen Menschen jeglichen Alters, vom spielenden Kinde bis zum müden Alten, -der zu der großen, schönen Gräberstadt am Frauenberger Wege, die sich unter verständnisvoller und warmherziger Pflege immer mehr zu einem Gottesgarten eindrucksvollster Art entwickelt! Wer weiter wandern will, den lockt die Erft mit ihrem rauschenden Wasser, den frisch grünen Matten, den knospenden Bäumen und den zufriedenen Menschen, die auf den wohlgepflegten Wegen wandeln. Er mag bis kurz vor Kessenich dem heimischen Flusse folgen und dann den Heimweg durch die blühenden Gärten im Kleinefeldchen machen. Oder man geht aus dem Innern der Stadt vorbei am alten Rheinischen Hof, neben dem der stimmungsvolle Schmuckplatz entstanden ist, über den Wall in die früheren Kaltenbenden, wandert den Bach aufwärts über das „Noldemöllche“ und Ruhr's Fabrik bis Euenheim, schaut sich dort in die schöne, besonders gepflegte Kirche hinein und geht der Landstraße nach zur Stadt zurück, wobei man am Schmuckplatz gegenüber dem evangelischen Jugendheim kurze Rast halten kann. Wer nach dem Süden strebt, den lockt der neu angelegte, ideal schöne Schillerpark, von dem ein lohnender Spaziergang bis zum Stadtwald führt, der sich auch schon mit jungem Grün zu schmücken beginnt. Von dort führt der Rückweg durch das prächtige Villenviertel an der Münstereifeler Straße mit seinen blühenden Gärten. Also eine zwar nicht überreichliche, aber doch in jeder Hinsicht befriedigende Auswahl! Man muß freilich mit offenem Blick und empfänglichem Herzen wandern, dann übt der Frühling erst seinen ganzen Zauber auf die Menschen aus.

Gehen die Wünsche höher hinaus und will man den Osterspaziergang auf einen ganzen Nachmittag ausdehnen, dann winkt als lockendstes und lohnendstes Ziel unsere altbekannte Hardt. Sie war in der Zeit vor 70, 80 Jahren, von der im Volksblatt so viel erzählt wird, der einzige Ausflugspunkt der alten Euskirchener Bürgerschaft, die dort ihre Waldfeste veranstaltete. Ihr soll unser Osterspaziergang gelten!

Also: Sonntagskarte Kreuzweingarten! Um 13.32 Uhr fährt unser Zug ab, wie immer wohl besetzt. Wir fahren an der Zuckerfabrik vorbei und schauen in die rosig und weiß schimmernden Gärten, ziehen in gemessenem Tempo am Dörfchen Roitzheim mit seiner schmucken Kirche und den netten Häusern vorüber, halten in Stotzheim, wo wie immer reges Leben herrscht, durchfahren wieder Gärten im Frühlingsschmuck, schauen in die frisch grünen Wiesen und die bräunlich grün schimmernden Berge und halten am Bahnhofe der sich am Fuß des Hardtenberges schmiegt.

Unser erster Gang gilt natürlich dem hochragenden Wahrzeichen des idyllischen Dörfchens, dem Kreuz auf dem Burgberge. Wir folgen, nachdem wir das Bahngleise überschritten haben, nur etwa hundert Schritte dem quer durch den Wald führenden Wege und biegen noch vor der Beckerschen Villa rechts ab, wo ein vor kurzer Zeit neu angelegter, in bequemen Windungen aufsteigender Pfad durch die Lohhecken nach oben führt. Hier und da blühen Windröschen auf dem Waldboden und die ersten grünen Spitzen zeigen sich an dem Geäst der jungen Buchen und braune Knospen an den Eichen. Im Emporsteigen werfen wir dann und wann einen Blick hinter uns ins schöne Tal und hören auf der Landstraße die Autos hin- und herflitzen. Nun haben wir die Höhe erreicht, der Pfad, der nach rechts zum Kreuze führt, nimmt uns auf. In wenigen Minuten sitzen wir auf der Bank am Fuße des Kreuzes und lassen den Blick um uns schweifen.

Immer und immer wieder freuen wir uns an dem herrlichen Bilde. Es ist unbestritten einer der schönsten Rundblicke, die unsere Heimat kennt. Vor uns liegt, dem Greifen nahe, das friedliche Dörflein, das nun drei Sonntage hintereinander feiern wird, einmal Ostern, dann Kinder-Kommunion und gleich hinterher die Kirmes, die erste in unserer Gegend. Wir sehen das stattliche Jugendheim, das alte, prächtig restaurierte Kirchlein, an das sich der einzigartige Friedhof schließt, schauen darüber hinaus den Berg, der den Römerkanal birgt, an dessen Fuß sich der Weinberg des um die Erforschung der Heimatgeschichte und die Erhaltung wertvoller Ueberlieferungen hochverdienten Pfarrers schmiegt, sehen über den Berg die Spitzen der Kirchtürme von Billig und Wißkirchen, weiter rechts unsere Vaterstadt, deren Südfront so viele hochragende öffentliche Gebäude schmücken, und wenden uns dann mehr nach Westen und Süden, wo im weiten Tal die Burgen und Häuser von Antweiler, Wachendorf grüßen, der Broicherhof und das Dörfchen Kalkar mit seinem Naturschutzpark, im Hintergrunde auf der Höhe der hochragende Kamin des Mechernicher Bleiberges und weiter links das die Gegend beherrschende Kirchlein von Eschweiler. Wir folgen dem Lauf der Landstraße nach Iversheim und in die Berge, die den Kessel umschließen, in dem sich Münstereifel verbirgt. Im Sonnenglanz ist es ein immer auf's Neue fesselndes Bild, von dem man sich nur ungern losreißt.


Hardtburg bei Kreuzweingarten (Photo: Bildarchiv Volksblatt)

Wir gehen nun vom Kreuze rechts ab und biegen in einen schmalen Pfad ein, der am Südrande des Burgberges vorbei zieht. Er ist nicht gerade bequem und macht den weiblichen Teilnehmern an unserm Spaziergang einige Schwierigkeiten. Aber er eröffnet auch ein paar Mal ganz entzückende Durchblicke auf die Schwesterdörfer Kirspenich-Arloff mit ihren Burgen, dem nadelspitzen Kirchturm und dem regen Leben auf den Wegen. Unser Pfad durchschneidet den alten Erdwall der so manchem Altertumsforscher Kopfzerbrechen verursacht hat, und führt dann durch freieres Gelände über die Höhe, bis wir den breiteren Pfad erreichen, der vom Hauptwege kurz vor der starken Steigung rechts abzweigt. Wir folgen ihm eine kurze Strecke und biegen dann links ab in einen durch Buchenhallen überwölbten Gang ein, der auf den breiten Weg von Stotzheim nach Kirspenich ausmündet. Hier ists entzückend schön, das junge Grün wird von den Strahlen der Frühlingssonne belebt, daß es hell um uns leuchtet. Im Hochwalde links von uns und in dem Unterholz zu unserer Rechten jubilieren die Vögel, als ob sie von einer besonderen Osterfreude erfüllt wären. Schade, daß dieser schöne Pfad so rasch zu Ende ist!

Dem breiten Wege gehen wir auf Stotzheim zu etwa hundertfünfzig Schritt nach, dann zweigt rechts ein Weg ab, dem wir zwischen Hochwald und Lichtung, Tannenschonungen und Lohschlag in bunter Abwechslung leicht ansteigend folgen bis fast an den Waldrand. Kurz vorher biegen wir links ab in die hochragenden Buchen hinein.

Hier riechts nach Waldmeister; zwischen dem braunen Laub, das den würzig' duftenden Waldboden bedeckt, entdecken wir die ersten jungen Triebe des würzigen Kräutleins. Auf einem breiten Wurzelstock machen wir kurze Rast.

Unser Pfad führt jetzt ins Freie. Wir schreiten über frischgrüne Wiesen und Felder der Höhe zu, die sich dort erhebt, von früheren Kiesgruben oder Steinbrüchen durchfurcht, mit Obstbäumen bestanden, die sich zur Blüte anschicken. Wieder bietet sich dem Auge ein prachtvoller Rundblick. Im Westen schließen die Eifelberge, im Süden die dunkelbewaldeten, hier und da von hellem Grün durchbrochenen Höhen des Flamersheimer Waldes das Panorama ab. Dort über Kirchheim, das langgestreckte dreiteilige Dorf hinaus, zeichnet sich der Kamm ab, hinter dem die Steinbachtalsperre liegt. Unser nächster größerer Ausflug soll ihr gelten. Am ergiebigsten ist der Blick nach Osten in die fruchtbare, reichbesiedelte Ebene in der Flamersheim mit seiner Burg, Ringsheim, die Kirchtürme von Odendorf und zahlreicher anderer Dörfer sichtbar werden, abgeschlossen nach rechts vom vorspringenden Speckelstein, im Hintergrunde von den Hügeln des Vorgebirges und weiter zurück von den sieben Bergen am Rhein. Das alles in Frühlingsglanz und Sonnenschein!

Aber wir können hier, trotz aller Schönheit der Aussicht, keine Hütten bauen! Also weiter! Sollen wir uns bis zum Wege Flamersheim - Kirspenich durchschlagen und beim Ohm Jööp auf der Kirspenicher Burg einkehren? Wir lassen diesen Plan fallen, das kann mit dem Ausflug zur Steinbachtalsperre demnächst verbunden werden. Heute wollen wir in der Hardt bleiben! Wir gehen zum Walde zurück und wenden uns jetzt rechts, der Hardtburg zu. Frischgrünes Strauchwerk, das von blühenden wilden Kirschzweigen belebt wird, schließt unsern Pfad nach der Feldseite ab. Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß dieser Teil des Waldes wenig begangen wird. Der heisere Schrei eines Hähers, den wir abstreichen sehen, bringt einen Mißton in das vielstimmige Vogelkonzert, das uns umgibt. Der leichte Ostwind trägt Glockenläuten zu uns herüber. Osterstimmung!

Jetzt treten wir auf den breiten Weg, der von Kreuz-Weingarten an der Hardtburg vorbei zu den Dörfern jenseits der Berge führt. Wir folgen ihm, nach links abbiegend, uns sehen den Bergfried der Burg aus den Baumkronen auftauchen. Nun gehen wir am tiefen Graben vorbei, in dem der Frühling sichtlich am Werke ist, und stehen vor dem weitgeöffneten Tor der alten Feste. Ein prächtiges Bild! Das muß geknipst und dem Volksblatt zur Belebung unserer Schilderung übergeben werden. (Unsere Leser können sich überzeugen, daß es vortrefflich gelungen ist. Die Schriftleitung)

Wir durchschreiten das spitzbogige Eingangstor mit seinen Befestigungen aus alter Zeit und erfreuen uns an dem immer und immer wieder interessanten Bilde, das der Burghof mit dem wohlgepflegten Garten und dem Bergfried im Hintergrunde bietet. Noch ehe wir uns zur gastlichen Ruhe niedersetzen, gehen wir an der Innenmauer vorbei, die hier und das noch Reste des alten Wehrganges und Schießschater zeigt, zum mächtigen Turme hinüber, den wir auf massiven Holzstiegen ersteigen. Als wir vor mehr als fünfzig Jahren zum ersten Male den Bergfried bezwangen, war uns der aufstieg nicht so leicht gemacht. Man mußte auf schwankenden Leitern die Höhe erklimmen. Nun sind wir oben und erfreuen uns an dem lohnenden Ausblick. Bei klarem Wetter kann man von hier die Türme des Kölner Domes sehen. Man hat nicht immer das Glück. Die starke Braunkohlen-Industrie am Vorgebirge versperrt mit ihren Rauchschwaden häufig die Aussicht. Wir erinnern uns, vor mehr als 25 Jahren einmal mit einem Kölner Kirchenchor, den ein Jugendgenosse von uns dirigierte, hier oben gewesen zu sein. Damals waren die Schwurfinger des Kölner Dome, seine beiden Türme, deutlich zu erkennen, und die Kölner grüßten das ewige Wahrzeichen ihrer Stadt mit begeisterten Liedern.

Indes uns aufgescheuchte Dohlen umkreisen, erzählt uns einer aus der Gesellschaft von der Geschichte der Hardtburg. Sie erscheine schon im Jahre 1166 in einer Urkunde, durch die ein Hermann von Kirspenich seinem Neffen Rudolf die Hardtburg verkauft. Später kam sie in den Besitz der Grafen von Hochstaden, die sie der Kölner Domkirche schenkten. In den folgenden Jahrhunderten wohnten auf de Burg die kurkölnischen Amtmänner, unter ihnen zu Anfang des 18. Jahrhunderts Franz von Quentel, der Bruder des Kölner Domherrn gleichen Namens. Der Amtmann Franz von Quentel wurde von den Euskirchenern mit einer scharfen Fehde überzogen, weil er ihnen die Genehmigung verweigerte, im Hardtwalde die zur Sicherung der Stadt vor den anrückenden Franzosen notwendigen Pallisaden zu schlagen. Damals stürmten die entrüsteten Euskirchener, von den Dragonern des in der Stadt liegenden Majors von Dannenberg unterstützt, die wehrhafte Burg, und der Hof, der unten vor uns liegt, hallte wieder vor gewaltigem Kriegsgeschrei. Es floß auf beiden Seiten viel Blut. Im Jahre 1794 mußte der letzte kurkölnische Amtmann, Graf von Belderbusch, die Burg verlassen; sei wurde National-Eigentum der französischen Republik. Seit 1815 ist sei im Besitz des preußischen Fiskus und Sitz eines Försters der Oberförsterei Kottenforst.

Nach diesem geschichtlichen Exkurs steigen wir zur Erde herunter und nehmen zur gastlichen Rast in einer der stimmungsvollen Lauben Platz. Der freundliche Förster hat zu unserer Erquickung bereit, was wir wünschen. Den Rückweg zur Station Kreuzweingarten nehmen wir nicht über den breiten Weg. Wir haben Zeit genug, noch einmal im Walde unterzutauchen. Der Burg gegenüber zieht eine breite Lichtung, in der sich Wiesen und Felder ausdehnen, die Höhe herunter. Den schönen Blick in die Ebene vor uns, wandern wir hier abwärts, bis unser Weg an den Wald stößt, und biegen dort links wieder in einen lauschigen Pfad ein, der in westlicher Richtung verläuft und ungefähr das auf den Weg Stotzheim - Kirspenich stößt, wo der Wald aufhört. Wir gehen noch bis an den Waldrand und erfreuen uns an dem Blick auf die gesegneten Fluren, in denen unsere Vaterstadt liegt. Wir können den Lauf der Erft mit den Fabriken, Mühlen und Dörfern verfolgen und umfangen das lebensvolle Bild mit dankbarem Auge. Dann wenden wir uns zur Heimkehr.

Ein bequemer Pfad führt durch die Buchenhallen ,die von den Strahlen der sich dem Westen zuneigenden Sonne vergoldet werden, bis zum alten Hubertuskreuz, wo wir den Weg zum Bahnhof erreichen. In Kreuzweingarten läuten die Abendglocken. Jetzt erst werden wir gewahr, wie viele frühlingshungrige Menschen heute einen Osterspaziergang gemacht haben. Der Weg ist belebt von heimkehrenden Gruppen. Auf dem Bahnsteig drängt sich eine wartende Menge. Manche Väter sehen wir darunter, deren Kinder in Körbchen verwahrt die Ostereier tragen, die sie bei ihren Taufpaten in den Nachbardörfern geholt haben. Und die meisten Wanderer nehmen ein Attribut des Frühlings mit nach Hause, einen blühenden Zweig, ein Sträußchen Schlüsselblumen u. Windröschen. Alle sind froh und befriedigt von dem herrlichen Tage, der ihnen nach langem Winterharren das doppelte Auferstehen gebracht hat, im Hause der Herrn und in der Schönheit der Natur!


Entnommen: Euskirchener Volksblatt vom 20. April 1935




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