Fünf Kilogramm Brisanzsprengstoff legten Kamin in Rheder um
Maßarbeit eines bekannten deutschen Sprengfachmannes

Rheder. Samstag morgen kurz nach 12 Uhr auf dem Hof der Verbandstoff- und Textil-Vließ-Fabrik Franz Kalff Co. in Rheder. Die Räder im Werk stehen still. Die Belegschaft, zum Teil auf dem Dach, zum Teil auf dem Hof, außerhalb des Werkes am Wege und auf dem Bahndamm, starrt wie gebannt auf den Schornstein, nachdem der Sprengmeister mehrfach warnend ins Horn gestoßen hat. Dann zündet er die Sprengladung, am Fuß des 32 m hohen Schlotes gibt's eine Staubwolke, ein Zittern geht durch den Koloß, dann neigt er sich krachend zur Seite, bleibt, so scheint es, noch einen Augenblick zögernd in der Luft hängen und kracht dann mit Donnergepolter in den Fabrikhof - genau dahin, wohin er fallen sollte. Nur äußerst knapper Raum stand zur Verfügung, 12 m breit und 45 m lang, und das für eine Kaminsäule von 32 m Höhe und 5 m Umfang!

Vor genau 59 Jahren hatte die Stotzheimer Firma Hergersberg, die heute längst nicht mehr existiert, den Kamin gebaut, so solide, daß der Sprengfachmann von ihm sagte, er habe in seiner langjährigen Praxis noch nie einen von so solider Bauweise „umgelegt“. Jahrzehntelang hatte der Schlot seinen Dienst getan, nach Umstellung des Betriebes auf Oelfeuerung war er überflüssig geworden und stand weiteren Bauabsichten neben dem neuen Kesselhaus im Wege.

Die 32 m hohe Kaminsäule Stein für Stein abzutragen, wäre viel zu mühsam gewesen. Wenn auch jeder Laie, der aus nächster Nähe den knappen, für die Sprengung zur Verfügung stehenden Raum in Augenschein nahm, sich von dem Gefahrenmoment für die nahegelegenen Baulichkeiten überzeugen konnte, der mit der Sprengung betraute Fachmann Georg Werner aus Stolberg war zuversichtlich. Er garantierte dafür, daß der Schornstein genau dahin fallen würde, wohin er es wollte.


Das Sterben eines Schornsteins in drei Bildern. Links: Letzte Vorbereitungen zur Sprengung. Bild 2: Genau am neuen Kesselhaus vorbei mußte der Riese zu Boden gehen. Bild 3: Kurz vor dem Aufschlag. Der Sprengmeister war stolz, daß der Koloß nach seinem Wunsch umfiel.
Fotos: Elbern

Zu diesem Zwecke wurden am Fuße des Kamins zwei Schlitze ausgebrochen, die das Mauerwerk - im Grundriß gesehen - in zwei Teile teilten. Währen die eine Hälfte unberüht blieb, wurden in die andere Hälfte 25 Sprenglöcher eingelassen, in die 5 kg Brisanzsprengstoff verfüllt wurden. Nach Beendigung dieser Arbeit sicherte Georg Werner mit seinem Mitarbeiter die Sprengstelle durch Strohballen ab, die eventuell wegspritzende Teile auffangen sollten.

Man konnte dem fachlichen Können des Stolberger Fachmannes schon alles Vertrauen entgegenbringen, hat er doch in der ganzen Bundesrepublik einen guten Namen. Das geht schon daraus hervor, daß man ihn im vergangenen Jahre, nachdem durch unsachgemäße Sprengung in der Porta Westfalica drei Menschen ums Leben gekommen waren, zu Hilfe rief. Ohne jegliche Komplikation gelang ihm dann auch die Vollendung des schwierigen Werks.

„Wir sprengen jetzt!“

Man hatte wahrscheinlich den Zeitpunkt der Sprengung, 12 Uhr, mit Absicht gewählt, um den Belegschaftsmitgliedern zu ermöglichen, dem seltenen Ereignis zuzuschauen. Der Sprengmeister und die Polizei hatten alle Hände voll zu tun, bis die Sprengstelle soweit geräumt war, daß niemand näher als 300 m stand - außer dem Sprengmeister selbst. Auf 125 m zündete er die Ladung und mußte vor den mit Macht anrollenden Trümmerstücken aus dem Wege laufen. Minutenlang lang über dem Fabrikgelände eine dichte Staubwolke. Als sie sich verzogen hatte, konnte man auf dem Gesicht Georg Werners den berechtigten Stolz ablesen, daß es ihm gelungen war, den Koloss so fallen zu lassen, daß er haarscharf am Belegschafts- und Kesselhaus vorbei zu Boden schlug.

Lb.

Artikel-Sammlung Heinrich Veith Kreuzweingarten
Quelle: Kölnische Rundschau vom 19. Juli 1960 *)

*) Anmerkung: Leider fehlen bei manchen Artikeln der Sammlung Heinrich Veith oftmals Quellenangabe und Erscheinungsdatum.
Die fehlenden Werte wurden so gut es ging, nachgearbeitet.
Für Irrtümer wird auf eine spätere Nachbesserung verwiesen; ggf. um Korrekturangaben gebeten.

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