Annette Freiin von Droste-Hülshoff
Zu Hans Franck, Annette


Es ist ein gutes Zeichen für die Kraft der deutschen Seele, daß sie beginnt, die Gründe aufzuspüren, aus denen vor einem Menschenalter schon vorkeimte, was sich in unseren Tagen politisch und völkisch vollzieht. Durch jedes Volk rauscht seine rassische Wesenheit als ein ewiger Strom; mag er zeitweise vom Geröll fremden Zeitgeistes überschüttet sein, mit nie versiegender Gewalt bricht er immer wieder zum Licht und bleibt Spender der Kraft, von der ein Volk eine Ewigkeit zehrt.

Es ist das Schicksal der germanischen Seele, daß sie sich stets um zwei Pole bewegt: Natur und Gott, Sein und Uebersein. Beide möchte sie umkreisen, zur Einheit in sich zwingen; darum müssen sie eropfert und erkämpft werden. Sie sind nicht Ruhe sondern ewige Sehnsucht. So ist der kämpfende und suchende, der faustische Mensch, Bild des germanischen Menschen überhaupt geworden, und aus dem Lebensstrom des deutschen Volkes tauchen sie auf, die Gewaltigen ihres Volkstums, schöpfen aus der Tiefe der Vergangenheit und weisen in die Zukunft, setzen sich zur Wehr gegen fremden Geist des Tages und der Zeit, werden die Mahner zur Wahrung germanischen Erbtums.

Als in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts der Geist des Liberalismus das deutsche Volk zu überfremden begann, als eine materielle Zweckhaltigkeit Maßstab des Lebens wurde, als der Ruf einer falsch verstandenen Freiheit aus dem Westen die Gemüter deutscher Menschen ergriff und die heiligen Gemüter der deutschen Seele mit einem Spötteln abgetan wurden, erwuchs dem Boden alter germanischer Heimat der Mensch, der den Kampf mit dem volksfremden Geiste aufnehmen wollte und der, weil er den Kampf gegen das eigene Ich nicht scheute, auch gegen die anderen Sieger blieb: Annette Freiin von Droste-Hülshoff. Sie ist die Verkörperung der germanischen Seele in einer Zeit, wo die Lehre von der Gleichheit und Brüderlichkeit alle Spuren nationalen Eigenlebens zu verwischen beginnt und ein mißbrauchter Verstand einen endgültigen Schlußstrich unter das Göttliche zu ziehen gedenkt. Da setzt sie der liberalistischen, äußeren Freiheit die innere, seelische Freiheit des Menschen entgegen; der Schrankenlosigkeit das ererbte, gewachsene Gesetz; dem überheblichen Menschengeist die stille Größe der Natur; der entwurzelten Heimatlosigkeit den heiligen Boden ihrer Väter; der genießerischen Daseinsfreude ein opferbereites, kämpferisches Leben; der Ichsucht die Selbstentäußerung; der eigensüchtigen Ruhmsucht die Demut des seinem Volk Dienenden; dem platten Vernunftglauben ein faustisches Ringen um ihren Gott. So wurde sie der Starke Pfeiler, an dem die Wogen der liberalistischen Nachwelt brandend zerschellten, und ihre Dichtungen werden ewig sein wie das Volk, dem sie entstammt.

Daß unsere Zeit wieder beginnt, sich um diese große Frau zu beschäftigen, ist ein Zeugnis ihrer Gesundung und Selbstbesinnung. Unter vielen Büchern, die sich mit ihrem Leben befassen, ist das bisher wertvollste Hans Francks Romandichtung „Annette“ *). Hand Franck schrieb dieses Buch aus dem Urgefühl stammesverwandten Blutes heraus, ist er doch selbst, wie sein Name bezeugt, Franke und lange Jahre am Rhein - in Düsseldorf - tätig gewesen, obwohl Mecklenburg seine Heimat wurde. Denn nur so kann es sein, daß ein Dichter, dem Westfalen nie Heimstatt war, uns Westfalens Landschaft, Volk und Sitte so naturhaft nahe bringt, daß das geistig geschaute Bild zum erfüllten Erlebnis wird. Ueber seinem Buch liegt die Einsamkeit der westfälischen Heide, der herbe Duft der westfälischen Aecker, die verhaltene, gespannte Leidenschaft einer großen Frau, und, was es besonders groß macht, der geheimnisvolle Dämmer einer irrationalen Schau, eines Zwischen- und Ueber-den-Dingen-sein, das den mythischen Urgrund der Drosteschen Seele behutsam aufdeckt.

Das Leben der Droste ist ein einziges ringen um ein echtes, wahres Dichtertum, dem sie ihr ganzes leidenschaftsdurchglühtes Ich opfert, ein einziger Kampf um die Wahrheit in Gott, um den Bestand ihres ererbten Glaubens. Mit feinstem Spürsinn hat Franck die Quellen erschlossen, aus denen auch die geheimsten Adern dieses scheuen und verschlossenen Lebens der Nachwelt fließen. Wie beseeligend ist die Erzählung der Jugendjahre dieses zu früh geborenen Kindes; mit welcher Leidenschaft ist die schicksalhafte, erste Liebe zu Heinrich Straube mitgeteilt; mit welcher Feinheit und Zurückhaltung die Zuneigung der alternden Droste zu Levin Schücking. Bewundernswert ist bei der Fülle des Stoffes die Geschlossenheit, mit der die Dichtung gestaltet und das Quellenmaterial gemeistert wurde, ist die Einbeziehung der Landschaften der westfälischen Erde, des Rheines und des Bodensse in den seelischen Verlauf. Doch eine Frage am Rande: Warum wurde, da wir doch alle großen Schöpfungen der Droste entstehen sehen, nicht der „Spiritus familiaris des Roßtäuschers“, eines der reifsten und tiefsten Werke Annettes, ihrer Faustdichtung, Erwähnung getan, die in ihrem schaffensreichsten Jahre 1842 auf der Meersburg entstand?

Francks Werk ist eine Dichtung des schöpferischen Menschen, ein Buch voll geballter Lebensfülle und Weisheit, geladen mit der Leidenschaft einer glühenden Seele, die das Höchste will, ein Weg zu den Schöpfungen eines reichen Genies. Wir empfehlen es allen, die um das Leben einer deutschen Frau, die eine große Dichterin war, wissen wollen. Möge es denn Ansporn sein, einen schmalen Gedichtband Annettes zur Hand zu nehmen, um in einer stillen Stube die Gewalt wesenhaft deutscher Dichtung zu erleben.

Heinrich Gasch

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*) Hans Franck, Annette. Ein Droste-Roman. - Adolf Sponholtz-Verlag, Hannover 1937. In Leinen geb. 7,50 Mark.




Entnommen: Euskirchener Volksblatt vom 5. August 1940




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