Euskirchener Osterpläne 1940
Von heimatlichen Osterspaziergängen und vom Schauen des Frühlings im Lande der Erft



Der alles beherrschende Krieg hat uns in mancher Hinsicht Dinge wieder schätzen gelehrt, die man vielfach als überlebt betrachtete, als nicht mehr passend in unsere ungestüm vorwärtsstrebende Zeit. Wir sind unter seinem Zwang zu alten Sitten zurückgekehrt. Viele Menschen haben infolge der Verdunklung erkannt, daß die Abende im Kreise der Familie eine durch nichts zu ersetzende wohlige Wärme und friedliches Ausruhen bringen, und daß das Heil der Freizeit nicht auf der Straße oder am Biertisch zu suchen ist. Wir haben uns samt und sonders auf einfachere Lebensgewohnheiten zurückbesonnen und in Nahrung und Kleidung die einstige Bescheidenheit wieder kennen gelernt. Das Flicken und Stopfen ist bei unserer Frauenwelt wieder zu Ehren gekommen. Und sehr viele, die durch Auto oder Motorrad fast das Gehen verlernt hatten, sind entweder zum Fahrrad zurückgekehrt oder fördern ihre Gesundheit durch den Gebrauch von Schusters Rappen. Das ist gut so. Denn gerade die letztgenannte Aenderung der Gewohnheiten wird der diesjährigen Osterbekanntschaft mit der schönen Gottesnatur zugute kommen.


Frühlingsidyll

Keine unnützen Osterreisen! Diese Parole ist zwar inoffiziell, aber um so eindringlicher ausgegeben worden. Deshalb werden wir auch in der Auswertung der Feiertagsruhe an den beiden Ostertagen zu alten Gewohnheiten zurückkehren müssen. Unsern Großvätern war Ostern als das Hochfest der Christenheit heilig. Sie feierten das Fest der Kirche und in der Familie. Es war nicht Sitte, am ersten Ostertage ins Wirtshaus zu gehen, und die ländlichen Kegelbahnen blieben bis zum Mittag des zweiten Festtages geschlossen. Aber es gehörte zur rechten Osterstimmung, daß man einen Gang durch die Heimatflur machte, so weit ausholend als möglich, um sich, nach dem man die Auferstehung des Heilandes mit befreiendem Alleluja! Begrüßt hatte, an der Auferstehung der Natur in Feld und Wald zu erheben und zu erfreuen.

Mit diesem alten, schönen Brauch ist im laufe der Jahrzehnte immer mehr gebrochen worden. Das ruhelose Halten des modernen Lebens hat es mit sich gebracht, daß die abgehetzten Menschen auch die Ostertage zu Erholungs- und Vergnügungsreisen benutzten. Am Ostertage wurde die „Saison“ eröffnet, und nach dem Feste berichteten die Zeitungen von Rekordverkehrsziffern der Reichsbahn und der Schiffahrt, aber auch von Verkehrsunfällen, die die Unglücksstatistiken unheimlich vergrößerten.


Birkenhain im Flamersheimer Walde im Vorfrühling

Das wird nun diesmal unter dem Einfluß des Krieges anders sein. Alle Erleichterungen des Reiseverkehrs sind suspendiert, die Privatkraftwagen stehen zum größten Teile gesperrt in den Garagen, die Osterausflüge sollen sich nur auf die nächste Umgebung der Städte beschränken. Mit einem Worte: Der Osterspaziergang der alten Zeit soll wieder aufleben und damit seine alte Poesie wieder gewinnen. Als der Altmeister Goethe ihn in seinem „Faust“ verewigte, kannte man noch keine Eisenbahnen, keine Rheindampfer, keine Kraftwagen, und doch war dieser Osterspaziergang unserer Altvorderen des hohen Festes würdig. Also kehren wir, dem an uns entgangenen Appell folgend, zurück zu ihm, es fehlt uns ja auch in unserer Vaterstadt und ihrer näheren und weiteren Umgebung nicht an mannigfachen Gelegenheiten dazu! Man muß nur in rechter Osterstimmung zum Wanderstock greifen, dann kann auch heute noch unser Osterspaziergang zu einem Miterleben der Auferstehung werden.

Die besinnlichen Alten lockt die Sonne des Ostertages vor allem zu einem Gang nach dem vom Winterschlafe erwachenden Friedhofe. Oder sie lenken ihre Schritte nach alter Gewohnheit zum heimischen Flusse, folgen seinem Laufe nach oben oder nach unten, erfreuen sich an dem überall sich regenden Leben in der Natur und an den jungen Menschkindern, die unter Obhut der Eltern die Promenadenwege beleben. An der anderen Seite der Stadt, im Süden und Westen, erwarten der dem Auferstehen entgegenfeiernde Stadtwald und der Schillerpark mit seinen schönen Anlagen und den Spazierwegen durch die Wiesen die Erholung suchenden Menschen. Wer sich den Winterstaub aus den Ohren und vom Herzen wegblasen lassen will, findet dazu reichlich gute Möglichkeiten, auch ohne viele Kilometer zu wandern.


Eine schöne Dorfstraße in unserem Kreise (Iversheim) mit Erftbrücke

Die Rüstigen aber wählen eine der vielen genußreichen Wanderungen, die uns unsere Umgebung bietet. Unsere Altvordern haben die Hardt, das idyllische Kreuzweingarten, das Gelände der heutigen Steinbach-Talsperre, die Kirspenicher Burg, die Billiger Knipp mit ihrem herrlichen Blick auf die Vaterstadt auch nicht anders als per pedes erreichen können. Oder man wandere am Veybach aufwärts, schaue die wiedererstandene Mariahilfkapelle, die am St. Georgstage ihrer Bestimmung übergeben werden soll, und stehe im Weiterschreiten in ehrfürchtigem Staunen vor einem der vielen Bauwerke, die Zeugen unserer Heimatgeschichte sind, der Burg Veynau etwa, oder der einstmaligen Burg Firmenich und andern historischen Kunstdenkmälern unseres Heimatkreises. Die Kreisbahn wird es uns nicht verübeln, wenn wir sie bis Frauenberg in Anspruch nehmen und nach einer Besichtigung des dortigen berühmten Altarbildes dem Gebiet der ehemaligen Unterherrschaft Bollheim einen Besuch abstatten, die in das Rotbachtal gebettet ist. Vielleicht folgen wir auch den Spuren des Eifelvereins, der uns in seiner für den Palmsonntag vorgesehenen Wanderung gezeigt hat, daß man nicht in die Ferne zu schweifen braucht, um Gelegenheit zu einem überaus lohnenden Osterspaziergang zu finden.

Nun wird es manchen Volksgenossen unter den Lesern des Volksblattes geben, die aus Bequemlichkeit oder mangelnder Anpassungsfähigkeit an die Gegebenheiten des Tages, das heißt an die Forderungen der Kriegszeit, mit dem Einwand kommen, es sei für solche Ausflüge noch zu früh in der Zeit, namentlich in diesem Jahre sei draußen noch alles zu weit zurück, man müsse warten, bis der Lenz wirklich die Natur neubelebt und verschönt habe, bis junges Grün und Blütenpracht uns umgeben und dadurch erst das Wandern zu einem köstlichen Genuß werden. Diesen Zauderern aus Gewohnheit oder Unkenntnis möchten wir die nachfolgende Schilderung der Schönheiten eines Sonnentages im Vorfrühling zu lesen geben, die uns ein begeisterter Naturfreund eingereicht und die in uns selbst die Vorfreude auf einen Osterspaziergang machtvoll geweckt hat.

*

Nun fangen die Weiden zu blühen an,
Schon zwitschern die Vögel dann und wann,
Und ist's auch der holde Frühling noch nicht
Mit lieblichem Grün und mit Blütenlicht.
Wer weiß, über nacht, da kommt er mit Macht,
Mit all' seiner Lust und all' seiner Pracht:
Nun jauchze, mein Herz, nun jauchze!

Heller Sonnenschein lacht kosend die harrende Erde an. Es ist, als wollte der Feuerball am Himmel die sich aus dem Schlummer regende Mutter Erde mit unwiderstehlicher Gewalt in einem Male zu frischem sprossendem Jugendleben wachrufen. Ja, es wird Frühling! Eine jede Kreatur spürt nach langem Winterharren dieses sehnende Ahnen, und Freude füllt jegliche Brust. Ist sie berechtigt? Ganz gewiß! Denn der Allmächtige, der uns in dem herbstlichen Absterben der Natur die Vergänglichkeit alles Irdischen zeigte, legt uns zugleich auch die Hoffnung auf das Auferstehen der Natur und die Sehnsucht nach ihm in den Busen, als Sinnbild unserer eigenen Auferstehung. Osterahnen erfüllt unser Herz!

Ja, sie wird wach, unsere schöne Mutter Erde! Nicht auf einmal, nein, langsam kommt sie zu sich wie nach einem langen, schweren Traume, und gibt uns allerorten Zeichen ihres Erwachens. Folge mir hinaus ins Feld! Wie Feiertagsstimmung liegt die schöpferische Jungkraft des beginnenden Lenzes über den Saaten, zupft sie und streckt sie und schmückt sie in hochzeitlicher Frische. Das helle Grün des Werdens, der sanfte Schein jungfräulicher Schönheit und bräutlicher Erschließung ist ausgebreitet ringsum, soweit das Auge reicht. Kaum noch hat sich der Schoß der Erde geöffnet, um den Samen zur Himmelslust entsprießen zu lassen. Die taufrische Zartheit des Schöpfungsmorgens umgibt wie mit einer Gloriole Gräschen und Hälmchen und teilt süßzartes Empfinden auch dem Menschkinde mit, das durch die Fluren schreitet. Vom Boden steigt der wohlige Ruch schaffensfroher Erde auf, die neues, fruchtbares Leben kündet, und läßt die Brust frei werden vom lastenden Druck.


Die alte Burg Firmenich mit der historischen Galerie

Am Waldrand grüßen uns die ersten Frühlingsboten. Dort winkt der Haselstrauch mit seinen stäubigen Blütentroddeln. Im Bruch beginnt die schwarze Erle ihre Jahresarbeit, indem sie sich der vorjährigen Früchte entledigt und neue Blüten bildet. Und erst die Weid! Weiße, seidenhaarige Köpfchen entsprossen ihren Zweiglein. Die Rinde füllt sich mit Saft, damit sie den spielenden Knaben das Material zur Bastflöte liefern kann. Ja, „sie fangen zu blühen an!“ Wenn auch Biene und Hummel noch wenig zu ihrer Befruchtung tun können, da die Triebe noch schwach entwickelt sind, so umsummen sie in sonnigen Stunden doch schon die Blüte und bringen den Staub als Nahrung für ihre jungen Larven nach Hause. Am Waldesrande treiben mächtig das stammumrankende Geisblatt seine Blätter, und die Blüten des Schlehdorns harren schon des Aufknospens. Wie mit tausend kleinen, weißen Edelsteinchen besetzt wiegen sich die schwarzrindigen Zweige in der noch herben Märzluft, bis ein warmer Frühlingstag sie zur Entfaltung ruft.

Du wähnst, an Frühlingstagen noch nicht vorzufinden! Ja, sie wollen gesucht sein, die ersten Kinder des Lenzes! Dann wird es dir gelingen, ein duftendes Veilchensträußchen zu winden, das du mit heimbringst. Die gelbe Narzisse, die Osterglocke, sprießt schon und wird nicht lange mehr auf ihre Doppelkrone warten lassen. Schneeglöckchens Läuten ist bereits vielerorts erklungen, und der noch blätterlose Hufflattich ragt seine rot und weißen Blütenköpfe schon aus dem nassen Untergrund hervor.

Frühlingsahnen hat besonders in den Vogelherzen tiefe Regung wachgerufen und die Sägerkehlen geöffnet. Höre den Buchfink in der Baumkrone! Sein Strohwitwertum soll bald zu Ende sein. Das macht ihm das Herzchen so froh, den Sinn so leicht. Längst hat er die erste Strophe seines Liedes bis zum Ende durchstudiert, hundertmale wiederholt und läßt sie aus voller Kehle in dem Baumgipfel erschallen. Es ist eine Huldigung an den jungen Frühling, der kommt und ihm seine teure Gattin aus dem warmen Süden zurückführen wird. Der Amsel weiche Flötentöne klingen melodisch in dem vor rauhem Winde geschützten Walde. Das emsige Meislein, das ja zu langem Liede keine zeit hat, singt, am Aestlein stehend, erheblich lauter, wenn es sein Suchen nach Kerbtieren einmal unterbricht, und die Feldlerche wagt sich, wenn auch noch nicht bis zur Höhe des Sommers, so doch schon hoch in den Aether und trillert Gott ihren Dank nach glücklich überstandenem Winter.

Ja, der Frühling ist da, du brauchst ihn nur mit offenem Auge in der Natur zu suchen. Dieses Frühlingsahnen, dünkt mich, hat seine ganz besonderen Schönheiten. Wer sie zu würdigen weiß, dem klingt das Lied immer aufs neue im jubelnden Herzen wieder:

Die Finken schlagen - der Lenz ist da!
Und keiner kann sagen, wie es geschah!





Entnommen: Euskirchener Volksblatt Nr. 70 vom 23. März 1940




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