Ein neues Sagenbuch der Eifel
Von M. von Mallinckrodt




Als erster Band der Veröffentlichungen des Instituts für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande (Verlag Ludwig Röhrscheid, Bonn) ist unter dem Titel Volkssage der Eifel von Mathias Zender der in persönlicher Sammlertätigkeit gewonnene Schatz echtesten Eifeler Sagengutes herausgegeben worden.

Der stattliche, 372 Seiten starke Band hat nichts gemein mit den vielen Sammlungen von Volkssagen, wie sie früher wohl in allen deutschen Gauen entstanden, und ein Zwischending waren von Sagenbericht und eigener Erfindung des Erzählers. Es wurden wohl dabei allerlei wertvolle Bausteine benutzt, aber die Zutaten des Herausgebers, das poetische Gewand, womöglich sogar in Versen, erdrückte die schlichte Schönheit des echt Volkshaften zumeist.

Einen ganz anderen Weg hat Zender beschritten, den Weg des wissenschaftlichen Sammlers, der verantwortungsbewußt mit jeder kleinsten Angabe nur echter, ungeschminkter Überlieferung dienen will. Er durchwanderte die Landschaft, der er selbst entstammt, die Kreise Bitburg und Prüm (fast ganz), Trier, Daun und Wittlich teilweise.

Von Dorf zu Dorf ging der Sammler und fragte bei den Lehrern nach alten Leuten, die noch etwas wüßten von den Geschichten aus früherer Zeit, von Hexen, Werwölfen, Irrlichtern und vergrabenen Schätzen. Solch unheimliche Dinge hat nämlich nach der Ansicht der Eifeler bis in die zweite Hälfte des vergangenen Jahrhunderts gegeben, bis Papst Pius IX. dem ganzen Spuk ein Ende bereitet habe.

Wenn nun Zender solch alte Erzähler oder Erzählerinnen gefunden hatte - und es waren ihrer 379 -, dann ging er sehr behutsam zu Werk, er ließ die Alten reden, ohne sie durch Zwischenfragen abzulenken. Mit rührender Treue spiegeln die Berichte des Wissenschaftlers die Erzählerart seiner Gewährsleute wider. Unklarheiten, Gedankensprünge und Wiederholungen werden unverändert niedergeschrieben, und Ausrufe und Einwürfe von Zuhörern lassen uns gewissermaßen unmittelbar an den Erzählungen der Alten teilnehmen. Meist sind die Berichte in Schriftdeutsch geschrieben, aber seh häufig fallen sie doch in den Dialekt des Erzählers.

Ein sehr glücklicher Gedanke war es, eine Reihe der offenbar gern erzählenden alten Leute im Lichtbild festzuhalten, und zwar in voller Erzählertätigkeit.

Zenders Sammlung hat eine Vorgängerin in der sehr wertvollen, in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts entstandenen von Gredt: Sagenschatz des Luxemburger Landes. Aber während diese Sammlung sich aus den Ermittlungen vieler zusammensetzt, ist Zenders Arbeit sein eigenstes Werk und deshalb von weit größerer Unmittelbarkeit.

Interessant ist der Vergleich beider Sammlungen unter dem Gesichtspunkt, wieviel Sagengut in den letzen 60 Jahren verlorengegangen ist. Allzuviel scheint es nicht zu sein, vielmehr wandelt der bunte Reigen seltsamer oder übernatürlicher Erscheinungen an uns vorüber heute wie damals.


Burg Ließem (Kreis Bitburg), Druckstock: Schwann, Düsseldorf

Da wird von großen Krankheiten erzählt, von der Pest, der Cholera, dem Typhus, wie ganze Dörfer durch sie verödeten. Auch wie in alten Tagen Gericht gehalten wurde über Übeltäter, erfahren wir nicht; so vom Hanspitchen, der seine Mutter, weil sie ihn „su schlecht gewihnt hätt“ noch unter dem Galgen zur Straße ins Ohr biß.

Von Kriegszeiten hören wir auch, meist von den „Franzusen“, die ja von 1793 bis 1815 im Lande waren, aber auch an die gefürchteten Schweden des Dreißigjährigen Krieges erinnern viele Geschichten. So die vom starken Mangerich, der den schwedischen Offizier, der bei ihm im Quartier lag und das Essen als zu schlecht zum Fenster hinauswarf, gleich hintendreinfliegen ließ.

Vergrabene Schätze haben in der Phantasie des Volkes von jeher eine sehr große Rolle gespielt; so finden wir sie auch hier, vielfach anknüpfend an die Kriegszeiten.

Seltsam muten Erklärungen alter Wegekreuze an, deren Zeichen undeutlich geworden sind. So deutet eine Schere auf den Tod eines Schneiders, eine Zange auf den eines Schmiedes, eine Pflugschar auf den Unfall eines Pflügers. Daß in der Errichtung von Kreuzen und der Stiftung von Kapellen der fromme Sinn des Eifelers oft Sühne sündiger Taten sah, ist begreiflich, aber seltsam berührt die Neigung, von geistlichen Herren allerhand erstaunliche Zaubereien zu erzählen. Da soll ein erst 1855 verstorbener Pfarrer die Gewohnheit gehabt haben, sich den Kopf abzuschneiden und diesen dann zu rasieren und sich wieder aufzusetzen. Zwei andere geistliche Herren schaffen wenigstens nur verlorene Gegenstände wieder herbei und verstehen es, Diebe zu bannen, d. h. zu bezaubern, daß sie sich nicht mehr bewegen können. Ganz allgemein werden den Geistlichen geheime Kräfte beigelegt, mit denen sie die Geister und Gespenster besiegen. Zauberbücher aus der Druckerei des Papstes befähigen sie dazu.

Die unheimlich Welt des Todes gibt der Phantasie des Volkes natürlich besondere Nahrung. An die Wiederkehr mancher Toten wird geglaubt. Eine besondere Art dieser zu ewigem Umgehen Verdammten sind die Grenzsteinversetzer. Eine Zeit, die noch keine Katasterkarte kannte, sah in der Verletzung von Treu und Glauben der Flurnachbarn untereinander ein todeswürdiges Verbrechen. Blieb es aber unentdeckt, so verlangte der Rechtssinn des Volkes die Ewigkeitsstrafe für den Frevler.

Der Teufel hat es bei den Eifelern besonders auf die Kartenspiele abgesehen; aber auch herbeiwünschen soll man ihn nicht, sonst kommt er. Echte Satanskinder sind die Freimaurer.

Von Hexen wird viel erzählt. Die bäuerliche Bevölkerung war immer geneigt, plötzliche Erkrankungen des Viehs auf Einwirkung von Hexen zurückzuführen, was in alten Zeiten manchem armen alten Weibe das Leben gekostet hat.

Auch von Heilungen durch geheime Kräfte hören wir, so z. B. sehr hübsch: Ein Mädchen hatte Warzen an den Händen, und der Mann, der sie vertreiben sollte, fragt, ob sie auch an das Mittel glaube. Das tat sie, und die Warzen verschwanden. Ihre Schwester aber war „mih opgeklärt“, die glaubte nicht und hat die Warzen behalten.

Der Glaube, daß Menschen sich in Tiere verwandeln können, ist häufig, am eindruckvollsten wohl in den Werwolfsagen, in denen Menschen in Wolfsgestalt ihre Mitmenschen zerreißen. Es mögen uralte Gebräuche dem zugrunde liegen, Spuren davon kennt ja die germanische Heldensage.

Eine besonders dem Rheinlande wohl angehörende Art von Unholden sind die sturmgeschwinden Bockreiter, ein Glaube, der sich mit der Furcht vor den Räuberbanden des 18. Jahrhunderts verband.

Auch die wilde Jagd kennt die Eifel, das Wodesheer, das mit Rufen und Rüdengebell den herbstlichen Wald durchstürmt; auch von manch anderem unheimlichen Waldgänger wird erzählt. Freundlicher erscheinen die „Wichtelcher“, wie der Eifeler die hilfreichen Heinzelmännchen nennt. Die geisterhafte Wäscherin aber, die nächtlicherweise an den Bächen wäscht und singt, das Klatschmarächen, erwähnt die Sammlung nur einmal, aber mit dem schönen Sagenmotiv, daß sie mitten im kalten Winter eine Rose an der Brust trägt.

Gespenstische Tiere, Hunde, Katzen und Hasen, fehlen in dem bunten Reigen nicht, und von „Traulicht“, wie die Eifel die Irrlichter nennt, wird viel Unheimliches erzählt. Arme unerlöste Seelen sind es, die den Menschen ins Verderben locken.

Zum Schlusse mag noch der historischen Sagen gedacht sein. Daß auf altem Römerboden, mit soviel Resten römischen Mauerwerks, so wenig von den Römern erzählt wird, mag wundernehmen. Das Mittelalter hatte eben die Römerzeit vergessen und schrieb die Mauerreste dem Teufel oder verwunschenen Raubrittern zu. Von solchen wird vielerlei berichtet und ebenso von den Tempelherren. Die falsch aufgeschlagenen Hufeisen machen sie ja auch als Räuber kenntlich. Allerdings fällt es schwer, zu glauben, daß der Untergang des in der Eifel höchst unbedeutenden Ordens allein es war, der die seltsamen Tempelherrensagen veranlaßte. Vielleicht spielt doch die dunkle Kunde einer viel früheren Zeit, der Untergang römischer Militärstationen mit hinein.

Im Vorwort zu seinem trefflichen Buche sagt Zender: „Ich wollte durch diese Sammlung zeigen, welche Kräfte die Bauernkultur meiner Heimat bestimmt haben, und wie sehr das Bauerntum der Westeifel heute noch in seine alte gesunde Kultur eingebettet, wie wenig es bisher vom Stadtgeist erfaßt worden ist.“

Für Leute, die über die Rückständigkeit der Eifel die Achsel zucken wollen, sei sein Buch nicht geschrieben, meint der Verfasser. Nun, es gibt Gott sei Dank doch noch recht viele Leute, denen Zenders Sammlung einen Schatz bedeutet, Leute, die dem fleißigen Sammler von Herzen dankbar sind, daß er keine Mühe scheute, uns vor dem stillen und reichen Leben der Eifeler Volksphantasie zu erzählen.


Entnommen: Die Eifel, Zeitschrift des Eifelvereins, März 1935, Nr. 3, Eifelverein Düren.




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