Eine Grenzbegehung in der Eifel vor 400 Jahren
Von Max von Mallinckrodt.





Wir Menschen von heute sind gewöhnt, daß alles fein säuberlich aufgezeichnet, geregelt und geordnet ist und zwar von der „Behörde“. Sie muß alles wissen, Auskunft über alles geben können, und wenn Sie's einmal nicht kann oder richtig macht, dann hat der brave steuerzahlende Staatsbürger seiner Ansicht nach ein wohlerworbenes Recht, auf die Behörde zu schimpfen.

Zu Zeiten unserer Altvorderen war das anders. Zum Richter konnte man wohl laufen, wenn man sich benachteiligt wußte oder glaubte, aber die vielen Behörden, die heute neben den Gerichten über die öffentliche Ordnung wachen, gab es nicht oder nur in den Anfängen.

So z. B. ist es heute nicht schwer, sich über die Grenzen eines Grundstücks zu unterrichten. Man braucht ja nur die Katasterkarte einzusehen und im Notfall eine Neuvermessung zu beantragen. Früher aber war die Sicherheit der Grundstücksgrenzen in hohem Maße vom Wohlverhalten der Nachbarn abhängig.

Es ist kein Zufall, daß allenthalben und auch in unserer Eifelheimat das Volk an die geisterhafte Erscheinung feuriger Männer glaubte, heimatlicher Grenzsteinversetzer, die zu ewigem Flurbegehen und Brennen verdammt waren. So verurteilte das Rechtsbewußtsein des Volkes den Verletzer der nachbarlichen Treue.


Die Erft bei Lommersum, Kreis Euskirchen - Dr. Esser, Euskirchen

Auf Treu und Glauben beruhte eben die Nachbarschaft. Es war ja nicht schwer bei Nacht und Nebel den Grenzstein ein wenig zu verrücken und nach Monatsfrist wieder ein wenig und so fort, bis mit einemmale dem Acker des Geschädigten manche Ruthe fehlte, die dem Übeltäter zugewachsen war. Die Entdeckung war nicht leicht, der Beweis für den Kläger schwer, kein Wunder, daß das Volk den Frevlern wenigstens die Ruhe im Grabe genommen wissen wollte.

Die Strafbestimmungen des ältesten Rechtes für Grenzfrevel scheinen drakonisch gewesen zu sein. Frühe Quellen wissen von der grausamen Strafe des zu Tode Gepflügtwerdens. Später war die Ahnung milder, aber noch immer energisch genug. So bestimmt die kurkölnische Buschordnung von 1759:

„Derjenige, welcher einen Markstein ausgräbt oder verrücket oder auch einen Laagbaum *) umhauet, soll mit dem Stockhaus auf ein halbes Jahr oder auch nach Befinden am Leibe schärfer gestraft werden.“

Es kam ja nun aber auch oft genug vor, daß kein Frevel vorlag, daß aber die Grenze unklar und strittig geworden war. Dann fanden sich die Nachbarn zu einer Tagung zusammen. Alte Leute wurden als Zeugen gehört, wie es vordem gewesen sei, und nach deren Kunde wurden die Dinge neugeordnet und die Äcker neu versteint.

Auch Gemeindegrenzen konnten strittig werden und in solchen Fällen wurde eine öffentlich angesagte Grenzbegehung, ein „Beleidgang“ gehalten und ebenfalls nach dem Grundsatze der Unvordenklichkeit auf Grund von Zeugenaussagen entschieden.

Von einem solchen Beleidgang, der wieder auf einen früheren zurückgreift, findet sich ein Bericht im Archiv der Jesuiten von Münstereifel aus dem Jahre 1613. Damals war ein alter Grenzstreit zwischen den Gemeinden Antweiler und Weingarten (heute Kreuzweingarten) im kurkölnischen Amte Hardt wieder entbrannt. Die Bauerschaften stritten, wie weit eine jede ihr Vieh weiden lassen dürfe. Diese Frage hatte insofern eine etwas weitergehende Bedeutung, als das Dorf und die Flur Antweiler an sich schon seit sehr langer Zeit zwischen Kurköln und Jülich strittiges Gebiet war, wenn auch der Kurfürst dort die Vogtei besaß - so daß die Grenzbegehung in diesem Falle auch die Landesgrenze feststellte.

So wandten sich denn die Schöffen der beiden Gemeinden an den kurfürstlichen Amtsverwalter, Herrn Eberhard von Vianden, der auf der nahen Hardtburg residierte, und erbaten von ihm die Bestimmung eines Termins für die Grenzbegehung.

Der 15. Januar des Jahres 1613 wurde bestimmt und außer dem Amtsverwalter und seinem Landboten auch der kurfürstliche Schultheiß von Arloff, der zugleich Schultheiß von Antweiler war, Thomas Brewer sowie der Notarius Hellwich, zugezogen. Zur Stelle war auch Herr Adam von Losheim aus Euskirchen als Besitzer des Gutes Heudthausen, da grade auf seinem Gebiet der Genzverlauf zwischen den Gemeinden strittig war.


Kreuzweingarten, Kreis Euskirchen - General-Anzeiger, Bonn.

In dem Dorfe Kirchheim hinter dem Hardtwalde lebte aber damals ein alter Mann, Henrich Flink mit Namen, der in früher Jugend als Gehilfe seines Vaters, der damaligen Dorfhirten zu Weingarten einen „Beleidgang“ in der gleichen Streitfrage erlebt hatte. Er wußte deshalb, wie es vordem mit den Grenzen gehalten worden war, wurde deshalb als Zeuge gewählt und an die strittige Stelle hinter den Heudthauser Busch gebracht, wo sich alles versammelte.

Dann hob der Notarius an, den Zeugen zu befragen. Erstens: Wie alt er sei „So um die hundert Jahre“, meinte der Alte. Ferner: Ob er einer der beiden Gemeinden den Sieg wünsche. Das tue er nicht, erwiderte jener. Wer recht habe, solle recht behalten. Dazu wolle er verhelfen.

Und dann begann er zu erzählen, wie vor achtzig und mehr Jahren schon ein „Beleidgang“ um dieser Grenzen willen gewesen sei. Damals habe man den „alten Wirth“ von Antweiler als Zeugen gewählt und ihn auf einem Karren hinauf fahren müssen, da er zu alt und gebrechlich gewesen sei. Der aber habe wiederum Erinnerung gehabt, wie es in seiner Jugendzeit gehalten worden sei. Bei diesem „Beleidgang“ mit dem „alten Wirth“ seien die von Antweiler, bei denen auch der kurfürstliche Erbvogt Herr Philipp von Ahr von der Burg zu Antweiler war, zuerst den Elsiger Mühlenpfad gegangen, und die Weingartner durch den Heudthauser Busch über das Heidendriesch bis hinab ins Bruch. Der „alte Wirth“ aber habe ihnen einen dritten Weg zwischen den beiden gewiesen, und den seien sie dann alle gegangen und hätten Marken in die Bäume geschnitten.

Was nun damals Anno 1613 der alte Henrich Flink droben im Winterwalde erzählte, wurde vom Notarius Hellwich sorgfältig zu Protokoll genommen. Dann wies der Alte den Weg, den achtzig Jahre zuvor der „alte Wirth“, wiederum auf Grund seiner Jugenderinnerung gewiesen hatte. So war es möglich, daß der Zustand hergestellt wurde, der 150 Jahre früher bestanden hatte, und die Nachbarn von Weingarten und Antweiler gingen befriedigt heim. Sie wußten nun, wie weit sie mit ihrem Vieh weiden durften.

Ein Graben, der diese Grenze bezeichnet und heute noch zu verfolgen ist, wurde gezogen etwa fünfhundert Meter weiter westlich der heutigen Gemeindegrenze.

Nicht immer mögen die Beleidgänge so friedlich verlaufen sein wie in unserem Falle. Unsicher blieb das Verfahren immer, und so richtete sich das Bestreben der Landesregierungen darauf, eine allgemeine Landesvermessung einzuführen.

Aber nur ganz langsam und unter großen Schwierigkeiten kam ein solches Werk zustande. Geschlechter gingen darüber ins Grab. Mancherlei Ansätze zur Schaffung eines Grundkatasters hatte man allerdings schon im 19. Jahrhundert gemacht, aber erst das folgende **) brachte die Durchführung des Vorhabens, und einen „Beleidgang“ gibt es seitdem nicht mehr.




Entnommen: Eifelkalender 1933, S. 54-56, Eifelverein Düren




*) Edition woenge.de: Laakbaum (Laagbaum?) = Gekennzeichneter Grenzbaum
**
) Siehe Eifelkalender 1933 a.a.O. = 'Katastermessungen in der Eifel von Dr. Wilhelm Rehm.'




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